Coole Gangster

Garry Disher zum Generationenkonflikt unter australischen Kriminellen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wyatt ist ein Krimineller, Wyatt ist eine Legende, Wyatt ist extrem sorgfältig: Es gibt niemanden, der seine Coups besser und genauer vorbereitet als er. Aber Wyatt wird langsam alt, und bei allem Spaß, den er mit seinen kriminellen Neigungen hatte, am Ende ist nicht wirklich viel dabei herausgekommen. Jedenfalls hat er keine Chance, sich endlich zur Ruhe zu setzen. Oder vielleicht doch: Denn immerhin gibt es Liz Redding. Und mit ihr die Möglichkeit, sich von dieser langen kriminellen Karriere zu verabschieden und ein einigermaßen normales Leben zu führen. Das bedeutet keine Verbrechen, keine Einbrüche, keine Diebstähle, keine Coups. Nur, Liz ist eine Polizistin. Und kann das passen?

Aber da sind die Juwelen, die er einem korrupten Cop abgenommen hat, und die sind immerhin etwas wert, genug, um auf die geringe Chance, die den Namen Liz trägt, zu verzichten. Besser den Spatz in der Hand (das heißt ein paar Milliönchen oder Hunderttausend, oder wenigstens ein paar Tausender) als die Taube auf dem Dach. Deshalb macht sich Wyatt aus dem Staub und versucht einen Deal mit der Versicherung, der aber schief geht.

Wyatt hat einen Neffen, Raymond, und Raymond bewundert seinen Onkel so sehr, dass er selbst eine kriminelle Karriere eingeschlagen hat und als "Buschbandit" Schlagzeilen schreibt. Raymond raubt Provinzbanken aus und zwar sehr gut geplant, sehr cool, ohne viel Getöse und vor allem ohne Spur. Er ist ein Profi.

Irgendwann treffen sich Raymond und Wyatt, und sie beginnen einen gemeinsamen Coup, einen Kunstraub. Merkwürdigerweise wird dabei aus dem Verhältnis zwischen dem bewundernden Neffen und dem prominenten Onkel schnell ein Konkurrenz- und Hassverhältnis. Der beherrschte "Buschbandit" lässt sich mehr und mehr von seinem Ärger über den anscheinend überheblichen Onkel leiten. Aus dem coolen Bankräuber wird ein verzogenes Gör, das sich an seinem Onkel abarbeiten muss, statt am gemeinsamen Auftrag. Also gibt es einen großen Bruch in diesem Krimi Harry Dishers, aber der Bruch hat eine Funktion. Denn als Raymond unabsichtlich und zufällig die Freundin eines anderen Kriminellen, Steer, tötet, eskaliert das Ganze, und zwar an beiden Fronten: Die Kriminellen bekämpfen einander, die Polizei ist ihnen auf den Fersen, Liz ist es gleichfalls, aber auf eigene Faust, und sie sieht sich auch noch den Verdächtigungen ihrer Kollegen ausgesetzt (warum konnte Wyatt überhaupt entkommen?).

Steer, dem Raymond bei einem Ausbruch helfen soll, will sich wegen eines alten, misslungenen Coups an Wyatt rächen. Raymond hat er im Visier, weil er seine Freundin erschossen hat. Und Raymond will auf eigene Rechnung arbeiten. Wyatt merkt, dass er - ohne es zu ahnen - in ein emotionales und strukturelles Chaos geraten ist, was ihm, dem alten Perfektionisten, überhaupt nicht recht sein kann.

Als dann auch noch Liz auftaucht und sich von der Seite von Recht und Ordnung auf die des Verbrechens schlägt, steht diese Welt zumindest Kopf. Die Bösen sind die Sympathischen, die Guten ziemlich unausstehlich. Daraus folgt so etwas wie die Umkehrung der Verhältnisse. Die Polizei ist inkompetent und unzuverlässig. Nur einzelne Cops halten den Betrieb noch einigermaßen aufrecht. Die Bösewichter hingegen sind sympathische Jungs, die eigentlich auch nicht daran interessiert sind, dass sich die Ordnungsmacht allzu intensiv in diese kleine Welt einschaltet und möglicherweise Handelswege zerschlägt, die nur schwer wieder zu rekonstruieren sind. Innerhalb dieser Verhältnisse ist aber alles ziemlich normal - was man so normal nennt.

Disher legt es von Beginn an auf das Desaster und das Fiasko an. Kaum ist Wyatt nach seiner Exkursion mit Liz und dem korrupten Polizisten wieder an Land, geht alles schief.

Vor allem aber das Verhältnis zwischen Raymond und Wyatt, das von enttäuschten Erwartungen und romantischer Bewunderung geprägt ist, erweist sich als interpersonales Desaster: Die beiden können offensichtlich nicht miteinander. Wyatt nimmt Raymond seine mangelnde Professionalität krumm, und Raymond fühlt sich von dem Alten bevormundet und geschulmeistert. Dieser Konflikt wird am Ende in einen Kampf ausarten, was schließlich (beinahe alle) zum Untergang führt. Wyatt überlebt nur mit etwas Glück, Raymond geht unter. Jugend ist offensichtlich in Sachen Berufsverbrecher ein Malus. Wer jung ist, muss entweder besonders skrupellos sein oder Macht haben. Raymond hat weder das eine noch ist er das andere. Und deshalb ist er am Ende tot.


Titelbild

Garry Disher: Niederschlag. Roman.
Übersetzt aus dem Australischen von Frank Nowatzki.
Pulp Master, Berlin 2008.
262 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-13: 9783927734371

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