Der Affe und ich

Caspar Gottschlings "Der Staat Von Schlaraffen-Land" vermag auch heute noch, den Menschen einen Spiegel vorzuhalten

Von Sigrid GaisreiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sigrid Gaisreiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer die Welt als Narrenhaus sieht, kennt viele Helden, das wusste schon Sebastian Brant, der mit dem "Narrenschiff" ein Genre begründete, bevölkert von Schlitzohren, Einfaltspinseln, Schelmen, Dummköpfen und anderen Typen von Narren. Zum Narren gehört als Requisite der Spiegel, den er anderen vorhält, auf das man sehend und klug werde. Der Schalk sitzt auch dem Schriftsteller Caspar Gottschling (1679-1739) im Nacken, als er in seiner Erzählung "Der Staat Von Schlaraffen-Land" lediglich von einer Affen-Gesellschaft erzählt, an deren Beispiel er den Leser unterhaltsam und moralisch belehrt. Den einfach strukturierten Text kann man dem Genre der Narrenliteratur zuordnen, da er deren Elemente aufnimmt und neu mischt. Entstanden ist eine Fiktion und ein moraldidaktischer Traktat, der aber auch als kritische Satire oder Parodie auf literarische Gattungen, wie Länderbeschreibungen, gelesen werden kann.

In ein Verhältnis zu Affen tritt der astronomiebegeisterte Ich-Erzähler, der bereits im Greisenalter ist, als er ein phantastisch-physikalisches Experiment durchführt und sich in mit Tau gefüllten Glasflaschen in die Lüfte erhebt. Durch die Verdunstung des Wassers fällt er ins Meer und wird durch einen Fisch gerettet, der ihn am Ufer einer ihm unbekannten Insel absetzt. Sie ist von Affen bevölkert und trägt den Namen Schlaraffenland. Dort fließen aber weder Milch und Honig noch herrschen paradiesische Zustände, die Affen sind kurz davor, dem ungebetenen Gast ordentlich zuzusetzen. Die Angriffe kann der Immigrant abwenden, indem er sich anpasst. Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten gibt es nur anfangs, dann lernt der neue Bewohner schnell das Affen-ABC, eine Art Esperanto. Durchsetzt mit moralphilosophischen Sentenzen, intertextuellen Bezügen zur literarisch-philosophischen, griechisch-christlich-humanistischen Überlieferung und den Anfängen des Rationalismus, kommentiert der Autor die Ereignisse in Schlaraffenland und spielt mit der anthropologischen Differenz von Mensch und Tier. Besonders deutlich wird dies an einer Szene, als der Immigrant versucht, den kategorialen Unterschied zwischen Mensch und Tier und damit die Überlegenheit des Menschen über das Tier (den Affen) zu erläutern. Auf diese Rede reagieren die Affen sehr allergisch, wurden sie doch von den Menschen grausam - das heißt menschlich - behandelt und mußten auf die Insel fliehen. Sie drohen dem Einwanderer, ihn den gleichen Torturen auszusetzen. Damit spielt Gottschling auch auf koloniale Exzesse an, die dem Einwanderer vielleicht nicht ganz unbekannt sind, lässt er doch umgehend von seiner Qualifizierung als Mensch und nennt sich einen afrikanischen Affen.

Zwar wird das Tierreich von Gottschling teilweise als positive Kontrastfolie zur Welt der Menschen verwendet, aber auch die Affen sind mit der gesamten Skala menschlichen Verhaltens und Denkens ausgestattet und daher auch für rationale Erläuterungen empfänglich. Eine solche fordern sie umgehend vom Gestrandeten ein, ist ihnen doch noch nicht plausibel, wie er ihr anonymes Exil hatte finden können. Es folgt daher eine diesen Umstand erklärende Binnenerzählung, die sich ein wenig von der tatsächlichen Reise des Tüftlers unterscheidet. Sehr vergnüglich liest sich die Abschlusspassage, die den mitgeführten Glasflaschen gilt. Hier reitet Gottschling nun eine Philippika gegen menschliche Modegecken, die sich in nichts von den Affen unterschieden. Angeregt durch die in der Binnenerzählung vorgenommene Aufwertung der Flaschen als letzten modischen Schick schmücken sich die Affen mit ihnen. Mit einem Wortspiel vom unvernünftigen Nachäffen beschließt Gottschling seine Erzählung, in der nicht mit gering dosierter Vernunft die Welt regiert wird. Hier bricht der Text unvermittelt ab, der an dieser Stelle angekündigte zweite Teil vom Staat der Affen, wird nicht mehr erzählt.

Gottschlings Methode, am Tierbeispiel moraldidaktisch zu unterhalten, ist nicht neu und war zu seiner Zeit weit verbreitet, wird aber auch in der Gegenwart fortgeführt, aktuell mit bildnerischen Mitteln von Jörg Immendorff. Eine Zeichnung von ihm, betitelt mit "Der Affe und ich", zeigt im Vordergrund einen in den Spiegel sehenden Affen in einer Kunstausstellung. Im Hintergrund hält sich ein menschlicher Besucher auf, der, das Gemälde eines Affen betrachtend, diesem und dem Besucher-Affen sehr ähnelt.

Ein ausführliches und kenntnisreiches Nachwort von Nikola Roßbach, auch zur Datierung und Zuschreibung dieser Schrift, macht dieses Buch zu einem echten Fundstück.


Titelbild

Caspar Gottschling: Der Staat Von Schlaraffen-Land.
Mit Kommentar, Nachwort und Bibliografie herausgegeben von Nikola Roßbach.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2007.
114 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783865250605

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