Gespenstergeschichten

Marek Krajewski steigt in die Unterwelt des belagerten Breslau

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das war wohl die schlimmste Zeit für die Stadt Breslau, jene Monate gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, in denen die Stadt eingeschlossen war und sich - auf Geheiß Hitlers - gegen die Eroberung durch die Sowjetarmee zur Wehr setzte, selbst noch nach der Kapitulation Restdeutschlands. Eine unsinnige Gegenwehr, der die "Festung Breslau" ihre beinahe völlige Zerstörung verdankt. Marek Krajewski aber wagt den Gang in die Vergangenheit der Stadt, die noch von Deutschen geprägt wird. Verhängnisvoll, wie man sagen muss.

Und wieder ist es Eberhard Mock, der sich auf die Suche nach einem Verbrechen macht, das so absurd und grauenhaft ist, dass es selbst beim Lesen den Atem nimmt. Mock wird mit seinem Bruder in den bereits von Sowjettruppen besetzten Teil der Stadt gerufen und findet dort eine schwer verletzte junge Frau, geschunden, vergewaltigt und mit einer abgetrennten Hand. Die Frau stirbt, und Mock macht sich auf die Suche nach ihrem Mörder.

Dass es dafür zahlreiche Kandidaten gibt, wird angesichts der Zustände in der untergehenden Stadt kaum überraschen, zumal die Gewalttätigkeit der Nazis im Roman häufig mit sadomasochistischen Neigungen konnotiert wird. In diesem Fall rückt vor allem der Kommandant eines Internierungslagers in den Fokus, hat er doch allzu offensichtlich Gefallen daran, die Tante der Getöteten, eine in der Stadt prominente Adelige, zu demütigen und zu quälen. Er ist ihr ehemaliger Kammerdiener und einer ihrer früheren Vertrauten, was auf offen gebliebene Rechnungen schließen lässt.

Die Vermutung ist das eine, der Beweis jedoch das andere, und so macht sich Mock auf die Suche nach Beweisen und nach der Möglichkeit, den sadistischen Offizier zu töten. Denn Mock ist vielleicht ein Gerechtigkeitsfanatiker, aber die Betonung liegt hier mehr auf dem Fanatismus. Oder sollte man eher sagen, dass Mock ein Romantiker des Rechts ist? Ist sein Ziel also, jene ihrer gerechten Strafe zuzuführen, die sie verdienen?

Das ist in Kriminalromanen und anderen Genres eine mittlerweile wieder gern genommene Abkürzung der Rechtsprechung, die freilich den Irrtum noch weniger ausschließt als es ein geregeltes Rechtssprechungsverfahren tut, in dem der eine oder andere auch ungerechtfertigt frei kommt. Das ist eine Erfahrung, die auch Mock machen muss - auch wenn es in diesem Fall nicht den Falschen getroffen hat. Freilich, den Tod hat der Kommandant auch aus anderen Gründen verdient (hat er?).

Krajewskis "Festung Breslau" bewegt sich nicht nur in der Grauzone des Rechts und der Gerechtigkeit, sondern auch in einem "Ungefähr" zwischen dem alten, deutschen Breslau und dem neuen polnischen Wroclaw. Die "Festung Breslau" ist keine von beiden Städten. In Krajewskis Szenerie ist sie ein Ort zwischen den Zeiten, in dem die Regeln und Konventionen aufgehoben sind. Der Autor entwirft eine anarchische Szenerie, in der die einzelnen Figuren wie in einem Puppentheater auftreten und ihre Sätze sagen. Wie Puppen sind sie unempfindlich gegen das, was um sie herum geschieht. Zu lange ist es schon so und nicht anders.

Die Bewegung auf den Straßen wird mehr und mehr eingeschränkt. Mock verlagert deshalb wie alle anderen auch seine Gänge in die Unterwelt der belagerten Stadt. Ein System von Gängen und Kellern ist unter der Stadt angelegt und ermöglicht es, einigermaßen ungeschoren von einem Ort zum anderen zu kommen. Andererseits gerät die Szenerie mehr und mehr ins Unwirkliche. Es ist eine denkwürdige Unterwelt, die hier vorgeführt wird - und wenn man sich nicht darauf beschränken will, festzuhalten, dass Mock eben einfach nur unter der Erde die Stadt durchquert statt über der Erde, dann liegt darin Symbolkraft genug, sei sie kulturhistorisch oder psychoanalytisch angelegt.

Die Auflösung des Falles ist damit weitgehend kompatibel, auch wenn man angesichts der - insbesondere was den Einsatz absurder Gewalt angeht - opulenten Machart von Krajewskis Krimis einiges an überschüssigen Auszeichnungen akzeptieren muss. Aber das ist nicht zuletzt das Markenzeichen, das sich der Breslauer Altphilologe in seinen bislang erschienenen Krimis erarbeitet hat.

Krajewski bleibt dabei derart spielerisch und leichtfüßig (auch wenn es gewalttätige Aktionen sind, die geschildert werden), dass selbst Absurditäten aussehen, als gehörten sie dazu. Ein okkultistischer Geheimbund, der sich vor der Öffentlichkeit fürchtet, so in Krajewskis vorherigem Krimi zu finden, einige Merkwürdigkeiten im deutschen Lokaladel und seiner Corona wie in diesem Fall - einfach zu lösen sind seine Krajewskis Rätselfälle für Mock nicht. Aber er besitzt die notwendige Beharrlichkeit, um auf Frist erfolgreich zu sein, und genügend Kondition, um sämtliche Widrigkeiten zu überwinden - auch die, die er selbst vor sich auftürmt.


Titelbild

Marek Krajewski: Festung Breslau. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Polnischen von Paulina Schulz.
dtv Verlag, München 2008.
295 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783423246446

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