Die Fromme und die Holländerin

"Ihr ständiger Begleiter" von Claudia Schreiber ist ein gelungener Roman über die weibliche Selbstfindung

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Journalistin und Autorin Claudia Schreiber avancierte noch vor der Verfilmung ihres zweiten Romans "Emmas Glück" zur Bestsellerautorin. Lange ein Geheimtipp, sprach sich das Lesevergnügen an diesem Buch konsequent herum. Die Übersetzung in andere Sprachen folgte. Und eine Auszeichnung für das Drehbuch zum Film, das sie zusammen mit Ruth Toma verfasst hat. Andere Bücher der Journalistin, wie "Der Auslandskorrespondent" oder "Moskau ist anders", in den 1990er-Jahren veröffentlicht, hatten noch nicht diesen Erfolg.

Mit "Ihr ständiger Begleiter", in diesem Jahr bei Piper als Taschenbuch erschienen, knüpft Claudia Schreiber wieder an eigene Erfahrungen an, die ihr für das Thema 'Religion' nützlich sind. "Ich kenne den protestantischen Fundamentalismus, kalvinistisches und pietistisches Leben und Denken gut, war lange aktives Mitglied einer evangelischen Freikirche", heißt es auf ihrer Homepage. Natürlich ist der Roman nicht autobiografisch, darauf verweist die Gattungsbezeichnung. Doch die Intensität, mit der die Protagonistin Johanna ihr ganz persönliches Verhältnis mit Gott gestaltet, verweist auf einen entsprechenden Erfahrungshintergrund. Denn es wird sehr plastisch und sinnlich deutlich, was dieses extreme Leben im Machtbereich des fundamentalistisch-religiösen Vaters bedeutet: die Strenge, die Kargheit, die Einsamkeit, das Entwickeln von Überlebensstrategien, das Anderssein und schließlich die psychischen Störungen, die massiv auftauchen und das Leben von Johanna dramatisch beeinträchtigen.

Eingebettet sind diese Schilderungen der Kindheit und Jugend in eine Rahmenhandlung, die herrlich subversiv daherkommt: Johanna, Mitte vierzig, Mutter eines Sohnes und mit eigener Praxis, geht ihrem Sohn Ben auf dem Weg zur Schule hinterher. Dieser übersieht einen Tankwagen, weil er sich zu ihr umdreht und ärgerlich reagiert - und in diesem Moment setzt die Zeit aus. Johanna kann sich bewegen und "ein kleiner alter Mann mit blauen Augen und bunter Mütze" kommt auf sie zu. Sie kennt ihn nur zu gut: ihr ständiger Begleiter, seit sie sich als Kind auf einem Bahnhof verlaufen hatte und er ihr half, ihren Vater wiederzufinden.

Eine Liebesgeschichte mit allen Höhen und Tiefen wird nun erzählt, unterbrochen von Rückblenden auf Johannas Leben als Mädchen und junge Frau. Und diese Dialoge zwischen ihr und Gott sind herrlich anarchisch, witzig, wie aus einer guten Screwball-Komödie. Die beiden richten sich in der Auszeit ein, holen Stühle, Essen und Wein und klären ihre Beziehung: Gott will die Sache geraderücken, Johanna lässt sich widerwillig darauf ein. Denn sie kann das Zwangsverhältnis, das sie mit Gott verbindet, nicht auflösen.

Der Grund dafür liegt in einer Kindheit und Jugend, die bestimmt wird durch die radikale Erziehung eines Vaters, der der baptistischen Gemeinde vorsteht. Seine Familie muss das Musterbeispiel einer Familie sein. Die drei Kinder leiden Höllenqualen: Jeden Sonntag werden Sünden bekannt, ein Zimmer für den Gottesdienst hergerichtet, täglich gebetet, in der Bibel gelesen. Nichts anderes zählt. Die Mutter existiert nur im "Mutterland" unter dem Dachboden, auf den sich die drei Geschwister samstags, wenn der Vater den ganzen Tag unterwegs ist, zurückziehen und reden. Erst viele Jahre später stellt sich heraus, dass der Vater ein Verhältnis mit einem anderen Mann hat.

In dieser Welt ist kein Platz für Kinderspiele, Eis, Sommerferien oder Zärtlichkeiten. Die Pflichten und Zwänge, denen sich der Vater unterwirft, verlangt er auch von seinen Kindern. Doch die Revolte lässt nicht lange auf sich warten. Markus, der Älteste, zieht sich in sich selbst zurück. Lukas verlässt die Familie und damit auch die Glaubensgemeinschaft. Und als Johanna in einer Kneipe auf den Holländer Rob trifft, ist es um sie geschehen. Danach ist alles anders, sie begeistert sich für Fußball, reist nach Holland auf der Suche nach Rob, findet ihn nicht, dafür aber viele andere Männer, mit denen sie manchmal schläft, spaltet sich in "die Fromme und die Holländerin". Sie kann nicht mehr hinter das Erlebte zurück, die damit verbundene Erkenntnis macht es ihr unmöglich. Und Gott? Er reagiert äußerst zornig und lässt sie nicht mehr allein, ist in allen Situationen bei ihr.

Einige Jahre später zerbricht Johanna unter dieser Belastung, nachdem sie eine Zeit lang nur noch nach dem Glauben gelebt hat. Sie fährt zu Lukas und wohnt bei ihm, ihr religiöser Entzug ist brutal, doch Lukas hilft ihr, er hat das alles bereits hinter sich. Eine Befreiung ist es nicht, doch Johanna ist fest entschlossen, von nun an ihr eigenes Leben zu leben. Was ihr schließlich gelingt. Ein Humpeln bleibt zurück, Symbol für ihre innere Zerrissenheit.

Doch schließlich ist es Gott, der ihr klarmacht, dass er auf Opfer keine Lust mehr hat, sondern Liebe will. Die Johanna bereit ist, ihm zu geben. Und damit verschwinden die Schmerzen, die Schuldgefühle, das Humpeln. Zurück bleiben der Tanz und die Erinnerung an das alte Harmonium und die Lieder von damals.

Ein großartiger Roman, voller Wortwitz und Humor und einer Gottesfigur, mit der man gerne mal einen Wein trinken würde. Bevölkert mit Figuren, die einem ans Herz wachsen, weil sie so einfühlsam beschrieben werden, sogar der überstrenge, aber hilflose Vater erweckt Mitgefühl. Wie in "Emmas Glück" sind die großen Themen des Lebens in diesem Buch versammelt: Leben und Liebe, Schuld und Aufopferung, Familie, Gott, Sinnsuche - zwar kritisch, aber nicht moralisch belehrend. Das macht diesen Roman zu einem außergewöhnlichen Vergnügen.


Titelbild

Claudia Schreiber (Hg.): Ihr ständiger Begleiter. Roman.
Piper Verlag, München 2007.
224 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783492049733

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