Die vielleicht Geeigneten

Peter Høegs Roman "Der Plan von der Abschaffung des Dunkels" ist als Hörspiel erschienen

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seltsame Koinzidenz: Da wird endlich die furchtbare Wahrheit über ein Kinderheim auf der Insel Jersey bekannt, und zeitgleich erscheint ein Roman als Hörspiel, der von solchen Horrorheimen der 1970er-Jahre erzählt. "Der Plan von der Abschaffung des Dunkels" ist ein unverändert eindrucksvolles, mörderisch spannendes Frühwerk des Erfolgsautors Peter Høeg. Im Gedächtnis blieb es weniger durch seine reichhaltig vorhandenen, für das Genre des Schülerromans typischen grausamen Szenen als durch seine Reflexionen über die Zeit. Bei seinem Erscheinen 1993 in Dänemark sorgte der Roman nicht zuletzt deshalb für Aufsehen, weil er zumindest teilweise auf Selbsterlebtem basiert. Und den Verlust der Kindheit durch eine ins Unmenschliche getriebene Humanität anklagt, die alles hinauf ans Licht zerren will, was von Natur aus (noch) zweifelhaft und dunkel ist.

Denn Høegs Pädagogen sind durchaus keine Triebtäter oder Sadisten, sondern eifernde Humanisten. Hat Biehl, der Schulleiter, einen Schüler geschlagen, bringt er zuerst seine Kleidung in Ordnung. "Wie ein Mann, der auf der Toilette gewesen ist. Oder bei einer Hure. Und jetzt etwas überstanden hat, das lästig war, aber notwendig." Nicht nur der kalkulierte Einsatz eskalierender Gewalt diszipliniert, auch die Zeit. In der elitären Privatschule am Rande Kopenhagens, die unerklärlicherweise plötzlich auch schwer erziehbare, straffällige Kinder aufnimmt, ist die Zeit der Schüler auf die Sekunde genau geregelt. Dass dahinter vielleicht ein geheimer Plan stecken könnte, erweist sich schon bald als schreckliche Realität.

Ein rigides Zeitmanagement trachtet, jegliches Alleinsein, jede unkontrollierte Kommunikation untereinander zu verhindern. Gänzlich ungeplant ist aber, dass dabei jene, die auf der Grenze stehen, die "vielleicht Geeigneten" (wie der dänische Originaltitel des Romans lautet), eine krankhaft gesteigerte Empfindlichkeit für die Zeit entwickeln. Wie die Hauptfigur, die Peter heißt und in späteren Jahren von der Familie Høeg adoptiert wird. Für ihn, das missbrauchte, von seiner Angst beherrschte Waisenkind (ideal besetzt mit Ludwig Treptes rotzig-trotziger Stimme) mit einer langen Heimkarriere scheint Biehls Privatschule zunächst wie eine letzte Rettung.

Dort lernt Peter Katarina kennen, eine jüngere Schwester Fräulein Smillas, ebenso wissbegierig wie entschlossen (gesprochen Rosalie Thomass). Um gemeinsam hinter das Geheimnis der Zeit zu kommen und Biehls aberwitzigen Plan aufzudecken, vor allem aber um ihren Freund August, einen paranoiden Autisten (gesprochen Nikolas Artajo-Kwasniewski), vor Biehl zu retten, müssen sie das ausgeklügelte Überwachungssystem der Schule mit seinen Lautsprechern, Mikrofonen und transparenten Spiegeln mit immer neuen Einfällen unterlaufen. Bis sie buchstäblich an der Zeit rühren und zumindest vorübergehend das Räderwerk des Schulbetriebs zum Stillstand bringen.

Für eine Hörspielinszenierung ist Høegs Roman mit seinem Interesse an "Augenblicken, die werden wie Ewigkeit", eine Herausforderung. Mit überzeugenden Sprecherleistungen (nur der Routinier Peter Fricke enttäuscht, da sein Biehl selbst da noch selbstgewiss bleibt, wo dessen Erziehungsoptimismus längst zusammengebrochen ist) und der wunderbar schwebenden Musik von Cornelius Schwehr ist Hermann Nabers Bearbeitung zwar eindringlich-suggestiv. Dennoch scheint sie nur halb geglückt. Das "Schnalzen" etwa, mit denen August die Finger des Schulleiters bricht, vernehmen nur die Figuren, nicht der Hörer. Auch hätte man gern jene demütigenden Pausen nach Biehls Schlägen, von denen der Erzähler berichtet, "gehört", nicht anders als andere Phänomene der Zeitdehnung, die die Kinder untersuchen, wie die Totenstille der Morgenandacht.

Dass die in der Vorlage mitunter allzu aufdringliche Rolle des Ich-Erzählers (Sebastian Rudolph als der erwachsene Peter) zurückgedrängt wurde, ist verständlich. Doch fielen der Kürzung nicht nur sämtliche der fraglos ausufernden philosophischen Reflexionen des Schlussteils zum Opfer, sondern gleich die gesamte Gegenwartsebene. Diese beschreibt den Entstehungsprozess des Romans in einem imaginären Laboratorium und versucht somit das praktisch einzuholen, was (zeit-)theoretisch behauptet wird, nämlich eine Alternative zum linearen Zeitverständnis. Nabers Hörspielfassung reduziert daher Høegs riskante Romankonstruktion vorschnell auf den spannenden, leicht goutierbaren Plot, wo es darum gegangen wäre, die eigentliche Hauptperson, die Zeit, zu inszenieren.


Titelbild

Peter Høeg: Der Plan von der Abschaffung des Dunkels. 2 CD.
Der Hörverlag, Hamburg 2008.
19,90 EUR.
ISBN-13: 9783867170406

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