Der gute Gott von Yoknapatawpha

Zur Neuübersetzung von William Faulkners Roman "Licht im August" durch Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel

Von Katharina DittesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Dittes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was zeichnet den Menschen aus? Was macht ihn einzigartig unter den Lebewesen, zur ,Krone der Schöpfung'? Keiner geringeren Frage geht William Faulkner in seinem Werk nach, ein Autor, der als Meister des modernen amerikanischen Romans gilt, der traditionelle Gattungskonzepte gesprengt und den Begriff der ,Erzählperspektive' radikalisiert hat. 1929 verlieh er in seinem legendären Hauptwerk "The Sound and the Fury" einem geistig Behinderten eine Stimme, ein Jahr später gab er der Matriarchin Addi Bundren in "As I Lay Dying" über ihren Tod hinaus kraft ihrer Erzählstimme Präsenz. Das Panorama der Handlung, das Faulkner dabei entfaltet, erscheint angesichts seiner sprachlichen Wucht nahezu sekundär.

Im Jahre seines 100. Jubiläums hat der Rowohlt Verlag nun eine Neuübersetzung von Faulkners 1932 in den USA erschienenen Romans "Licht im August" herausgebracht, ins Deutsche übersetzt von Grass-Lektor Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel. Bereits 1935 erschien die erste deutsche Übersetzung von Franz Fein bei Rowohlt, in den Nachkriegsjahren war "Licht im August" einer der Texte, der in der legendären Ro-Ro-Ro-Zeitungsversion einem breiteren Leserpublikum zugänglich gemacht wurde. Gottfried Benn urteilte seinerzeit: "Faulkners Licht im August war mein letzter stärkster Eindruck vor dem Krieg."

Trotz seiner formalen und sprachlichen Innovationen: Faulkner hat einen Anspruch an Literatur, den er in seiner viel zitierten Nobelpreisrede von 1949 so formulierte: "[T]he young man or woman writing today has forgotten the problems of the human heart in conflict with itself which alone can make good writing because only that is worth writing about, worth the agony and the sweat." Übersetzt ins Deutsche verliert dieser Satz seinen eindrücklichen Klang, das schwerfällige "menschliche Herz im Widerstreit mit sich selbst" droht gar ins Schwülstig-Kitschige abzudriften. Nimmt man Faulkner jedoch beim - englischen - Wort, sieht man sich mit einem schriftstellerischen Ansatz konfrontiert, der den Menschen selbst ergründen will, freizulegen versucht, woraus er besteht und was ihn treibt. Nun ließe sich einwenden, dass der Mensch im Zentrum beinahe jeden Romans stehe - psychoanalytisch motivierte Interpreten wären ansonsten längst ihrer Aufgabe enthoben - und Faulkners Aussage damit zur Plattitüde werde. Auf seinen Texten lastet jedoch eine archaische Schwere, eine Dimension menschlicher Tiefe, die den Gedanken an oberflächliche Emotionalität ausklammert. Seine Themen lassen griechische Tragödien anklingen und sind in ihrer Ursprünglichkeit nahezu biblisch - so ist es kein Zufall, dass er einem seiner Romane in alttestamentlicher Anlehnung an einen der Söhne König Davids den Titel "Absalom, Absalom!" gab.

Mit seinem Yoknapatawpha County schuf Faulkner sich ein eigenes "Königreich (2.400 Quadratmeilen, 15.611 Einwohner), das er [...] nicht nur in siebzehn Büchern und zahlreichen Erzählungen verewigte, sondern auch mit allen Merkmalen einer wirklichen Gegend samt Häusern, Läden, Leuten, Viehweiden, Fuhrwerken und Straßenlaternen versah", so Paul Ingendaay in seinem Nachwort zur Neuübersetzung. Yoknapatawpha ist der Lebens- und Schicksalsraum der Sutpens und Compsons, der Coldfields und Snopes, jener Familien, die Faulkner in der schweren, staubigen Erde ansiedelt, mit der sie verbunden sind, als hätte der Autor sie wie Rabbi Löw einst den Golem mit bloßen Händen daraus geformt. In "As I Lay Dying" durchmessen die Bundrens das Land auf dem Weg zur letzten Ruhestätte der verstorbenen Mutter, in "Absalom, Absalom!" will sich Thomas Sutpen einen Teil des Grund und Bodens zu eigen machen. Auf dieser kleinen Weltbühne, die den Südstaaten Nordamerikas Ende des 19. Jahrhunderts zum Verwechseln ähnlich ist - eine Nähe, die nicht zuletzt durch die allgegenwärtige Rassenproblematik entsteht -, und deren Hauptstadt Jefferson an das reale Oxford in Mississippi, Faulkners Geburtsstadt, angelehnt ist, führt er das Drama menschlicher Natur auf, dessen Entwicklung und Ausgang seine Figuren tragen, als sei ihr Weg unabänderlich vorgezeichnet. Meist stehen sie in komplexen familiären Zusammenhängen, mitunter fallen sie jedoch aus dieser Struktur. So etwa Lena Grove und Joey Christmas, zentrale Figuren in "Licht im August": er ein uneheliches Kind, sie werdende Mutter, eine Waise ohne Trauschein. Ohne Zuhause ziehen beide von Ort zu Ort, Christmas getrieben von seinen Instinkten, Lena in stoischem Gottvertrauen. Trotz vordergründiger Heimatlosigkeit können beide nicht aus ihrer Welt fallen: Yoknapatawpha verklammert ihre Schicksale miteinander, sie sind Teil der menschlichen Gemeinschaft, die sie trägt oder zerstört. Und selbst im Falle ihrer Vernichtung sind sie innerhalb der Gesetze menschlicher Sozialisation aufgehoben.

Christmas erfährt die menschliche Gesellschaft von Kindesbeinen an als Außenseiter: Gezeugt von einer Weißen und einem Farbigen wird er fortan vom Hass seines Großvaters verfolgt, der die Schande des "Niggerbluts" für seine Familie nicht überwinden kann. Für die Weißen ,zu schwarz', für die Farbigen ,zu weiß', gerät Joey zwischen die Grenzen beider Rassen und findet weder hier noch dort eine Heimat. Die Ablehnung, die er erfährt, prägt ihn so stark, das er schließlich zum Mörder wird. Doch daraus zu schlussfolgern, Faulkner habe primär einen Roman über die Problematik der Rassentrennung schreiben wollen, greift zu kurz. Die ,zwei Seelen' - bei ihm gewissermaßen ,farblich markiert' - sind vor allem anderen eine Metapher für jenen ,Konflikt des menschlichen Herzens', den er in seiner Nobelpreisrede nannte.

Neuübersetzungen verändern unweigerlich den Ton eines Textes - und damit den ,Sound' des Autors für den deutschsprachigen Leser. Wer zuerst Feins Übersetzung mit seinem oft antiquiertem Ausdruck, der in die 1930er-Jahre zurückweist, in denen Text und Übersetzung entstanden, gelesen hat, wird darin ,seinen' deutschen Faulkner sehen. So sind bei Fein beispielsweise die amerikanischen "Geschworenen" von Frielinghaus und Höbel noch "Schöffen", womit möglicherweise die beiden Übersetzer dem amerikanischen Begriff näher kommen als Fein. Überhaupt sind sie insgesamt korrekter, ihre Übersetzung ist wesentlich näher am faulknerschen Text als die Feins, sie halten sich strenger an Semantik und Syntax des Originals, was in jedem Fall dann einen Vorteil bietet, wenn man den amerikanischen Text und die deutsche Übersetzung parallel liest. So bleibt Faulkners "emotional barbecue, a Roman Holiday almost" im Deutsch des 21. Jahrhunderts als "ein emotionales Barbecue, [...], einen geradezu römischen Festtag" bestehen. Fein wählte hier die Formulierung "einen Festtag der Leidenschaften, fast ein Volksvergnügen". Nun muten beide Varianten gegenüber dem Originaltext gleichermaßen ungelenk an, Fein jedoch erspart uns immerhin das "emotionale Barbecue" und wagt, die Stelle zu interpretieren, indem er den "römischen Festtag" als "Volksvergnügen" erkennt. Er erschließt den Bedeutungshorizont faulknerschen Sprachgebrauchs und wird vom Überträger, vom reinen Vermittler zwischen den Sprachen, selbst zu einem schöpferisch tätigen Interpreten. Dabei entwickelt Fein seinen ganz eigenen Faulkner-Ton, dessen Pathos Faulkners Texten gerecht wird. Als dieser in Bezug auf den sich gegen den Mörder Christmas richtenden Mob schreibt, dieser sei "to canvass about for someone to crucify", formuliert Fein, die Bürger "begannen bereits nach einem Opfer des fälligen Strafgerichtes Ausschau zu halten". Obgleich die Verwendung des Wortes "Strafgericht" dem Vorgang nahezu biblische Dimensionen zumisst, löst er die Problematik der Übersetzung der eleganten englischen Infinitivkonstruktion durch sein Abweichen vom Text überzeugender als Frielinghaus und Höbel: Bei ihnen "machten [sie] sich auf die Suche nach jemandem, den man kreuzigen konnte" - schulbuchmäßiger und leider auch schwerfälliger ließe sich diese Stelle wohl kaum übersetzen.

Nun kann man Franz Fein sicher vorwerfen, er habe Faulkners Text zu stark verändert und seinem eigenen Sprachstil unterworfen. Eine Übersetzung kann aber bekanntermaßen nie das Original ersetzen und sich auch im Idealfall diesem nur annähern. Der deutsche Text wird immer ein anderer sein als der englische - wie sonst wäre zu begründen, dass viele Übersetzer sich völlig zu Recht als Urheber oder gar Co-Autoren ihres übersetzten Textes verstehen. Unter der Prämisse, dass die Übersetzung also immer nur eine Anlehnung sein kann, die somit aber auch Anspruch auf Autonomie geltend machen darf, sind dem Übersetzer Freiräume gegeben, die er - innerhalb eines gewissen Ermessensspielraums - ausschöpfen kann. Fein lotete diese Freiheit sehr tief aus, Frielinghaus und Höbel hingegen hielten sich stärker an Faulkner, folgten gänzlich unnarzisstisch seinen Satzspuren, auch auf die Gefahr hin, im Deutschen der Nähe zum Original zuliebe auf sperrige Formulierungen zurückgreifen zu müssen. Sie haben Faulkner ins Deutsche übertragen, Fein hat seinem deutschen Text eigenen literarischen Wert verliehen. Möglicherweise werden aber diejenigen, die Faulkner durch die Neuübersetzung überhaupt erst kennen lernen, Feins Text vielleicht altmodisch finden und in Frielinghaus und Höbel ,ihren' Faulkner-Ton entdecken.

Als Effekt der Neuübersetzung wäre zu wünschen, dass sich nicht nur Faulkner-Kenner der Lektüre widmen, sondern dass sie eine breitere Leserschicht für diesen Autor zu erschließen vermag. Dass Faulkner auch heute noch von Interesse ist und rezipiert wird, zeigte bereits die Publikation von Faulkners "Mississippi" im Jahr 2000 im Stroemfeld Verlag. Die Herausgeber Roland Reuß und Peter Staengle haben dort das faulknersche Originaltyposkript reproduziert, erstmals übersetzt und mit begleitenden Materialien textkritisch herausgegeben. Weitere Publikationen zu Faulkner wären wünschenswert, damit dieser so bedeutende Autor auch außerhalb der Amerikanistik wieder Beachtung findet.

Die eingangs gestellte Frage nach der Besonderheit des Menschen beantwortete Faulkner ebenfalls in seiner Nobelpreisrede: "I believe that man will not merely endure: he will prevail. He is immortal, not because he alone among creatures has an inexhaustible voice, but because he has a soul, a spirit capable of compassion and sacrifice and endurance. " Dass Faulkners eigene Stimme auch Jahrzehnte nach seinem Tod noch nicht verstummt ist, gibt einmal mehr Anlass zur Hoffnung auf die Durchsetzungskraft großer Literatur.


Titelbild

William Faulkner: Licht im August. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008.
480 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783498020682

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