Papier ist ungeduldig

Zum Tod der Schriftstellerin Christa Reinig

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

"Hört weg - ihr Helden / ich rede allein / für asoziale Elemente", heißt es in Christa Reinigs frühem Gedicht "Hört weg", mit dem sie schon in jungen Jahren ihre spätere Außenseiterstellung vorweg nahm. Als ihr 1999 der mit 20.000 DM dotierte Brandenburger Literaturpreis zugesprochen wurde, hat die Jury ihr dichterisches Werk als "mutige und einzigartige Zeugnisse souveräner poetischer Kompetenz" gepriesen.

Christa Reinig, die am 6. August 1926 in Berlin als uneheliches Kind einer Putzfrau geboren wurde, gehörte stets zu den stillen Vertreterinnen ihrer Zunft. Weder kurzlebige literarische Moden noch politische Ereignisse konnten die Autorin beeinflussen. Sie blieb ihrem eigenen balladesken Stil treu und ließ sich auch nach ihrer Übersiedlung von der DDR in die Bundesrepublik - anlässlich des ihr 1964 verliehenen Bremer Literaturpreises - nicht zu einer Sozialismusschelte verleiten.

In den 1960er-Jahren fand Christa Reinig, die auch als Übersetzerin russischer Literatur tätig war, die größte öffentliche Anerkennung. Sie erhielt das Villa Massimo-Stipendium (1965/66) und zwei Jahre später den Hörspielpreis der Kriegsblinden. Dabei hatte die Autorin bereits seit Anfang der 50er-Jahre Gedichte und Prosa auch in der Bundesrepublik veröffentlicht - schon 1952 in der von Hans Bender herausgegebenen Zeitschrift "Akzente". Bücher wie "Der Traum meiner Verkommenheit" (1961), "Drei Schiffe" (1965) und "Schwalbe von Olano" (1969) fanden bei der Kritik teilweise begeisterte Zustimmung.

In den 70er-Jahren avancierte Christa Reinig durch ihren Roman "Entmannung" (1976) zur häufig zitierten Vorkämpferin der Frauenbewegung. "Ausbrüche, Aufbrüche und Abbrüche" konstatierte Ulla Hahn als Charakteristika in ihrer Reinig-Laudatio 1993 anlässlich der Verleihung der Roswitha-Medaille.

Doch viele dieser im Werk sich widerspiegelnden Zäsuren sind unfreiwilliger Natur und haben in der Vita der Autorin ihre Wurzeln. Die Bechterew'sche Krankheit (ein schmerzhaftes Wirbelsäulenleiden) führte nicht nur zu einer ständigen inneren Unruhe, sondern auch zu einem beinahe völligen Rückzug aus dem literarischen Leben.

In den letzten Jahren ist es sehr still geworden um Christa Reinig, die einst nach dem Studium an der Humboldt-Universität als Kunsthistorikerin und Archivarin am Märkischen Museum in Ost-Berlin arbeitete. Lediglich ein schmales Bändchen mit philosophischen Betrachtungen ("Das Gelbe vom Himmel") hatte sie 2006 herausgebracht. Davor war 1999 in der Düsseldorfer Eremitenpresse der eindrucksvolle Erzählungsband "Simsalabim" in einer bibliophilen Ausgabe (mit Lithografien von Hans Ticha) erschienen. Doch die eigentliche Stärke Christa Reinigs liegt in ihren beinahe lakonischen, aber dennoch suggestiven Gedichten, die von einer eigentümlichen inneren Unruhe geprägt sind: "Einmal sein. / Einmal nicht sein. / Nicht Papier sein. / Papier ist ungeduldig. / Papier ist nicht Stein. / Stein ist Benommenheit."

Bereits am 30. September ist die mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Schriftstellerin, die zuletzt in einem Hospiz in München gelebt hatte, im Alter von 82 Jahren gestorben.