Dichte Beschreibungen und gepflegte Herrenwitze

Zum ambivalenten Vergnügen von Michael Zarembas Wieland-Biografie

Von Volker MergenthalerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Mergenthaler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pünktlich zum Jubiläumsjahr ist eine Wieland-Biografie auf den Markt gekommen, und sie verspricht Neues, weil sich die Beweislage verändert hat: "Es handelt sich" nämlich "um die erste Wieland-Biographie, welche den von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften publizierten Briefwechsel mit Text- und Apparatbänden berücksichtigt".

Dass sie sich auf die Fahnen geschrieben hat, auf dieser Basis "das etablierte Wieland-Bild des honetten Patriarchen zu hinterfragen", wirkt vor dem Hintergrund einer von diesem Bild schon länger emanzipierten Wieland-Forschung allerdings ein wenig windmühlenkämpferisch. Gleichwohl hat man es in der Tat mit einer "modernen Lebensbeschreibung" zu tun; das liegt allerdings weniger daran, dass "das Verhältnis von Leben und Werk als dialektischer Zusammenhang" aufgefasst wird, sondern an der Art und Weise, wie der Biograf aus seinem reichen Materialfundus zu schöpfen versteht. Ausgebreitet wird eine Vielzahl aufschlussreicher, pointierter, informativer, zuweilen auch kurioser Briefzitate, die der Verfasser nicht hölzern und ungelenk ausstellt, sondern zu einer "dichten Beschreibung" à la Clifford Geertz zu arrangieren versteht. Zu einer Beschreibung also, die ihre Leser nicht nur über die Verhältnisse in Biberach, Zürich, Erfurt, Weimar oder Oßmannstedt, nicht nur über poetologische Differenzen, psychologische Dispositionen oder medizinische Praktiken des 18. und frühen 19. Jahrhunderts unterrichtet, sondern das jeweilige kulturelle Milieu vor Augen stellt. Zu loben ist dies um so mehr, wenn man in Betracht zieht, dass die formale Gestaltung des Bandes kaum etwas unversucht lässt, dieser willkommenen Wirkung in die Parade zu fahren: Alle Zitate, und es sind deren viele, werden (wie es sich gehört) nachgewiesen, und zwar an Ort und Stelle, so dass der flüssig voranschreiten wollenden Lektüre fortwährend Klammernachweise wie "(C1r, Supl., Bd. 3, S. 315; vgl. Supl. Bd. 2, S. 124; WB 2, S. 96)", zuweilen auch erheblich umfangreichere im Wege stehen; Fuß- oder Endnoten wären hier entschieden vorteilhafter gewesen. Hinzu kommt, dass der junge Wieland konsequent, der gereifte häufig, ja selbst der Pensionär Wieland noch vertraulich als "Christoph Martin" aufgerufen wird. Getrübt wird die Lesefreude, zumindest diejenige des Rezensenten, vom gelegentlich aufblitzenden ,gepflegten Herrenwitz', wenn die Leser zum Beispiel davon in Kenntnis gesetzt werden, dass "Wielands ausgeprägte Zuneigung zu Frauen reiferen Alters [...] sich [...] auf den Austausch literarischer Ergüsse" beschränkt habe, dass Wieland "Naturbeschreibungen weitgehend aus[...]blendet - wenn man von gelegentlichen Andeutungen der topographischen Vorzüge des weiblichen Körpers einmal absieht" oder wenn der "Erfahrung" Wielands, "nachweisbar" zum ersten Mal "fleischlich geliebt" zu haben, eine "befreiende" Wirkung "auf seine Psyche" unterstellt wird und - hier wird es literaturwissenschaftlich unseriös - auf dem Feld des Poetischen eine forcierte Schlussfolgerung gezogen wird: "Der Humor fand Eingang in sein Werk". Ob Wieland, der immer wieder enttäuscht über den Verlag Orell, weil nicht nur einmal "der Druck zahlreiche Setzfehler" enthielt, mit Böhlau zufriedener gewesen wäre, sei angesichts einer beachtlichen Zahl von Unsauberkeiten dahingestellt. So hätte sich "Dirk von Petersdorf" sicher über ein zweites "f" und "der Korpus" über das korrekte Genus gefreut.


Titelbild

Michael Zaremba: Christoph Martin Wieland. Aufklärer und Poet. Eine Biografie.
Böhlau Verlag, Köln 2007.
314 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783412220068

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