Aufbruch im Herbst – Bitternis im Frühling

Roya Hakakians Erinnerungen an die Islamische Revolution im Iran

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor nun genau dreißig Jahren begannen im Iran Unruhen, die sechs Monate später mit dem Sturz des Schahs und der Ausrufung einer Islamischen Republik im Iran endeten. In Stichworten: August 1978: Heftige Krawalle in Isfahan. Dort Ausrufung des Kriegsrechts. Regierungswechsel. September 1978: Massendemonstrationen in Teheran. Generalstreik. Beinahe landesweites Kriegsrecht. November 1978: Die bisher gewaltsamsten Demonstrationen in der Hauptstadt. Übergabe der Macht an den Generalstabschef. Verschärfung des Terrors gegen die Bevölkerung. Januar 1979: Ausreise des Schahs. Februar 1979: Einreise von Ajatollah Chomenei. Sturz der letzten schahtreuen Regierung. Machtübernahme durch Geistliche. März 1979: Beginn der Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit. April 1979: Ausrufung der Islamischen Republik.

Das sind die Ereignisse, die das Gesicht nicht nur des Iran, sondern des ganzen Nahen Ostens in wenigen Monaten komplett veränderten. Denn die Bildung der Islamischen Republik hatte trotz des von 1980 bis 1988 währenden ersten Golfkriegs zwischen Irak und Iran eine ungeheure Strahlkraft in der Region beziehungsweise hat sie seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Irak-Krieg im Jahre 2003 in einem neuen Maße. Der alle paar Monate durch die Medien geisternde Atomstreit zwischen dem Westen und der iranischen Regierung macht dies immer wieder deutlich. Diese Auseinandersetzung ist neben den weiter oben genannten Faktoren mit ein Grund dafür, weshalb sich die westliche Öffentlichkeit wieder in einem sehr viel stärkeren Grade an den Vorgängen im vorderen Asien interessiert zeigt.

Das belegen die zahlreichen neuen Sachbücher tatsächlicher wie vermeintlicher „Nahostexperten“, die Reportagen westlicher Journalisten und die Memoiren ausgewanderter Orientalen. Ein Buch aus dieser Menge lohnt dabei, näher betrachtet zu werden: Es sind die Kindheits- und Jugenderinnerungen der 1966 geborenen, iranisch-jüdischen und mittlerweile in den USA lebenden Journalistin und Publizistin Roya Hakakian. Ihr 2004 in den USA veröffentlichtes Buch mit dem Titel „Journey from a Land of No. A Girlhood caught in Revolutionary Iran“ ist jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erschienen.

Hakakians Erinnerungen setzen Mitte der 1970er-Jahre an. Sie erzählt von dem glücklichen Leben ihrer jüdischen Familie in einem wohlhabenden Wohnviertel in der Hauptstadt Teheran. Sie berichtet über ihren als Lehrer arbeitenden Vater, über die als Hausfrau tätige Mutter und über ihre drei älteren Brüder Albert, Javid und Bez, die in vieler Hinsicht wichtige Vorbilder sind. Vor allem führen sie sie in die Literatur ein und schaffen ihrer jüngeren Schwester damit ein Universum, in das sie fliehen und in dem sie sich entfalten kann. Ihr Lieblingsbuch ist die in Persien populäre Fabel „Der kleine schwarze Fisch“ des iran-aserbaidschanischen Schriftstellers Samad Behrangi, dessen Protagonist sich eines Tages wünscht, über das ihm bekannte Gewässer hinaus zu schwimmen. Die junge Roya ist solch ein kleiner Fisch. Es genügt ihr bald nicht mehr, allein den Erwachsenen zu glauben und zu folgen. Von ihren Brüdern zum Nachdenken angehalten, will sie ihre Grenzen überschreiten, um zu lernen und selber Erfahrungen zu sammeln.

Erst allmählich begreift sie so, weshalb plötzlich ihr Bruder Albert vom Vater zum Studium in die USA geschickt wurde – nämlich um jeglichen Ärger mit der Savag, der Geheimpolizei des Schahs, zu vermeiden. Auch ihre beiden anderen Brüder verlassen deshalb Ende der 1970er-Jahre das Land in Richtung Westen. Doch abgesehen von diesen „alltäglichen“ Vorfällen ist Royas Kindheit und Jugend das wie jeder anderen Iranerin. Ihr Judentum stellt – noch im Gegensatz zu der Generation ihres Vaters – für sie kein Problem dar. Doch nicht mehr lange. Denn mit Beginn der heftigen Unruhen im Iran ab Mitte 1978 ertönen neben den schahfeindlichen zuweilen auch antisemitische Ausrufe. Infolge der instabilen Situation im Land verlassen nicht nur viele Iraner, sondern auch eine ganze Reihe von Juden das Land – meist in Richtung Israel oder Vereinigte Staaten von Amerika.

Die drei restlichen Hakakians jedoch bleiben und Roya erfährt am eigenen Leibe die anfangs noch säkulare Revolution wie einen Glücksrausch: „Die Nation war in Ekstase. Das Seufzen, das Stöhnen, der leiseste Hauch von Unzufriedenheit war mit dem Schah aus Iran geflohen. Negative Gefühle waren innerhalb der Grenzen unseres Landes nirgends zu finden, und an unseren Schulen gab es keine Arroganz.“

Doch die Hoffnungen des iranischen Volkes auf eine bessere und gerechtere Zukunft, auf Freiheit und Wohlstand für mehr als nur für eine dünne Schicht von Herrschenden und Reichen werden nach der Etablierung der Islamischen Republik Schritt für Schritt enttäuscht. Die junge Roya erlebt dies bei der Übernahme ihrer jüdischen Schule durch eine muslimische Direktorin, die die Mädchen nicht nur bekehren möchte, sondern sie auch permanent vor den Männern und „der“ einen Sünde warnt. Auf die strikte Einhaltung der neu eingeführten, strengen Kleiderordnung wird wie im Falle der Geschlechtertrennung nicht nur in der Schule, sondern in der gesamten Öffentlichkeit geachtet. Zu allen diesen, insbesondere die Frauen betreffenden Einschränkungen kommen kurze Zeit darauf auch die beinahe täglichen Bombenangriffe irakischer Flieger hinzu, die das Leben fast völlig zum Erliegen bringen. Trotzdem schaffen Roya und ihre Eltern es, den Mut nicht zu verlieren.

Doch eines Tages ist alles anders im Hause Hakakian: Roya kommt heim und findet ihre Mutter völlig verändert. Da diese nicht antwortet, sucht und findet sie ihren Vater. Und sie sieht: Ihr Vater hat plötzlich aus Angst vor unangemeldeten Hausdurchsuchungen bis auf wenige Ausnahmen ihre sämtlichen Romane, Gedichtbände und Tagebücher verbrannt – auch Samad Behrangis „Kleinen schwarzen Fisch“. Es ist, als ob er ihr bisheriges gemeinsames Leben im Iran auslöschen wollte, denn er – der sich bisher weigerte, auszuwandern – sagt nun auf einmal: „Es ist Zeit, dass wir nach Amerika gehen.“

Und sie gehen. Und lassen alles zurück: Ihr altes Leben, ihre Hoffnungen und Wünsche für eine bessere Existenz und ein konfliktfreies Zusammensein von Juden und Moslems in ihrer Heimat. Der Traum ist ausgeträumt. Für Resignation ist kein Platz, da der Blick nach vorn gerichtet ist – gerichtet werden muss. Und wenn Roya Hakakian für ihr Buch nun doch noch einmal zurückschaut, geschieht dies ohne Zorn, dafür aber mit großer Wehmut. Und der Leser? Ihm geben diese Erinnerungen die Möglichkeit, nicht nur die Schmerzen der Autorin nachzuvollziehen, sondern die Enttäuschungen eines ganzen Volkes mit durch zu machen und den Geschmack dieses bitteren Frühlings des Jahres 1979 zu kosten.

Titelbild

Roya Hakakian: Bitterer Frühling. Meine Jugend im Iran der Revolutionszeit.
Übersetzt aus dem Englischen von Rita Seuß.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008.
286 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783421043283

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