Prügel schaden nicht?

Zur Neuauflage von Christoph D. Brummes "No"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Erzähler schildert das Familienleben einer "durchschnittlichen" Familie in der DDR, am Rande des Harzes, des zentralen Mittelgebirges Deutschlands, in dem kleinen Dorf Elend. Zeitlich ist die Handlung nicht determinierbar. Und wenn in der Erzählung und den Alltagsschilderungen nicht DDR-typische Begriffe auftauchten wie etwa Dederon, wäre es ein zeitloses Szenario, in dem sich die Protagonisten bewegen. Dabei ist der Ort relativ genau festgelegt. Man befindet sich im Grenzbereich der DDR, an der Grenze zum Westen, wenige hundert Meter von den Sperranlagen entfernt. So genannte "Grenzverletzer" gehören ebenso zum Alltag des Dorfes wie die Grenzsoldaten.

"Wenn No etwas kannte, dann den Stock. Der Stock lag auf dem Küchenschrank. Das war ein Haselnussstock mit einer dunklen Rinde. Er war am unteren Ende leicht geschwungen, da, wo Nos Vater den Stock anfasste. [...] Mit diesem Stock bekamen No und Nos Brüder öfter mal eine Tracht Prügel, wenn es nötig war, wie Nos Vater sagte. Es war oft nötig, eine Zeitlang sehr oft, eine andere Zeitlang weniger oft, aber immer noch oft genug."

Auch wenn die Tagesabläufe von No und seinen Geschwistern sich aus Alltäglichkeiten zusammensetzen, liegt doch über jedem Schritt die Angst vor Gewalt. Dabei schafft es Brumme auf eine für den Leser unmerklich beeindruckende Art die Struktur der Gewalt zu "filtern", sichtbar zu machen und die Aussichtslosigkeit und Unausweichlichkeit von Situationen zu zeigen. Egal, wie die Kinder sich verhalten, wenn es dem Vater in den Sinn kommt, prügelt er. Dabei versäumt er nicht, die Schuld für die Prügel den Kindern anzulasten. Mit seiner argumentativen Stärke als Lehrer ist er den Kindern deutlich überlegen.

Die großen Geschwister verlassen sobald wie möglich das Elternhaus, sagen sich von diesem sogar dezidiert los. No ist noch nicht alt genug, also muss er bleiben. Die "Subtilität" der Quälerei macht dabei vor keinem Bereich halt: "Dass ein Stock zerbrochen war, war nicht zum ersten Mal passiert. Einmal war ein Stock am Küchentisch zerbrochen, als Nos Vater ausgeholt hatte. Das war keine dolle Tracht Prügel gewesen, weil eine dolle Tracht Prügel gab es nur im Keller. Im Keller war mehr Platz. In der Veranda und in der Küche konnte Nos Vater nicht weit genug ausholen, da standen Möbel im Weg. Und im Keller hörte es niemand, wenn sie schrien und heulten. Deshalb mussten sie auch in den Keller, damit das niemand hörte."

Das erschütternde Buch hält ein erschreckendes Gleichgewicht zwischen dem Anschein von Normalität und der Brutalität und Gewalt in der Familie. Es ist nur zu begrüßen, dass das 1994 unter dem Titel "Nichts als das" erschienene Buch noch einmal veröffentlicht wurde - ganz unabhängig von den aktuellen Bezügen. Treffende und gleichzeitig lapidare Worte Nos schließen das hervorragend lesbare und empfehlenswerte Büchlein und verweisen gleichzeitig auf die Übertragbarkeit der Handlung an jeden elenden Ort: "Und im Ferienlager wurde er gefragt, wo er eigentlich herkäme. Aus Elend, antwortete er. Da lachten alle. Aber eigentlich fiel es nur selten jemandem auf, welche Bedeutung dieser Name hatte."


Titelbild

Christoph D. Brumme: No. Roman.
Dittrich Verlag, Berlin 2008.
192 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783937717234

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