Schöne, silberne Langstreckenflugzeuge

Ota Pavel berichtet in seinem Erzählband "Wie ich den Fischen begegnete" nicht nur von Fischen, sondern auch von den Höhen und Tiefen des Lebens

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mitte der 1970er-Jahre erschien in der DDR die Prosasammlung "Der Tod der schönen Rehböcke" von Ota Pavel - übrigens ebenfalls von Elisabeth Borchers trefflich übersetzt - und avancierte sehr bald zum Geheimtipp. In kulturpolitisch dürftigen Zeiten stachen die Erzählungen von Ota Pavel (1930-1973) sofort hervor. Warum seine Sammlungen dennoch erscheinen konnten, darüber lässt sich nur mutmaßen. Zum einen war es immer wieder einigen Schriftstellern gelungen, die Riege der zweit- und drittklassigen Autoren zu durchdringen, zum anderen lag es vielleicht auch daran, dass der Autor "beruhigend tot" war - wie es einst Reiner Kunze in einem Gedicht über den verstorbenen Johannes Bobrowski formuliert hatte, als er die Tristesse der offiziellen Nachrufe beschrieben hatte.

Der vorliegende Titel "Wie ich den Fischen begegnete" ist tatsächlich den Fischen gewidmet, oder besser gesagt, dem Leben eines Ich-Erzählers im Zeichen der Fische. Hinter dem Ich-Erzähler lässt sich unschwer Ota Pavel erkennen, der seine Fisch-Erinnerungen in drei Teile gliedert: "Kindheit", "Ein kühner junger Mann" sowie "Und immer wieder Rückkehr". Es verknüpfen sich somit in 22 Erzählungen und einem Epilog Ereignisse aus dem Leben Ota Pavels, die direkt oder indirekt von der Existenz der Fische geprägt waren. Die Kunst des Angelns, um der begehrten Beute im unzugänglichen Wasser habhaft zu werden, steht zwar im Vordergrund, vor allem, wenn der Vater wieder einmal mit seinem Können prahlt. Es geht aber auch um die richtige Zubereitung. Die Erzählung "Goldene Aale" zählt allein zweiundvierzig Aalgerichte auf.

Und zugleich formiert sich vor den Augen des Lesers auch ein Lebensbild. Die Erzählung "Mein erster Fisch" steht somit auch biografisch am Anfang eines Lebens, das trotz aller vorgeblichen Idylle des Angelns harten Wendungen ausgesetzt ist. Das Töten der geangelten Fische wird nicht verdrängt oder verschwiegen. In sehr nachdenklicher und auch ästhetisch reifer Weise beschreibt Pavel den stummen Kampf zwischen Angler und Fisch, den er, obwohl er Opfer eines "Ringens mit ungleichen Kräften" ist, respektiert: "Ich tötete ihn, weil ich es so bei Onkel Prošek und bei meinem Papa gesehen hatte, sie wiederum hatten es bei ihren Vorfahren gesehen. Die mächtigen Flossen sanken herab, und der Körper, der einem schönen, silbernen Langstreckenflugzeug glich, erlosch".

Das Leben in seiner unerbittlichen Form griff aber auch nach dem jungen Angler selbst. Die Zäsur zwischen Kindheit und Jugend wurde durch die Besetzung Böhmens und Mährens durch deutsche Truppen zusätzlich markiert. Der junge Angler erlebt einen Bombenangriff durch "Heinkelmaschinen", bei dem das Haus des Fährmanns zerstört wurde. Die toten Fische schwammen im Fluss auf der Oberfläche: "Sie waren weiß wie die Traueranzeigen in den Schaukästen".

Dass der Ich-Erzähler nunmehr nur noch mit seiner Mutter lebte, da die Brüder und der Vater im KZ waren, deckt sich mit der realen Biografie des Autors. Doch nach 1945 konnte er seinen jüdischen Vater und auch die Brüder wiedersehen.

Ota Pavel, der ursprünglich Otto Popper hieß, arbeitete in der CSSR zunächst als Sportreporter. Zum Ende seines Lebens verbrachte er, bedingt durch eine schwere Geisteskrankheit, einige Jahre in Heilanstalten. Doch auch diese Wendung seines Lebens findet Eingang in die Erzählungen.

Ota Pavels Erzählungen sind kräftig in der Beschreibung von Vorgängen, aber nicht barock. Ein nüchterner, fast lapidarer Sprachstil wirkt in der Genauigkeit des Beschreibens umso eindrücklicher. In vorzüglicher Weise gelingt es den Illustrationen von Oliver Briese, dieser geheimnisvollen Spannung zwischen Menschen und der Welt der Fische gerecht zu werden.

Der Epilog "Auf der Winterolympiade in Innsbruck verlor ich den Verstand" verdichtet zum Ende dieses liebevoll aufbereiteten Bändchens die unterschwellige Melancholie von Pavels Erzählungen. Die unauflösliche Nähe des Schönen und seines tödlichen Gegenteils, die das Leben dieses leidenschaftlichen Anglers gekennzeichnet hat, lässt ihn innehalten. Er hatte Enttäuschungen und Niedertracht, aber auch Erfolge erlebt. Im Irrenhaus lässt er sein Leben Revue passieren und kommt zu einem eindeutigen Schluss: "Vielleicht sehnte ich mich im Unterbewußtsein danach, noch ein einziges Mal den Fluß zu küssen und silberne Fische zu fangen. Das Fischen lehrte mich Geduld, und die Erinnerungen halfen mir weiterzuleben".


Titelbild

Ota Pavel: Wie ich den Fischen begegnete.
Illustriert von Oliver Briese.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Elisabeth Borchardt.
Phileas Verlag, Berlin 2005.
152 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 300015728X
ISBN-13: 9783000157288

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