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Michael Chabons "Vereinigung jiddischer Polizisten" - ein erstaunliches Buch

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jedes Jahr erscheinen in Deutschland fast 100.000 neue Bücher. Kein Mensch kann auch nur einen Bruchteil von ihnen lesen, selbst wenn es im Jahr nur 100 wären, bliebe schon kaum noch Zeit für Anderes. Von den 100 Büchern, die ein Vielleser jährlich zu sich nehmen kann, ist der größere Teil Schrott, einige sind hoffentlich unterhaltsam, ein paar sind interessant - und mit viel Glück ist eines darunter, das diesen Menschen in Erstaunen versetzt, ihn wundert, ihn ins Grübeln bringt und auch zum Lachen. Michael Chabons "Vereinigung jiddischer Polizisten" ist so ein Buch. Nun gut, es ist nur ein Krimi, mit Verbrechen, heruntergekommenen Polizisten und anderen skurrilen Gestalten, die Dinge tun, die niemand ernsthaft tun kann, zum Beispiel die Ankunft des Messias erzwingen. Aber wer hat gesagt, dass Krimis nicht auch mal als gute Bücher auf die Welt kommen dürfen? Niemand? Na also.

Was zeichnet nun dieses Buch aus, dass es zu einem besonders Guten wird. Da wäre zum Beispiel Intelligenz. Chabon weiß anscheinend recht gut über die Klischees des Genres Krimi Bescheid. Und er weiß auch, dass er auf der einen Seite, um ein gutes Buch zu schreiben, diese Klischees deutlich verändern, entwickeln, ja auch verlassen und gegen sie verstoßen muss. Auf der anderen Seite muss er sie immer noch so weit erfüllen, dass sein Krimi noch als Krimi funktioniert.

Überbietung, Satire, Klischeeerfüllung, Ironie, Fragmentierung, Montage - Heinrich Steinfest, ein anderer Großer der Krimiavantgarde, geht beispielsweise diesen Weg, um aus dem Krimi so etwas wie ein ernstzunehmendes Genre zu machen. Dabei gerät ihm das Buch, als das seine Experimente dann immer noch erscheinen müssen, gelegentlich aus den Fugen: manchmal ist es brillant, manchmal liest es sich nicht gut.

Anders Chabon. Auch er ist sich aller Klischees und Regeln bewusst, die den Krimi ausmachen. Er hat einen rätselhaften Mord, eine rätselhafte (jüdische) Sekte, einen Oberboss, der aus dem Ruder läuft, einen Haufen mordwütiger Gesellen, einen stummen Superbösen, einen Ermittler, der seinen Kummer über die verlorene Frau - die später seine Chefin wird - im Alkohol ertränkt, und seinen großgewachsenen indianischen Partner, der auf Jid macht. All das gibt es im Krimi, mehr oder weniger hard-boiled in Reinform, hier aber in seiner ironisch-heiteren Variante. Vor allem aber rührt Chabon seinen Plot nicht an. Es ist immer noch eine Mordermittlung, auch wenn sie sich in einem absurden Alaska abspielt, in einer jüdischen Ghetto-Stadt, Sitka genannt, die in einem Indianergebiet liegt und von aus Europa vertriebenen Juden bewohnt wird. Ein kleiner Kosmos aus lauter Juden, der aber auf Abruf steht. Denn niemand weiß so genau, wann diese Zwischenstation der Kriegs- und Nachkriegsvertreibung aufgelöst wird und wohin die Bewohner dieser Stadt gehen werden. Einige ins Gelobte Land, einige in die USA, einige nirgendwohin.

Der Tote in dem Hotel, in dem unser Held Meyer Landsman nach dem Ende seiner Ehe lebt, geht jedenfalls nirgendwo mehr hin. Und das ist, wie sich am Ende herausstellen wird, auch gut so. Denn Mendel Shpilman, so der Name des Toten, hätte der Messias sein können, aber er wurde es nicht, er wollte nicht. Das aber kann nicht jeder zulassen, denn in dieser fiktiven Welt Sitka ist die Erlösung eben nicht nur eine mythologische Geschichte, sondern auch eine Befreiung aus der Diaspora. Umso mehr Grund, das Szenario "Erlösung" weiter voran zutreiben, auch wenn der eigentlich als Erlöser Vorgesehene nicht mehr zur Verfügung steht.

Man mag diesen Entwurf Chabons als Botschaft, ja auch als politisches Statement gegen Fundamentalismus und radikale religiöse Eiferer sehen. Aber genau das ist weder die Stärke des Buches, noch seine eigentliche Botschaft. Denn nur die Absurdität der Situation, die Chabon entwirft (freilich ist sie nicht weniger absurd als das, was wir Realität nennen), gibt dem eigentlichen Star seiner Veranstaltung Raum: dem Erzählen.Das aber ist von abgrundtiefer Heiterkeit (um das Wort Humor zu vermeiden), ja vielleicht spezifisch jüdischer Heiterkeit, die diesem geschundenen, verfolgten und in sich so gebrochenen Volk (oder dieser Konfession) zueigen ist.

Vieles davon ist schon wieder Konfektionskunst: die dreisten Sprüche, die coole Haltung aus in extremis, die absurden Situationen, aus denen nur entrinnt, wer sie schlichtweg ignoriert. Aber Chabon weiß aus dem immer noch etwas Anderes zu machen, etwas Besonderes. Und das, nur das macht dieses Buch zu etwas Außerordentlichem.


Titelbild

Michael Chabon: Die Vereinigung jiddischer Polizisten. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Andrea Fischer.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008.
422 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783462039726

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