Der ungewaschene Kommunismus

André Müllers Roman über die Neue Linke

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die "Kommune I" ist jedem, der sich ein wenig mit dem Jahr 1968 beschäftigt hat, bekannt. Aber die "Kommune V"? Dabei scheint es auch dort hoch hergegangen zu sein - jedenfalls verspricht André Müller im Untertitel seines bereits um 1975 geschriebenen Romans "Am Rubikon", die "schaudervollen Vorkommnisse" in jener Wohngemeinschaft zu schildern.

Allerdings kommt diese Westberliner Gruppe zu Romanbeginn ein wenig träge daher. Sicher - man bekämpft den bürgerlichen Arbeitszwang, indem man nichts tut, das bürgerliche Sauberkeitsideal, indem man sich selten wäscht und unterdrückende Ordnungsvorstellungen, indem sich das dreckige Geschirr in der Badewanne stapelt. Man ist auch, wie das berühmtere Vorbild aus der Realität, für die "freie Liebe", doch dies nur theoretisch. Im höchsten Fall kommt es zu Straßenkämpfen und ist man stolz, wenn man die Polizei dazu gezwungen hat, die Linken zu verprügeln. Aber der richtige Kampf ist das nicht - sehr zum Leidwesen des Kommunarden Bodo, der fordert, endlich zu den Waffen zu greifen.

Bodo nämlich ist Idealist: Nie würde er, als Kommunistenfeind, Geld dafür nehmen, als Spitzel Geheimdienst und Polizei zuzuarbeiten. Sein engster Partner ist ein Polizist, mit dem Namen Biermann, der sich nicht in alle Ewigkeit beim Verhör ihm intellektuell überlegener Linker verhöhnen lassen will und der als einzigen Weg, Karriere zu machen, einen großen Erfolg in einem großen Fall erhofft. Gemeinsam träumen Bodo und Biermann von Sprengstoffanschlägen, von Brandkatastrophen und der endgültigen Diskreditierung der Protestler. Nur sind die Kommunarden so peinlich skrupulös, sie leiden mit den Verfolgten dieser Welt und zögern doch, irgendwas oder -wen zu sprengen.

Das ist die Lage, und der Roman setzt ein, indem ein neuer Faktor Bewegung erzeugt. Der Faktor, das ist Stefan Heyer: ein kleiner Gauner und Zuhälter, schlau, nicht klug, der wieder einmal vor dem materiellen Aus steht, als er mehr aus Geltungssucht denn aus Kalkül zwei der Kommunardinnen vor dem Zugriff der Polizei rettet. Weil er ein paar Monate als Beleuchter unter Brecht am Berliner Ensemble gearbeitet hat, präsentiert er sich als Linker und lebt fortan in der Kommune V. Der Roman ist zunächst die Geschichte jenes Heyer in einer ihm fremden Umgebung, mit der der Neuling, in seinen Grenzen, geschickt umzugehen versteht. Beleuchter am Theater, das scheint wenig - und ist doch unter bestimmten Bedingungen das höchste Kapital. Die Kommunardin Christine etwa träumt von einem antiautoritären Kindertheater, in dem die Kinder, unbelästigt von Erwachsenen, je nach Lust spielen oder nicht spielen, und die Großen allenfalls aufzeichnen dürfen, was den Kleinen einfällt. Ein Beleuchter, fast ein Prolet, steht in solcher Sicht, die Hierarchien umkehrt, natürlich ganz oben - und so ist es auch nicht schwer für Heyer, sich als die eigentliche Muse des späten Brecht aufzuspielen.

Das erlaubt Müller eine brillante Kunstsatire, die das zeittypische und bis heute fortwirkende Missverständnis aufs Korn nimmt, nicht Wissen und Können erlaube fortschrittliche Kunst, sondern der sozialpädagogische Impuls, alle mitmachen zu lassen. Beleuchter gewesen zu sein, ist Heyers triumphaler Einstand, aber bedeutet noch keinen Sieg. Heyer ist schlau, und dazu gehört ein gewisser Realitätssinn, der ihn beinahe den Erfolg kostet. Eines Tages nämlich klingelt die Arbeiterklasse, wenn auch in Gestalt eines Einzelnen, bei der Kommune V und verlangt, den Kommunismus erklärt zu bekommen. Das fällt den überrrumpelten Kommunarden schwer, aber mit viel Bier und Schinkenbrot genährt, verschwindet die Arbeiterklasse wieder. Heyer klärt seine Mitbewohner darüber auf, dass sie einen stadtbekannten Schnorrer ausgehalten haben. Auch dies führt zu seiner Vertreibung aus der Kommune: Einen lieblosen Zyniker will man nicht. Aber litt nicht, wer lieblos ist, am Mangel an Liebe, kurz: an der Bürgerlichkeit? So ist Heyer schnell wieder da, besser im Geschäft denn je. Binnen kurzer Zeit wird er zum Geliebten aller drei Kommunardinnen, die ihn mittels Liebe heilen wollen, und bald auch zum Chef einer Raubdruckzentrale, von der er sich ein gesichertes Leben erhofft und in der Bodo und Biermann die finanzielle Grundlage für den langersehnten Übergang zum Terror sehen.

Die Konstellation markiert die ätzende Satire dieses Buchs. Ein Zuhälter geht seinen sexuellen Bedürfnissen nach und will von jenen Raubdrucken leben, deren Ertrag dem Idealisten zur Diskreditierung des Kommunismus und dem Karrieristen zum beruflichen Aufstieg dienen sollen. Alle, soviel sei hier verraten, scheitern mit ihren Plänen, und zwar auf durchweg originelle Art. Das überzeugt auch formal, denn früh und ohne dass der Leser es erkennen kann ist angelegt, was am Ende, fast wie ein Zufall, die Handelnden trifft. Bodo, nach mancher Wendung, ist tot, und Heyer hat wieder einmal nichts. Der Polizist Biermann aber wird überzeugter Terrorist und als solcher der Linken so sehr schaden, wie er es als Beamter nie geschafft hat.

Dies ist ein kühles Buch; kühl in der wohlkalkulierten Großform und kühl in der Personenführung, die die Figuren als Handelnde gegeneinander führt und so ein dramatisches Element in die epische Romanwelt einführt. Bereits Peter Hacks hat das Werk als dramatischen Roman bezeichnet. Kühl ist auch der Sprachgestus - eine fast durchgehend spöttische Schilderung, die ihren Witz vor allem aus ein wenig umständlichen, zuweilen bewusst altertümelnden Wendungen zieht. Die Beschreibung gerät so in ein gewolltes Missverhältnis zum Beschriebenen, und eben daraus entsteht Distanz. Wenn es Romanciers gibt, deren epische Gerechtigkeit in gleich unter ihren Figuren verteilter Zuneigung besteht, so ist Müller gerecht, indem er keine seiner Figuren schont. Resultat ist eine kluge Psychologie der Unzulänglichkeit; und deren Folge, dass am Ende doch ein wenig Sympathie entsteht - ein ganz klein wenig nur.

Nicht nur deshalb kann der Roman keineswegs als Pamphlet eines Rechten, der ein wenig verspätet auf die Neue Linke einprügelt, gelesen werden. Müller formuliert auch romanimmanent eine innerlinke Abgrenzung. Er lässt, ironisch genug, den Polizeispitzel Bodo die Trennlinie erkennen. Zunächst glaubt Bodo, dass er mit den anarchistischen Neuen Linken den radikalsten und gefährlichsten Teil seiner Feinde bekämpft. Als gewissenhafter Agent betreibt er jedoch genaue Theoriestudien und erkennt so, dass diese Neue Linke nicht nur von durchgreifender Wirkungslosigkeit ist, sondern auch ideal dafür ist, um die Linke insgesamt bei der Bevölkerung in Mißkredit zu bringen. Fortan unterscheidet er zwischen einem "ungewaschenen" und einem "gewaschenen" Kommunismus, wobei der ungewaschene geeignetes Mittel ist, um den traditionellen Kommunismus zu bekämpfen. Der Autor kritisiert die Kommune V von einem altlinken Standpunkt aus, nicht von einem rechten.

Man könnte meinen, diese Kritik wäre heute billig - schließlich sei doch mittlerweile unverkennbar, dass die '68er die Gesellschaft zwar modernisiert, damit aber auch stabilisiert hätten und somit von Umsturz nicht die Rede sein könne; und dass die Regierenden damals, hätte sich die RAF nicht von alleine gegründet, schlau beraten gewesen wären, selbst eine zu initiieren. Doch ist Müllers Kritik - was der Verlag leider verschweigt - keine vom heutigen Wissensstand aus. Müller schrieb das Buch um 1975, also vor dem Deutschen Herbst, und konnte es, nach manchen Querelen, erst 1987 publizieren. Es handelt sich also um die Wiederveröffentlichung eines gut dreißig Jahre alten Textes, die verdienstvoll ist, aber doch besser als solche angezeigt worden wäre.

Doch wie auch immer: Diese Wiederveröffentlichung verdient Beachtung. Der Roman ist politisch klug und vermittelt dies fast immer überzeugend; nur ganz selten formuliert Heyer Erkenntnisse des Autors, die die Figurenperspektive sprengen. Er ist sprachlich von kaum je erreichter Disziplin; und so enthält er einige Hundert guter Witze, weswegen man die drei oder vier, die nicht überzeugend konstruiert sind, gerne verzeiht. Er ist von außerordentlicher Fülle - über Nebenfiguren sind so viele verschiedene Schichten repräsentiert, dass man später wird sagen können: So war damals die Gesellschaft. Es handelte sich um einen prekären Zustand: Am Ende überschreitet die Kommune V zu ihrem Verderben und zu dem der Linken überhaupt den Rubikon und wird so eine massive staatliche Repression auslösen.


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André Müller: Am Rubikon. Die schaudervollen Vorkommnisse in der Kommune V.
Verlag André Thiele, Mainz 2008.
300 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783940884039

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