Von Winnetou gelernt

In Manfred Wieningers neuem Krimi regiert die gutbürgerliche Verwüstung

Von Martin A. HainzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin A. Hainz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Österreichs gut durchwachsene Psychopathologie sucht ihresgleichen, so scheint es - und nicht erst seit Neuestem: "Wien etwa? - Man kennt den dortigen Geist und ich schweige", so Johann Jakob Engel in einem bildungspolitischen Text von 1802. Österreicher können nicht nur skifahren und Operetten zu Gehör bringen, sondern haben noch andere Talente.

In dieses Österreich, genauer ins St. Pölten deutlich nachgebildete Harland setzt Manfred Wieninger seinen Ich-Erzähler Marek Miert, und zwar nun schon zum fünften Male. Einen Wiederholungstäter, der zum Ort des Verbrechens zurückkehrt. Er ist ein sittlich an Winnetou geschulter Privatdetektiv, der der Moral dient, obwohl er weiß, dass es sie nicht gibt, jedenfalls nicht in Harland. Er nimmt sich dabei auch nicht aus, ein Asket ist er sowieso nicht, eher Karpfen im Karpfenteich, aber einer mit manch moralischem Rappel.

"'Ihre dubiose Schusswaffe da', bemerkte Leutnant Sladek trocken, 'habe ich jetzt nicht gesehen. Weil Sie nämlich genauso wenig wie die Biene Maja eine Waffenbesitzkarte oder gar einen Waffenschein haben. Ich habe in der Kartei nachgesehen, Sie sind gesperrt für alles, was über Küchenmesser hinausgeht.' 'Genau, das Trumm existiert nicht einmal', antwortete ich"

Miert ist ein bisschen das, wogegen er antritt - aber dann auch ganz und gar nicht, was seine Erfolglosigkeit erklärt, denn jemand, dem der "Aktenschwund im Stadtarchiv" auffällt, wonach "kein Harlander Kommunalpolitiker, Lehrer, Journalist, Unternehmer, Gastwirt, Gewerkschafts- oder Handelskammerfunktionär und so weiter jemals Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen" war, der ist unbeliebt. Das weiß Miert - und hält seinen "großen, sturen Schädel" dennoch hin, geht diesmal auch ins Gefängnis, wenngleich nur kurz. Ohne Rückhalt der Justiz oder den des katholischen Überbaus "in der Stunde des allerletzten Kampfes, bevor sie mir halt in Gottes Namen die rostigen Flügel aufmontieren", so der nicht gleichmütige Miert, der ein wenig Deix-Figur, aber niemals Karikatur des Menschlichen ist.

In ihm und um ihn regiert Verwüstung, aber gutbürgerlich; nur insgeheim oder im vor allem aus sozusagen ästhetischen Gründen gemiedenen Notfall liegt alles offensichtlich in Trümmern, so die "Waschmaschine [...] wie ein quaderförmiger Riesenkarpfen in der Badewanne", nachdem die örtliche Mafia-Zweigstelle auf Besuch war. Wegen eines Archivars, der Interesse an Zwangsarbeiter-Meldescheinen zeigt: "Sehen Sie, der kleine Schreibtisch ist penibel ausgeräumt worden, bevor sie ihn zertrümmert haben."

Der Fall? Hat damit - mit Drogen und noch allerlei zu tun, vor allem aber mit der conditio humana und der conditio (in)humana austriaca. Die eine wie die andere ist Miert nicht fremd, doch ist er eben mehr Mensch als Österreicher, zieht seine ramponierte Moralität dann doch dem vor, was ihn umgibt, sie ist eben "besser als die Teilnahme an einem Wettschnitzelessen". Moral, "Privat-Theologie", vielleicht bloß das Wissen, man habe "nicht so viel [...] Unverstand und kriminelle Energie" - die Grauschattierungen machen den Unterschied.

Sie zeichnen auch diesen Roman aus. Ein eigenwilliges, ein witziges, ein opulentes und lesenswertes Buch.


Titelbild

Manfred Wieninger: Rostige Flügel. Ein Marek-Miert-Krimi.
Haymon Verlag, Innsbruck 2008.
228 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783852185590

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