Politikberatung gegen Hitlerdeutschland

Zur deutschen Neuauflage von Sebastian Haffners "Germany: Jekyll & Hyde"

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"1939 - Deutschland von innen betrachtet" - lautet der treffende Untertitel der deutschen Übersetzung des 1940 bei Secker und Warburg in London erschienenen Erstlings von Sebastian Haffner, mit dem dieser seine Laufbahn als politischer Publizist begann. Aus dem Englischen übersetzt von Kurt Baudisch - das deutsche Originalmanuskript gilt als verschollen - erschien das Werk nur leicht und sinnvoll gekürzt erstmals 1996 auf deutsch und ist nunmehr um eben diese Kürzungen vervollständigt, ansonsten aber unverändert auf dem deutschen Buchmarkt erhältlich.

Das Buch des 1938 nach England emigrierten Autors ist nach eigenem Bekunden ("die Zeit drängt") sehr rasch geschrieben worden. Es wurde im April 1940, so der englische Verleger in einer Vorbemerkung, fertig gestellt und wegen seiner "aktuelle[n] nationale[n] Bedeutung" überhastet in Druck gegeben, ohne die Schlusskorrektur durch den Autor abzuwarten.

Die Einschätzung des Verlegers war ganz im Sinne Haffners, denn er will nichts weniger, und sagt das auch mehrfach, als mit seinen Darlegungen auf die britischen Entscheidungsträger direkt Einfluss nehmen, sowohl was deren Kriegspropaganda als auch was die Kriegsziele gegenüber Deutschland betrifft. In diesem Sinne entwirft er sein Bild von der politischen Seelenlandschaft Deutschlands unter der Naziherrschaft. Haffners deutsche Innenansicht führt zu der Erkenntnis, dass der preußisch-deutsche Nationalstaat eine Fehlentwicklung gewesen und Deutschland überhaupt, wegen seines Mangels an Realitätssinn und Freiheitswillen, nicht zur Großmacht und nicht oder nur bedingt zu Widerstand gegen Tyrannei und Demokratie begabt sei. Demgemäß richtet sich in den letzten drei Kapiteln die ganze Energie und Überzeugungskunst des Autors darauf, England - wir schreiben Frühjahr 1940, Dünkirchen und die französische Niederlage stehen kurz bevor - von einem Kompromissfrieden mit Nazi-Deutschland abzuhalten. Der Krieg, argumentiert Haffner, müsse bis zum Ende ausgefochten werden, bis Hitler und das Naziregime gänzlich beseitigt seien, politisch, moralisch und physisch, erst dann werde das deutsche Volk vom Nationalsozialismus geheilt und die Welt vor Deutschland sicher sein.

Die Sieger sollen nach Haffners Vorstellung dem Land zu einer neuen, ihm gemäßen staatlichen Verfassung verhelfen: Nach Bestrafung der Nazi-Verbrechen müsse der staatliche Umbau von den historischen deutschen Ländern aus erfolgen. Hier kommen nun die oben erwähnten Kürzungen der deutschen Erstveröffentlichung ins Spiel, knappe historisch grundierte, zuweilen auch mehr volks- und stammespsychologische Charakterisierungen von, nach Haffners Zählung, insgesamt acht Ländern, Preußen und Österreich inbegriffen, letzteres natürlich als völlig selbständig verstanden. Preußen, an dem er in politicis kein gutes Haar lässt, soll neben Berlin mit Umland nur noch die Provinzen Brandenburg, Pommern, Ostpreußen und Schlesien umfassen; doch als Ästhet, der er ist, kommt der Autor nicht umhin, ihm für das halbe Jahrhundert zwischen Wiener Kongress und Königgrätz wenigstens die "Entwicklung eines eigenen Stils" zuzubilligen.

An diesem Punkt wird Haffner später anknüpfen, als er das 1947 von den Siegermächten aufgelöste Preußen ungleich positiver beurteilte als zu Beginn des Krieges. Schon jetzt ist ihm seine Heimatstadt Berlin, das Berlin der zwanziger Jahre, ohnehin eine Ausnahme, nicht preußisch und nicht einmal deutsch, vielmehr "die Quintessenz einer internationalen Metropole". Damit nicht genug: Anders als das zerstörerische Preußen "hat Berlin Vernunft, Frohsinn und Nutzen zu bieten. Das künftige Preußen muss Berlin getauft werden."

Gelegentliche Übertreibungen der letzteren Art mindern nicht die Seriosität des Buches, das durch Hellsichtigkeit, etwa hinsichtlich der Natur des Nationalsozialismus und der Selbstmordaffinität Hitlers, ebenso besticht wie durch seine scharfsinnigen politischen Analysen, etwa über die Opposition und die politischen Parteien der Weimarer Zeit. Darüber hinaus bietet es dank der Intelligenz und stilistischen Versatilität seines Autors ein wahres Lesevergnügen, was um so mehr erstaunt, als es sich nach Auskunft des deutschen Erstverlegers Uwe Soukup um eine Rückübersetzung aus dem Englischen handelt.


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Sebastian Haffner: Germany: Jekyll & Hyde 1939 - Deutschland von innen betrachtet. Erste ungekürzte deutsche Ausgabe.
Übersetzt aus dem Englischen von Kurt Baudisch.
Edition Büchergilde, Frankfurt a. M. 2008.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783940111456

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