Schichten

Bov Bjergs erster Roman "Deadline" handelt vom Graben, Wühlen, Schürfen und Schleifen

Von Nicole SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicole Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinem ersten Roman schreibt sich Bov Bjerg, über verschiedene Lesebühnen hinaus auch als Verfasser von Zeitungstexten und Gewinner des MDR-Literaturpreises 2004 bekannt, unwiderruflich in die junge deutsche Literaturszene ein. Nun ist auch er einer von denen, an denen kein interessierter Leser mehr vorbeikommt, und das zu Recht.

In den Roman mit seinem eigentümlichen Stil ist zunächst schwer hineinzufinden, doch wer über die ersten 20 Seiten hinaus durchhält, die Augäpfel durch Wörterketten wie "Schuttlastwagen, Bagger, Planierraupen. Eine Zugramme zog ihr Gewicht, pile driver (techn.), den Rammbär | Fallblock | Rammklotz" zwingt, der wird mit einer wahren Flut von neuen Ideen belohnt.

Was Bov Bjerg schon vor Jahren in seiner mit dem MDR-Literaturpreis 2004 belohnten Geschichte "Howyadoin" andeutete, das exakte Betrachten und Sezieren von Wörtern, Bildern und Situationen, die vielen Ebenen in einer Erzählung, das führt er im nun vorliegenden Erstlingsroman bewundernswert fort. Bewundernswert fort | bewundernswert aus | auf bewundernswerte Art und Weise fort | aus, auf eine Bewunderung erregende Weise fort | aus, würde es im Roman vielleicht heißen, denn die Heldin, die gemäß des literarischen Codex selbstverständlich eine Anti-Heldin ist, befindet sich auf einer immerwährenden Suche nach einem besseren, genaueren, nach dem besten Ausdruck. Da heißt es: "Auf der Außenseite der Armlehne ein Schild | eine Tafel | eine Verkleidung, Seitenverkleidung, Außenseitenverkleidung mit dem Logo der Fluggesellschaft." Oder: "Ich blickte in ein schwarzes Ohr, aus dem lange weiße Haare wuchsen, die schmalen Blätter eines Luftwurzlers | landläufig Spanisch Moos | Louisiana-Moos | korrekt: Graue Tillandsie (Tillandsia usneoides)."

Übersetzerin von Beruf, stets die "Deadline" für ihre Texte, im von Donuts dick gewordenen Nacken, ist Paula - wie der Autor selbst - eine präzise Seziererin, die Dinge genau und technisch korrekt benennt. Damit lässt Bjerg den Leser stutzen und über altbekannte Sichtweisen nachsinnen - denn wer denkt schon bei Gegenständen automatisch die genaue Bezeichnung ihrer Materialien und Farbtöne mit? So stutzt der Leser zunächst bei Textstellen wie dieser: "Wieder das Schnarren, ich sprang auf, zur Garderobe hinter der Tür, wo der Mantel hing (Haken: Alu, eloxiert). Die Tagesdeckenrolle kippte in den Flur, auf meine Füße, Polyesterseegras, Polyesterpflaumen um die Knöchel, und Polyamidschnee. Polyamid-Altschnee, graphitweiß, Polyamidstraßenrandschnee." Die exakten, technischen Bezeichnungen der Dinge und auch der Menschen (der Schwager hat keinen Namen, sondern ist "der Schwager", wie auch die Schwester "die Schwester" ist) lesen sich zunächst anstrengend und fremd und dann wie eine eigene, an Konsonantenverbindungen reiche Poesie der deutschen Sprache im Zeitalter der technisierten, durchgeplanten Welt.

Doch nicht nur Bjergs Sprache ist voller Entdeckungen. Die Geschichte ist im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtig. Denn die Heldin Paula, die immer auf der Suche nach den tieferen Schichten der Bedeutungen ist, ist nicht nur die Tochter eines Mannes, der jahrelang Schicht um Schicht die Oberfläche alter Grabsteine abtrug, um daraus neue zu machen. Außerdem ist sie auf dem Weg von den USA zurück nach Europa, in ihre Heimat und in ihre Kindheit zurück. Nach und nach tauchen auf dieser Reise alte Erinnerungen auf, Schichten von Erde hebt sie später im Grab ihrer Eltern aus, und Schicht für Schicht wird auch sie einen alten Grabstein abschleifen, um einen neuen daraus zu formen. Selbst das Dorf, in dem sie ihre Kindheit verbracht hat und in das sie zurückkehrt, besteht aus mehreren Schichten, die sich in Ringen um den Ortskern legen. Wenn Amerikaner dann an mehreren Stellen im Gedankenfluss der "amerikanisierten" Paula als "oberflächlich" bezeichnet werden, dann kann das Wort bei diesem Autor kein Zufall sein.

Schon in "Howyadoin" setzte Bjerg Übersetzungen in Klammern, spielte mit Begriffen sowie mit der Vermischung von den Gedanken der handelnden Personen mit Allgemeinplätzen, mit Binsenweisheiten und gedankenlosen Redeweisen, so dass am Ende häufig unklar blieb, ob die Satire nur für den Leser oder auch für die Person in der Geschichte zu erkennen war. Auch Paula bleibt in diesem Roman für den Leser eines der am wenigsten sezierten Gebilde, denn Gefühle kommen bei ihr nur in den untersten Schichten vor, von denen kaum die Rede ist: "Doch wenn es danach ging, dass ich etwas auch einfach lassen konnte, weil ich neben mir stand, wenn es danach ging, konnte ich gleich alles lassen." Das ist einer der wenigen Sätze, die die Wort-Schürferin direkt charakterisieren.

Es geht in dem Buch um Amerikaner und Deutsche, um den Tod, um Selbstmord und das Leben, um Erinnerungen und Familiengeschichten, um Stehen und Liegen von Koffern, Häusern, Straßen, Steinen und Menschen, um "dieses Zusammen von senkrecht und waagrecht, Fassade und Gehweg. Dieser rechte Winkel, dieser jähe Wechsel vom Stehen zum Liegen, ohne jeden Übergang" bei Gegenständen und Menschen. Es geht um große und kleine Grabungen, um Gräber, Begräbnisse und Grabsteine. Und das alles ist dank Bov Bjerg nicht nur amüsant zu lesen, sondern an manchen Stellen sogar richtig lustig.


Titelbild

Bov Bjerg: Deadline.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2008.
144 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783898125628

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