Der sozialistische Aristokrat

Die Gesprächsprotokolle von André Müller senior mit Peter Hacks zeigen die Zwiespältigkeit des großen deutschen Dramatikers vor dem Panorama von drei Jahrzehnten Kulturpolitik in der DDR

Von Karen RauhRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karen Rauh

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Freundschaft mit einem Genie ist alles, nur nicht leicht" kommentiert André Müller sen., selbst ein bekannter Schriftsteller, sein Verhältnis zu Peter Hacks. Müller machte sich von 1963 bis zu Hacks Tod 2003 Aufzeichnungen über die Treffen und Gespräche mit dem Dramatiker, der am 21. März diesen Jahres 80 Jahre alt geworden wäre. Die "Gespräche" sind als Ergänzung zu dem teilweise schon publizierten Briefwechsel der beiden zu sehen. 2002 erschien: "Nur, daß wir ein bißchen klärer sind. Der Briefwechsel 1989 und 1990." Dementsprechend wenig Aufzeichnungen gibt es in den "Gesprächen" aus diesem Zeitraum. Die Bewunderung Müllers für Hacks ist in dem gesamten Buch gegenwärtig, auch in der Art, wie er die Aufzeichnungen führte. Akribisch notierte er Seite um Seite den Inhalt der Gespräche, die regelmäßig die ganze Nacht dauerten. Oft sind den einzelnen Einträgen Ergänzungen beigefügt, Sätze und Bonmots Hacks', die Müller wohl erst später wieder einfielen: Kein Satz, kein Wort des genialen Freundes sollte der Nachwelt verloren gehen.

Zwei große Themen beherrschten die Treffen: Literatur und Politik. Lebendig tritt die deutsche Theaterszene der 1960er- und 1970er-Jahre dem Leser vor Augen: Inszenierungen, Premieren, Regisseure und Schauspieler, aber auch der Klatsch dieser Welt: Wer konnte mit wem und wer mit wem nicht. Amüsant liest sich das Ränkespiel zwischen dem "Hacks-Clan und der Heiner-Müller-Mafia". In der Art und Weise, wie Hacks in dieser Szene auftrat, erfährt man etwas sehr Typisches über ihn: Er war von sich selbst und seiner Arbeit als Schriftsteller vollkommen überzeugt. Niemals zweifelte Hacks am eigenen Können, Schreibkrisen kannte er offensichtlich nicht. Dieser Wesenszug zeigte sich auch in der Wahl seiner Lektüre. Es waren die Großen der Weltliteratur, mit denen er sich maß: William Shakespeare, George Bernard Shaw, Honoré de Balzac und immer wieder Johann Wolfgang Goethe. Gegenwartsliteratur nahm er entweder überhaupt nicht zur Kenntnis oder verwarf sie völlig. Die Grenze zum Größenwahn war schnell überschritten. Hacks: "Ich werde der einzige Mensch sein, der niemals weiß, wie einem beim Lesen von Hacks-Dialogen zumute ist." Mit dem Ein-Personen-Stück "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" (1974) erlangte er Weltruhm. Im deutschsprachigen Raum führten es insgesamt 170 Bühnen auf. Das genügte Hacks noch nicht. Sein erklärtes Ziel war, dass alle Berliner Bühnen zur selben Zeit Stücke von ihm in ihren Repertoires haben.

Regelmäßig war Müller auf Hacks Landgut vor den Toren Berlins zu Gast. Hier residierte der Dramatiker wie ein englischer Lord mit Bediensteten, Hunden und Fünf-Uhr-Tee. Es wirkt grotesk, wenn die beiden in dieser Umgebung ihre sozialistischen Überzeugungen diskutierten. Hacks verstand sich selbst als Marxist-Leninist, war ein glühender Anhänger der Politik Walter Ulbrichts und stand dem Bau der Berliner Mauer positiv gegenüber. Als er 1976 die Ausbürgerung Wolf Biermanns begrüßte, machte er sich in der deutsch-deutschen Kulturszene viele Feinde. Hacks handelte aus Überzeugung, nicht weil er sich der DDR-Regierung anbiedern wollte. Stets stand er zwischen den Stühlen: Weder schlug er sich zu dem Lager der Dissidenten: "Das ist Opposition um jeden Preis, auch um den der Vernunft" noch bekannte er sich zu dem Staatssozialismus in der DDR, dem er die völlige Abkehr von den marxistischen Grundidealen vorwarf. Von sich selbst sagt er: "Ich bin mit den Revisionisten ebenso verfeindet, wie mit den Dogmatikern."

Hacks lebte einen intellektuellen Sozialismus, fernab von der gesellschaftlichen Realität in der DDR, die er nicht wahrnahm. Nie ist in den "Gesprächen" von der sich immer mehr verschlechternden Lage der Bevölkerung die Rede. Das Proletariat, aus dem sich ideologisch der Sozialismus speist, interessierte ihn nicht.


Titelbild

André Müller: Gespräche mit Hacks. 1963-2003.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2008.
464 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783359016878

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