Zur Aufklärung der feministischen Philosophie

Die Philosophin Herta Nagl-Docekal gibt Orientierungshilfe in einer weitgespannten Diskussionslandschaft

Von Antje GimmlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antje Gimmler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 'feministische Philosophie' hat sich - hinter dem Rücken der akademischen Fachphilosophie - zu einem eigenen Diskurszusammenhang entwickelt. Dieser ist transdisziplinär ausgerichtet und verbindet Philosophie, Literaturwissenschaft, Psychologie und Psychoanalyse, Sozialwissenschaft, Ethnologie usw. Die Wiener Philosophin Herta Nagl-Docekal nimmt die inzwischen breit ausgefächerte Diskussionslandschaft der feministischen Philosophie zum Anlass, eine kritische Sichtung der Theorien, Ansätze und Debatten zu geben. Dabei lässt sie sich auf die essentialistischen Fallstricke gar nicht erst ein, die auftauchen, versucht man das 'Feministische' der 'feministischen Philosophie' auf das 'Feminine' zurückzuspielen, sei es nun bestimmt durch Natur oder Sozialisation, festgelegt entweder ontologisch oder psychologisch. Zum Kernpunkt der 'feministischen Philosophie' erklärt Nagl-Docekal den aufklärerisch-pragmatischen Anspruch, "das gesamte Fach mit der Problematik der hierarchischen Geschlechterdifferenz zu konfrontieren". Damit kann einerseits in allen philosophischen Fragestellungen und Disziplinen das Thema der Geschlechterdifferenz thematisiert werden, und andererseits kann keine der im feministischen Theoriefeld anzutreffenden Ausrichtungen, das Monopol für ihren Ansatz beanspruchen. 'Feministische Philosophie' ist vielmehr ein Titelwort, unter dem sich viele, z.T. ganz unterschiedlich ausgerichtete Ansätze tummeln können, die allerdings eines gemeinsam haben sollten: "Philosophieren am Leitfaden des Interesses an der Befreiung der Frau". In ihrer systematisierenden Untersuchung der vielfältigen und weitverzweigten Debatte analysiert Nagl-Docekal vier einschlägige Themenkomplexe: die Diskussion um die Differenz von sex und gender, die feministischen Entwürfe zu einer ästhetischen Theorie, die feministische Vernunftkritik und die feministischen Kritiken der politischen Philosophie.

Am Beispiel der Diskussion um die Begriffe sex und gender, die feministische Theoretikerinnen in der ersten Phase der Frauenbewegung zur Differenzierung zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und der Geschlechterrolle (gender) eingeführt haben, zeigt Nagl-Docekal in welche Schwierigkeiten Gender-Theorien geraten, die solcherart Unterscheidungen wieder aufheben möchten. Die starke These der Kritikerinnen der Sex/Gender-Unterscheidung lautet, dass der Körper und damit auch das biologische Geschlecht durch diskursive Praktiken allererst konstituiert sei. Theoretikerinnen wie Judith Butler oder Elizabeth Grosz folgern im Rekurs auf Foucaults Konzept der Machtdiskurse, dass es das biologische Geschlecht, jenseits der kulturellen, wissenschaftlichen und symbolischen Praktiken, die den Körper gleichsam erst erzeugen, gar nicht gibt. Sie gehen damit über die schwächere These hinaus, die z.B. von Donna Haraway vertreten wird, dass das biologische Geschlecht eine wissenschaftliche und soziale Konstruktionsgeschichte hat. Sowohl in der starken wie in der schwächeren Variante wird die Differenz zwischen Natur und Kultur - und seien diese Kategorien auch nur als Relationsbegriffe bestimmt - von den Konstitutions- und Konstruktionstheorien eingeebnet.

Die Schwierigkeiten solcher radikalen Konstruktionstheorien liegt für Nagl-Docekal erstens darin, dass diese uneingestanden mit einer Art diskursiver Leerstelle arbeiten. D. h. mit einem Etwas, über das, wie sie ausführt, der Theorie zufolge nichts ausgesagt werden kann. Allerdings: als 'unbestimmter Körper', 'Fleisch' oder 'reine Materialität' tritt in diesen Theorien - etwa bei Judith Butler - diese Leerstelle in Abgrenzung zum Diskursiven immer wieder auf. Neben dieser sprachphilosophischen Schwierigkeit sieht Nagl-Docekal eine zweite, noch gewichtigere Schwierigkeit. In einer radikalen Konstruktionstheorie, in der alles gleichermaßen durch Diskurspraktiken erzeugt und bestimmt ist, gibt es keinen plausiblen Grund für die Ablehnung oder Präferierung des einen oder des anderen Diskurses. Aus dem Machtkampf der Diskurse gibt es - so Nagl-Docekal - keinen Ausstieg. Hat man die Unterscheidung zwischen sex und gender, zwischen Natur und Kultur zugunsten einer durchgängigen Diskursivierung der Geschlechter aussortiert, hat man auch keine argumentativen Mittel an der Hand, zwischen den missbräuchlichen Verwendungen der biologischen Differenz zur Legitimierung hierarchischer sozialer und politischer Beziehungen und einer sinnvollen Zuschreibung biologischer Eigenschaften zu unterscheiden. Erst mit dieser Unterscheidung können die kulturellen und symbolischen Einschreibungen in den weiblichen wie den männlichen Körper in den Blick kommen: geschlechterspezifische Haltung und Mimik etwa, geschlechterspezifisches Körperempfinden bis hin zu geschlechterspezifischen Krankheitsbildern. An einer überzogenen konstruktivistisch-dekonstruktivistischen Theorie kritisiert Nagl-Docekal daher vor allem, dass "das Problem der Diskriminierung von Frauen aus dem Blickfeld zu treten droht."

Die Ablehnung der Differenz von Natur und Kultur als analytisch wertvolle Relationsbegriffe in Teilen der feministischen Philosophie hat seinen Grund aber auch, wie Nagl-Docekal in ihrem Kapitel über die feministische Vernunftkritik ausführt, in einer grundsätzlicheren Ablehnung, die aus einer überzogenen Vernunftkritik resultiert. Die Philosophin Nagl-Docekal plädiert keineswegs dafür, Vernunft, ihren Anspruch und ihre Bestimmungen von der Kritik auszusparen. Stattdessen sollen auch diese von der feministischen Philosophie auf ihre Geschlechterimplikationen hin untersucht werden. Denn dabei macht die feministische Theorie deutlich, dass der Anspruch auf Objektivität und Neutralität - 'der Blickpunkt von niemand im besonderen' wie dies der Wissenschaftstheoretiker Arthur Fine in kritischer Absicht ausdrückt - nicht eingelöst werden konnte. Feministische Vernunft- und Wissenschaftstheoretikerinnen wie z.B. Sandra Harding, Evelyn Fox Keller oder Elisabeth List haben viel zu einer anspruchsvollen Diskussion über die Geschlechterblindheit der Philosophie und der Wissenschaften beigetragen. Insbesondere die Erkenntnis der Situiertheit des Wissens lässt die Kritik an einer androzentrisch verzerrenden und verzerrten Wissenschaftsauffassung problemorientiert und umsetzbar erscheinen. Aber auch im Bereich der Vernunftkritik und der Kritik des traditionellen Wissenschaftsverständnisses stößt Nagl-Docekal auf ein Problem, das in zahlreichen feministischen Theorien auftaucht: "Diese Art der feministischen Kritik nimmt selbst genau jene Junktimierung von philosophischen Begriffen und Geschlechterklischees vor, die eigentlich Anlaß zur Distanznahme zu bilden hätten. Freilich ist es kein Zufall, daß dieses Problem immer wieder auftritt. Die Ursache liegt darin, daß der duale Raster (...) auf die verschiedensten Themenbereiche projiziert wird. So kommt es, daß die diesem Raster inhärenten Elemente des bürgerlichen Geschlechterentwurfs zum Hintergrund - und nicht zum Angriffspunkt - dieser Weise von Kritik werden."

Die Kritik der Vernunft wird, so Nagl-Docekal, in Teilen der Debatte so überzogen geführt, dass - z.B. von der Wissenschaftsphilosophin Sandra Harding - Formalität und Abstraktheit per se dem androzentrischen Vernunft- und Wissenschaftsverständnis zugeordnet werden und daher von der feministische Theorie abzulehnen seien. Das Klischee der am Konkreten und Praktischen orientierten Frau, die für Logik und Wissenschaftstheorie kein Verständnis haben kann, da diese Disziplinen einer männlichen Grundhaltung entspringen, feiert hier seine fröhliche Wiederkehr. Die historische Entstehung solcher Kriterien für Wissenschaftlichkeit muss aber keineswegs ihr heutiges Bedeutungs- und Anwendungsfeld determinieren. Die Hoffnung, dass sich mit der Partizipation von Frauen in den Wissenschaften auch etwas in diesen Wissenschaften - zum Besseren - ändert, ist keineswegs gleichbedeutend mit der Verabschiedung wissenschaftlicher Kriterien. Zumal rationale Begründung und Argumentation genau diejenigen Prinzipien sind, anhand derer die Mängel traditioneller Vernunfttheorien und Wissenschaftskonzeptionen bemessen werden. Nagl-Docekal legt daher den Finger auf den problematischen und "unausgetragenen Konflikt zwischen der artikulierten Vernunftkritik einerseits und den unthematisierten Vernunft-Voraussetzungen, auf denen die feministische Kritik selbst beruht, andererseits."

Mit ihrer kritischen Darstellung will Nagl-Docekal wie sie in der Einleitung betont, einer neuen "Orthodoxie" im Bereich der feministischen Theoriebildung entgegenwirken und die unterschiedlichen Theorieansätze wieder ins Gespräch miteinander bringen. Mit dem hier vorgeführten Differenzierungsniveau trägt dieses Buch nicht nur zu einer solchen anspruchsvollen Debatte über die feministische Philosophie bei, sondern stellt einen wichtigen Ansatzpunkt für eine inhaltlich motivierte Einwanderung der Themen und Fragestellungen feministischer Philosophie in die akademische Philosophielandschaft dar.

Titelbild

Herta Nagl-Docekal: Feministische Philosophie.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1999.
284 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3596138558

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