Komprimate und Abbreviaturen - Friedhelm Rathjen schreibt in "Fünfzig" neunundvierzig Gedichte und einen Echotext

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Komprimate und Abbreviaturen sind es, aus denen die allermeisten Gedichte dieses Bandes gebaut sind. Gelegentlich wird die Verkürzung sogar Thema, beispielsweise in "Genug", dessen Stimme "ein wort genug sein lassen" will und dieses Wort gefunden zu haben meint: "scheintotgeboren". In aller Regel aber geht es nicht um das Thema, sondern um das Bauprinzip der Komprimierung, die sich gleichzeitig logisch und semantisch zu verwirklichen sucht. Solche Gebilde wie die kurzen Gedichte "Ball" ("viel und / feder / leicht") und "Ohren" ("die stimmen gehört und / verloren / fremd und erkennen / mein eigen und gut") verdeutlichen, dass sie auf etwas anderes zielen als auf vordergründige Verständlichkeit.

Das gilt auch für die meisten der fünf Gedichte in der Abteilung "Anlässe & Scheinfährten", deren Auslöser reale Personen (Samuel Beckett, Arno Schmidt, Fritz Senn) oder Vorkommnisse (eine Veranstaltung in Tellingstedt) sind. Das gilt in noch stärkerem Maße für den 14teiligen Zyklus "An Irish Circuit", der Details der Landkarte Irlands in vertrackte englischsprachige Gedichte zu überführen sucht: "I will arise in Sligo now / And set in my old bay / And I will have some peas somehow / And lose my dripping way". Wenn hier eine fremde Sprache und unter der Hand auch eine Fremdvorlage ins Spiel kommen, so geschieht dies nicht von ungefähr, denn die Textgenese hat immer auch etwas Translatorisches an sich. Die Oberhand gewinnt dieser übersetzerische Gestus in den zehn Gedichten der Abteilung "Nach", bei denen es sich um Nachdichtungen ausgewählter Texte von John Millington Synge, Nicolas Chamfort (via Samuel Beckett), Herman Melville, Gertrude Stein, Jimi Hendrix und Edward Thomas handelt.

Am Ende des Bandes steht der im Untertitel genannte "Echotext", ein 111teiliges "Capriccio Oregano", das die Tendenz zur Verknappung in gewisser Weise umkehrt. Nach einem festen Repetitions- und Variationsschema (eben einem Echoprinzip) fächern sich einige wenige kryptische Sentenzen ("Oregon sag ich, Oregon. Or gone. Neinnein, noch ist es nicht so weit. Oregon.") zu einer verbalen Landkarte eines amerikanischen Bundesstaats auf: "Eines Tages war Oregon ein Fleck auf der Karte, kein weißer. Ein Fleck Landschaft auf der Karte der Weiße. Oregon. Wieso, weshalb, warum." Mit Bedacht steht hier kein Fragezeichen; auf Antwort ist eh nicht zu hoffen.

F.R.

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Titelbild

Friedhelm Rathjen: Fünfzig. Neunundvierzig Gedichte und ein Echotext.
Edition ReJOYCE, Scheeßel 2008.
128 Seiten,
ISBN-13: 9783000253041

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