Die 68er-Revolution hat gesiegt

Und Rob Alef stellt fest, dass das kaum etwas geändert hat

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

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Was wäre wenn? Die Revolution von 1968 hat gesiegt. Jetzt, 40 Jahre später stehen die jährlichen Siegesfeierlichkeiten an. Gestört wird das Ganze nur durch eine Mordserie, der die engsten Genossen des ermordeten Revolutionsführers Richard Dubinski zum Oper fallen. Ein unbekannter, offensichtlich eiskalt vorgehender Täter erschlägt sie mit einem kantigen, harten Gegenstand, den er anscheinend eigens zu diesem Zwecke mit sich führt. Der Zusammenhang mit Dubinski ist offensichtlich - nur, wer ist der Täter? Und was hat er gesucht?

Um das herauszufinden, stöbern Hauptkommissar Pachulke und seine Kollegin Zabriskie nicht nur in der revolutionsantiquarischen Sammlung des ersten Opfers Prometheus Praumann, sondern sie suchen unter anderem auch das Museum auf, in dem das Tegeler Vlies aufgeschreint ist. Die ganze Stadt wird zum Schauplatz der alternativen Geschichte, die Alefs Roman mehr und mehr präsentiert. Und das, obwohl der Sieg der Revolution kein wirklich anderes Berlin hervorbringt, als das heutige Berlin. Der Regierende Bürgermeister ist nicht auch noch Geliebter Bausenator, das Revolutionsmuseum ist weder hier noch da gebaut (sinnvoll wäre es aber) und die Revolutonsreliquien sind noch lange nicht so wertvoll wie im Alternativszenario, das Alef präsentiert. Originalpuddingbomben vom Kommune-I-Pudding-Attentat auf den US-Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey aus dem Frühjahr 1967? Der allererste Spülschwamm der Kommune I? (Igitt.) Das Mundspray von Klaus Rainer Röhl? Der Zahnstocher von Ulrike Meinhof? Und ein abgeschnittener Zehennagel vom Revolutionsführer persönlich? Die Echtheit aller Reliquien ist gewährleistet, fragt sich nur, wie viele Zehen Dubinski zu seiner Zeit hatte. Mehr als zehn werden es wohl sein, ist anzunehmen, trotz aller Echtheitszertifikate.

Alefs Krimi ist voll witziger Elemente einer anderen Realität, die natürlich nicht wirklich ernst gemeint ist. Denn die Revolution hat irgendwie anders gesiegt. Die berühmte Schlacht am Tegeler Weg ist zur Schlacht ums Tegeler Vlies mutiert. Die Namen der Revolutionsführer sind anders (auch wenn der eine oder andere durchaus entdeckt werden kann) und auch das Berlin, in dem Alefs Roman spielt, ist ein anderes. Zwar kann man auch in diesem Berlin ohne weiteres zum Müggelsee - die Wende scheint also wie gehabt oder anders auch im Alternativkosmos von Alef stattgefunden zu haben - aber der Müggelsee ist auch im Sommer zugefroren. Regelmäßig finden Schittschuhdemonstrationen auf ihm statt, bei denen die klassischen Parolen gerufen werden - eine Art gesellschaftlich gewollter Zeitvertreib für sozial Schwache.

Arbeitslosigkeit gibt es nicht mehr, weil überall so genannte Infos arbeiten, die einem erzählen, was es zu irgendeinem öffentlichen Gebäude zu wissen gibt: Wann gebaut, wieviel gekostet, wer hat sich runter gestürzt und dergleichen. Manchmal haben die dann einen Burnout und qualmen aus Mund und Nase. Aha. Selbstmordkandidaten machen einfach einen Flugschein und stürzen sich dann samt Flieger in irgendein vorher ausgewähltes Gebäude, das dann später wieder aufgebaut wird. Ist das schon schrullig, wird es an anderen Stellen dann ganz fantastisch: Die Patrouillen auf dem Müggelsee werden von Pinguinen gestellt, die einen eigenen Dialekt sprechen und sich mit Lebertran über Wasser halten (der sich irgendwie vertrackt nach Whisky anhört). Gelegentlich gibt es auch so etwas wie einen Zeitrutsch, einen Bruch im Raum-Zeit-Kontinuum, das dazu führt, dass das Datum einfach nicht mehr zum Tag passt, zu dem es gehört. Das fällt dann vielleicht Pachulke auf, aber sonst keinem.

Vernachlässigt man solche Schrulligkeiten, dann ist Alefs Roman eigentlich ganz normal. Es gibt eine Mordserie, zwei Ermittler, ein Szenario, das die Verbrechen zu erklären hilft, und schließlich ist da noch ein Mörder, dem auf die Spur zu kommen ist. Wenn nicht die kleinen "Ausrutscher" wären, wäre an Alefs Geschichte vielleicht die absurde Konstruktion zu vermelden.

Auch das Thema ist nicht unpopulär, Aufarbeitung der '68er ist in diesem Jahr der dringendste Auftrag, dem sich die Intellektuellen der Republik widmen. Immerhin will man ja wissen, wer an dem ganzen Schlamassel, als der unsere Gegenwart manchem erscheint, schuld ist. So gesehen ist Alefs Krimi auch ein ironischer, teils sogar witziger Kommentar zu den erhitzten Debatten um die Studentenbewegung und ihre Folgen. Denn wenn selbst eine erfolgreiche Revolution kaum etwas geändert hätte, was soll dann das ganze Gerede?


Titelbild

Rob Alef: Das magische Jahr. Krimi.
Rotbuch Verlag, Berlin 2008.
318 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-13: 9783867890250

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