Humor Marsch!

Gudrun Pausewang beschäftigt sich mit dem erlaubten "Humor im Nationalsozialismus"

Von Erhard JöstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erhard Jöst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ein Käufer kommt in eine Apotheke und verlangt 100 Mottenkugeln. Der Apotheker gibt ihm die Kugeln. Am nächsten Tag kommt der Käufer wieder, verlangt aber jetzt 1000 Mottenkugeln. Der Apotheker ist nicht wenig erstaunt und fragt: ,Wozu brauchen Sie denn die vielen Kugeln?', Käufer: ,Na, was denken Sie, wie viel Kugeln ich gebrauche, bis ich eine Motte treffe!'"

"Kurt will die Schule schwänzen. Er geht an das Telephon und meldet dem Lehrer mit verstellter Stimme: ,Mein Sohn ist krank. Er kann leider heute nicht kommen.' Auf die unerwartete Frage des Lehrers: ,Wer ist denn da?' antwortet er stotternd: ,Mein Vater!'"

Das sind zwei Witze, die im Jahr 1937 in einem Heft der vom NS-Lehrerbund herausgegebenen Jugendzeitschrift "Deutsche Jugendburg" erschienen, mit denen Kindern und Jugendlichen "Anreize zum Lachen" geliefert werden sollten. Gudrun Pausewang führt sie in ihrem Buch "Erlaubter Humor im Nationalsozialismus" als Beispiele für "bezweckten Humor" an. Bekanntlich wollten die Nazis vor allem die Jugend für sich gewinnen. Aber da man junge Menschen "allein mit Pathos, Gefolgschaftstreue und gläubiger Inbrunst auf Dauer nicht bei der Stange" halten kann, muss man ihnen auch "Spaß, Heiterkeit, Anreize zum Lachen" geben. Und so füllte man Zeitungen und Zeitschriften mit derartigen Witzen, die für das System nicht die geringste Gefahr darstellten. Solche Witze gab und gibt es freilich in jeder Staatsform. Interessanter sind daher zeittypische humoristische Äußerungen.

Gudrun Pausewang hat den Volkshumor in Deutschland 1933 - 1945 gesichtet und kategorisiert. Ins Zentrum ihrer Untersuchung wurde der erlaubte, der bezweckte und der unfreiwillige Humor gerückt, weil Sammlungen und Untersuchungen zu den Flüsterwitzen und zu dem verbotenen Humor der NS-Zeit bereits in großer Zahl vorlägen und "das Feld des verbotenen Humors im Dritten Reich wissenschaftlich also schon intensiv ,beackert' worden" sei: "Womit sich die Sekundärliteratur aber noch so gut wie gar nicht befasste, ist der vom NS-System genehmigte, also erlaubte Humor. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich deshalb mit der Frage, ob die nationalsozialistische Führung Humor überhaupt zuließ. Wenn ja: Was hat sie dazu veranlasst? Und welche Art von Humor wurde erlaubt bzw. toleriert? Gab es Humor, den das NS-System sogar förderte? Wenn ja, wie? Und was war der Grund dafür? Welcher Art war dieser ,von oben' geförderte Humor? Kam er beim Volk an, wurde er genossen? Erreichte er die bezweckte Wirkung?"

Das sind gewiss wichtige Fragen, die Pausewang aufgeworfen hat, aber in der Summe bleibt sie die Antworten schuldig. Sie hat Primär- und Sekundärliteratur gesichtet: Witze in Kinder- und Jugend-, in Tages- und Wochenzeitungen und in Kalendern; heitere Erzählungen, Liedertexte und Theaterstücke, Filme und Rundfunkprogramme, Gebrauchslyrik, karnevalistische Büttenreden, Beispiele aus dem "Wunschkonzert" und Programmfolgen von "Heiteren Abenden" in Lazaretten, von KDF-, Schul- und Betriebsveranstaltungen. Herausgekommen ist ein gut lesbares Buch, das eine kurze Einführung in den Humor der NS-Zeit bietet. Wer sich freilich eine gründliche Analyse, eine eingehende Erläuterung und Interpretation des erlaubten Humors in einer Diktatur erhofft, fühlt sich enttäuscht. Die Abhandlung tippt die angesprochenen Aspekte lediglich an und gibt sich in der Regel mit Aufzählungen zufrieden. Der Karneval und die antijüdische Hetze in der Kinderliteratur werden beispielsweise auf jeweils zwei Druckseiten abgehandelt.

Die Darstellung von Joseph Goebbels' Einstellung zum Humor, im Inhaltsverzeichnis angekündigt, beschränkt sich auf gerade einmal zehn Zeilen. Pausewang lässt die Aussage des Reichspropagandaministers, natürlich gebe es "in Deutschland noch Humor genug. Aber es gibt Reservate, die uns heilig sind, und an die soll sich niemand heranwagen [...] Wir haben Humor, aber hier gibt es eine Grenze", von Werner Finck kommentieren: "Diese Abers hätten nicht kommen dürfen. Nichts ist ja für den Humorlosen entlarvender als das Aber und die Grenze. Wie oft kann man das hören: Ich habe weiß Gott Sinn für Humor - aber: das geht zu weit! Nun, wenn Sie mich fragen, da wo es denen zu weit geht, da fängt der Humor grad erst an."

Diese zwei Zitate sind alles zu dem Thema, und das ist natürlich viel zu wenig. Mit dem Artikel "Haben wir eigentlich noch Humor" aus dem "Völkischen Beobachter" vom 4.2.1939, aus dem das Goebbels-Zitat stammt, hätte sich Pausewang unbedingt intensiv auseinander setzen müssen, da er die Grundsätze des NS-Humors anspricht. Goebbels hatte diese Erklärung seinerzeit anlässlich des Ausschlusses von fünf Reichskulturkammermitgliedern, unter anderem von Werner Finck, abgegeben. Da Pausewang die Goebbels-Sätze aus einem 1982 erschienenen Buch von Bartel F. Sinhuber über Werner Finck zitiert, liegt die Vermutung nahe, dass ihr der gesamte Artikel selbst nicht vorlag. Goebbels legt in ihm dar, dass die Nazis sich gezwungen sehen, "in der Frage des sogenannten politischen Witzes, der alles andere, nur nicht witzig ist, eine Reihe von Maßnahmen zu treffen", um die voranschreitende "Entartung und Disziplinlosigkeit" und die sich hier zeigende "krankhafte politische Tendenz" zu unterbinden: "Eine Zeitkrankheit" müsse "in dem Augenblick, in dem sie anfängt, eine öffentliche Gefahr darzustellen", beseitigt werden. Wie bei den Nazis üblich, sind die Schuldigen längst ausgemacht: "Es ist das die alte, früher meist von Juden geübte Methode, Dinge des öffentlichen Lebens anzugreifen, zu karikieren, lächerlich zu machen und zu verhöhnen und damit in der öffentlichen Achtung herunterzusetzen." Goebbels fordert stattdessen ausschließlich "jene Art von Humor, wie sie seit ewigen Zeiten in den breiten Massen des Volkes gepflegt wurde, ein Humor, der gutmütig, anständig und sauber ist und, wenn nötig, auch derb und zugreifend sein kann." Bestimmte Reservate, die den Nazis ,heilig' sind, dürften nicht satirisch unterhöhlt werden: "Die Dinge, die uns heilig sind, sind auch dem Volke heilig" und müssten vor humoristischen Angriffen geschützt werden. "Die Amtsverwalter der Partei" dürften von dem "parasitären Geschmeiß" nicht "zum Gegenstand billigen Spottes und frechster Verhöhnung" gemacht werden. Der Propagandaminister konstatiert, dass das deutsche Volk durchaus Humor habe, "aber es handelt nach einem klaren, dem preußischen Kommiß entlehnten Grundsatz, nach dem immer nur der das Recht hat, zu spotten, zu meckern, oder auch mal zu schimpfen, der mitmarschiert". Deshalb fordert er auch die "Herren Witzemacher" auf, sie mögen sich "freiwillig zum Westwallbau" melden. Schon allein aus diesen Thesen geht hervor, dass die Nazis den Humor zielgerichtet für ihre Bewegung und für ihre Eroberungspolitik einsetzen wollten. Folglich kümmerten sie sich vor allem auch um die humoristische Unterhaltung der Landser. Diese sollten auf ihren Märschen Lieder singen, damit die Parole "Führer befiehl, wir folgen dir" in ihren Köpfen verankert wurde, und sie sollten mit amüsanter Unterhaltung bei Laune gehalten und vom fürchterlichen Kriegsalltag abgelenkt werden. Daher setzte man gezielt solche Witze ein: "Im Polenfeldzug war's. Der kommandierende General wollte nach vorn zu seinen Truppen fahren. Ein eifriger Leutnant erlaubte sich den Hinweis, dass die beabsichtigte Fahrstraße vom Gegner eingesehen werden könne, und fügte warnend hinzu: ,Es wird geschossen.' Gleichmütig erwiderte General W.: ,Ja, ja, das soll im Kriege manchmal vorkommen!'" Der "Völkische Beobachter" veranstaltete sogar ein Preisausschreiben, zu dem die Soldaten ihre "heiteren Erlebnisse aus den Feldzügen" einreichen sollten. Pausewang verweist auch darauf, dass "während des Krieges der Soldatenwitz in seiner Ventilfunktion" sehr verbreitet war.

Humoristische Äußerungen, die den Vormarsch der Nazis unterstützten, wurden gefördert, kritische Satire mit härtesten Maßnahmen unterbunden. So gab es große Vorbehalte gegenüber den Intellektuellen. Der Münchner Komiker Weiß Ferdl, auf den Pausewang in ihrem Kapitel zum politischen Kabarett etwas näher eingeht, griff dies in einem seiner Lieder auf und sang im "Wunschkonzert": "Ich bin froh: Ich bin kein Intellektueller, kein Siebengscheiter, Aufgeweckter, kein ganz Heller. Das hat mir oft genützt im Leben, denn es soll manchmal Zeiten geben in denen ist Wissen gar nicht so begehrt: Ein bisschen dumm sein hat sich oft bewährt!"

Im "Dritten Reich" gab es aber wenig zu lachen. Das politische Kabarett war den Nazis ein Dorn im Auge. Werner Finck kannte die Spitzel, die ihn bei seinen Auftritten in der "Katakombe" beobachteten: "Sie waren sehr hellhörig und begriffen schnell. Immer, wenn besonders schallend gelacht oder stürmisch applaudiert wurde, wußten sie sofort: ,Aha, da war was!' Einmal fragte ich einen, der so unauffällig wie möglich mitschrieb: ,Spreche ich zu schnell? Kommen Sie mit? - Oder - muß ich mitkommen?'" (Werner Finck: Alter Narr - was nun?, München 1972) "Kabarettisten wissen: Lächerlichkeit tötet", konstatiert Dietrich Kittner und konkretisiert: "Auf keine Kunstform trifft der Begriff Kunst als Waffe so präzise zu wie auf politische Satire". In der Theorie trifft es sicherlich zu, dass man mit politischer Satire Diktatoren stürzen kann, aber da das die Diktatoren auch wissen, unterbinden sie diese im Ansatz. Und dass das Kabarett, das mit satirischen Mitteln politische Machenschaften entlarvt, in jeder Staatsform von den Regierenden argwöhnisch überwacht und gegebenenfalls unterdrückt wird, davon können gerade die bekanntesten Kabarettisten der Gegenwart wie Dieter Hildebrandt und Dietrich Kittner ein Lied singen.

Pausewangs Buch hat seine Stärken in den Kapiteln, in denen die Autorin ihre Schreibmotivation und ihre persönliche Betroffenheit darlegt und in denen sie auf den unfreiwilligen Humor der NS-Zeit eingeht. Sie überzeugt mit ihrer Ehrlichkeit, mit der sie zugibt, dass sie in ihrer Jungmädchenzeit vom Nationalsozialismus eingenommen und geprägt wurde. Sie möchte beweisen, dass es "in der Nazizeit [...] nicht nur todernst" zuging: "Es fehlte in der NS-Zeit nicht an Witzen." Bei dem Kapitel über den "unfreiwilligen Humor" hätte man sich mehr Beispiele und eine gründliche Auswertung gewünscht. Beispielsweise reizen NS-Heiratsannoncen wie diese den heutigen Leser zum Schmunzeln: "SA-Scharführer, Anfang 30, Blutordensträger, blonder Vollgermane, kernig und erbgesund, sucht auf diesem Wege die Mutter seiner kommenden Kinder und Wahrerin seines Hortes. Selbe muß Garantin rassischer Vollwertigkeit kommender Geschlechter sein. Stattliche Blondine bevorzugt, nachgedunkelte Schrumpfgermanin unerwünscht. Eigenes Heim vorhanden. Vermögen Nebensache."

Anhand von solchen zweckgerichteten Texten aus dem Alltag kann die Zeitgebundenheit des unfreiwilligen Humors aufgezeigt werden: Die Nazi-Ideologie wirkt heute nur noch lächerlich. Dies hätte Pausewang anhand einer Fülle von Belegen darlegen können. Entlarvend ist zum Beispiel der bereits vor der "Machtergreifung" erschienene Roman "Die Sünde wider das Blut" von Artur Dinter, der 1934 bereits in einer Auflage von 250.000 Exemplaren vorlag. Der Protagonist Hermann und seine Frau Johanna, deren beider Vorfahren allesamt "blonde Nordgermanen" waren, wird der Kinderwunsch erfüllt. "Aber zu seinem und seiner Frau Entsetzen geschah das Unfaßliche, ganz Ungeheure, sie gebar ein Kind mit schwarzem Kraushaar, dunkler Haut und dunklen Augen, ein echtes Judenkind." Des Rätsels Lösung: Johanna war "etwa vor zehn Jahren von einem getauften jüdischen Offizier, der ihr die Heirat versprochen hatte, verführt und von ihm sitzen gelassen worden. [...] Es ist eine bedeutungsvolle, in der Tierzucht gemachte Erfahrung, daß ein edelrassiges Weibchen zur edlen Nachzucht für immer untauglich wird, wenn es nur ein einziges Mal von einem Männchen minderwertiger Rasse befruchtet wird. Durch eine solche aus unedlem männlichen Blute erzeugte Mutterschaft wird der ganze Organismus des edelrassigen weiblichen Geschöpfes vergiftet und nach der unedlen Rasse hin verändert, so daß es nur noch imstande ist, unedle Nachkommen zur Welt zu bringen, selbst im Falle der Befruchtung durch ein edelrassiges Männchen. Je höher entwickelt ein Lebewesen ist, um so eindringlicher tritt dieses Rassegesetz in die Erscheinung und seine höchste und folgenschwerste Wirkung erreicht es natürlich beim Menschen."

Gudrun Pausewangs Untersuchung gewährt insgesamt lediglich einen Einblick in den erlaubten Humor im Nationalsozialismus. In Bezug auf das Wesen und die Spielarten des Humors sowie über das Wesen und die Entstehung einer Diktatur und deren Konsequenzen für das Volk geht sie über Allgemeinplätze kaum hinaus. Aber der Autorin kommt das Verdienst zu, dieses Thema überhaupt ins Visier genommen zu haben. Und sie kommt am Ende ihrer Untersuchung auf "allerlei atemberaubende Gedanken": "Zum Beispiel auf den, dass Hitler in einem humorvollen Deutschland nicht hätte Fuß fassen können, weil er nicht ernst genommen worden wäre? Oder dass eine Ideologie wie der Nationalsozialismus in Deutschland kaum Chancen gehabt hätte, wenn es bei uns bisher nicht so ernst-verbissen, sondern lachbereiter, lebenslustiger lockerer, heiterer zugegangen wäre?" Es bleibt zu hoffen, dass die von ihr gestellten Fragen und Anregungen auch weiterhin von Literaturwissenschaftlern und Psychologen aufgegriffen werden.


Titelbild

Gudrun Pausewang: Erlaubter Humor im Nationalsozialismus (1933-1945).
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
146 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-13: 9783631567432

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