Von rotgelbblauen Wundern, Fußballpoesie und anderen Erscheinungen

Kristina Werndls Anthologie versammelt ganz unterschiedliche Sichtweisen auf das Rumänien von heute

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rumänien steht hierzulande nur selten im Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit. Und wenn, dann leider oft mit Negativschlagzeilen. Obwohl seit eineinhalb Jahren Mitglied der Europäischen Union, ist es in vieler Hinsicht für andere Europäer ein eher weißer Fleck auf der Landkarte. Immer wieder bemühte Stereotype und verbreitetes Halbwissen tragen nicht zur Imageaufwertung dieses Landes bei. Versuche, dieser Situation Abhilfe zu schaffen, sei es durch Vermittlung von fundiertem Wissen oder von persönlichen und individuellen Eindrücken, gibt es sowohl in Fachkreisen als auch durch Wortmeldung von Menschen, die mitunter eher zufällig Bekanntschaft mit Rumänien geschlossen haben. Verwiesen sei hier nur auf das durch einen längeren Aufenthalt vor Ort inspirierte Büchlein von Hilke Gerdes "Rumänien für Deutsche. Mehr als Dracula und Walachei" (siehe literaturkritik.de Nr. 4-2008) oder das gerade in zweiter Auflage im LIT Verlag Wien erschienene, fast eintausend Seiten umfassende Grundlagenwerk zu Rumänien mit enzyklopädischem Anspruch, in dem zahlreiche Wissenschaftler komplex und fundiert über Geschichte, Kultur und Gesellschaft informieren.

Das Schließen von Wissenslücken ist ebenso Ziel des vorliegenden Bandes, der den gängigen Klischees eine Erklärung des gegenwärtigen Rumänien entgegensetzen will, dabei aber nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Anthologie erhebt. Die Herausgeberin versammelt vierundzwanzig überwiegend österreichische und rumänische Autoren unterschiedlicher Profession, die nicht immer auch Rumänien-Experten sind. Mit ihren Text- und Bildbeiträgen geben sie verschieden geartete Einblicke und vermitteln so dem Laien einen kaleidoskopartigen Eindruck vom rumänischen Alltag, von der lebendigen Kultur der Gegenwart, von Geschichte und Politik.

Der Abschnitt "Fremdbilder" vermittelt vor allem sehr persönliche, teilweise poetische und künstlerische Perspektiven auf Land und Leute. Unter der Rubrik "Einblicke" sind informative Beiträge zu solchen Bereichen wie Geschichte, aktueller Innenpolitik, Medien- und Verlagslandschaft sowie zu verschiedenen Künsten zusammengefasst. Die "Selbstbilder" geben Auskunft über rumänische Identitätskonstruktionen, sei es anhand der Untersuchung von Hotelnamen oder den Sprechchören von Fußballfans.

Neben Künstlern, Schriftstellern, Fotografen und bildenden Künstlern kommen Journalisten, Philosophen und Wissenschaftler, darunter sogar ein Kriminalbiologe, zu Wort, der auf ein gängiges Rumänien-Stereotyp Bezug nehmend unter dem Titel "Tanz der Vampir-ForscherInnen" vom jährlichen Treffen internationaler Dracula-Experten berichtet und deren Ansichten kritisch unter die Lupe nimmt. Doch sind glücklicherweise nicht nur die traditionell mit Rumänien in Verbindung stehenden Themen präsent. So widmen sich weitere Beiträge dem rumänischen Sport, der Graffiti-Szene, dem auch international erfolgreichen Film, der Übersetzung von Literatur ins Rumänische. Gerade diese Texte zeigen, dass Rumänien in der europäischen Landschaft präsent und in den verschiedensten Bereichen durchaus auf der Höhe der Zeit ist.

Interviews, Reiseeindrücke, Essays und literarische Texte wechseln mit wissenschaftlichen Studien, zum Beispiel über das Roma-Bild der Rumänen oder zur Demokratie im Lande. Daher handelt es sich nicht immer um systematische Überblicksdarstellungen, wie etwa der Titel "Ab wann ist Gegenwart? - Zur Literatur Rumäniens" vermuten lässt. Nicht Ausführungen zur rumänischen Gegenwartsliteratur sind hier Gegenstand, sondern der Aufsatz widmet sich vorrangig deutschsprachigen Autoren Rumäniens, die allerdings zumeist seit langem in Deutschland leben und schreiben. Wie es um die rumänische Literatur im Lande derzeit steht, hätte man zu gern differenzierter erfahren. Ein Verweis auf Übersetzungen von Werken zeitgenössischer rumänischer Schriftsteller ins Deutsche gerade auch von österreichischen Verlagen hätte zu weiterer Lektüre anregen können.

Bescheinigen kann man dem Band allemal, dass er seinen Zweck, Interesse für und Neugier an diesem Land, den Menschen und seiner Kultur zu wecken, und dabei "vorgefertigtes Wissen" auch zu hinterfragen, durchaus erfüllt.


Titelbild

Kristina Werndl (Hg.): Rumänien nach der Revolution. Eine kulturelle Gegenwartsbestimmung.
Wilhelm Braumüller, Wien 2007.
196 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783700316183

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