Ein Tag in Moskau

Jewgenij Grischkowez' Roman "Das Hemd" ist Popliteratur im besten Sinne

Von Manuela LückRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuela Lück

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Tag im Leben von Sascha: Sascha ist ein mäßig erfolgreicher Architekt. Vor einiger Zeit ist er aus der Provinz nach Moskau gezogen, hat sich sehr heftig verliebt und holt morgens seinen alten Freund Max vom Flughafen ab, dessen Besuch ihm deshalb sehr ungelegen kommt. In sie. Wer sie ist? Das erfahren wir erst nach und nach und am Ende des Roman kennen wir sie auch nicht wirklich besser. Wir wissen nur, dass Sascha sich sehr in sie verliebt hat, alle Gedanken um sie kreisen und er immer unbedingt mit ihr telefonieren muss. Zwischen dem Hoffen auf einen Anruf von ihr, der gegen drei Uhr morgens dann auch erfolgt, liegt ein Tag, den man mehr als rasant beschreiben kann.

An einem Moskauer Wintertag gibt es einen Termin mit einem Kunden, der den Eindruck macht, den Architekten gleich zusammen zu schlagen, Ärger auf der Baustelle, auf der ein Freund und Kollege den Auftrag wegschnappt, dazwischen ein Anruf von ihr, ein schwerer Verkehrsunfall, ein Termin beim Friseur, Ausgehen mit Max, diverse Taxifahrten und so weiter.

In den kurzen Pausen zwischendurch verfällt Sascha immer wieder in Tagträume, in denen er mit Max oder auch mal allein Abenteuer, Rettungsaktionen, Angriffe und Gefechte übersteht. Sascha erlebt einen nicht enden wollenden quälenden Tag und alles um ihn herum, die Korruption, die Mafia, die blühende Prostitution, skrupellose Autofahrer, die Autounfälle verursachen, berühmte Persönlichkeiten in In-Restaurants und Diskos, Markennamen, das Hemingway-Spiel, alles ist ihm auf einmal egal, weil er verliebt ist und zwar in sie.

Alles dreht sich nur um ihn. Er beginnt seine Arbeit zu vernachlässigen und sogar der Kummer seines Freundes Max berührt ihn kaum in seiner Verliebtheit. So endet schließlich endlich dieser Tag.

Unterhaltsam sind die Dialoge der beiden, besonders jener über das Geld, der als russische Befindlichkeitsanalyse gelesen werden kann. Sie kommen spritzig und frisch daher und lassen Sascha für einen Moment seine Verliebtheit vergessen. Der Aufbau erinnert ein wenig an James Joyces' "Ulysses", ohne aber dessen Qualität zu erreichen. Der Text macht einfach nur Spaß und ist im besten Sinne Popliteratur. So entsteht, auch durch die überzeugende und lebendige Zeichnung der Figuren ein Bild vom heutigen Leben in Moskau.


Titelbild

Jewgenij Grischkowez: Das Hemd. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen von Beate Bausch.
Ammann Verlag, Zürich 2008.
267 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783250601227

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