Sechs schrille Schwestern

Charlotte Mosleys "The Mitfords: Letters between six sisters" gibt Einblicke in die Marotten einer bizarren Familie

Von Peter MünderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Münder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Haben extreme Zeiten nicht immer schon extreme Typen hervorgebracht? Die sechs britischen Mitford-Schwestern, Töchter von Lord Redesdale, erregten mit ihren extremen politischen Ansichten in den 30er- und 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts großes Aufsehen: Unity Mitford war das Hitler-Groupie, das mit dem "Führer" befreundet war und sich bei Kriegsbeginn im Jahr 1939 aus Mitleid mit ihm in München die Kugel gab. Diana heiratete den britischen Faschistenführer Oswald Mosley, Jessica wanderte als überzeugte Kommunistin in die USA aus, Pamela war die naive Landpomeranze, die Hunde liebte und Geflügel züchtete, und Nancy karikierte in ihren Romanen die turbulenten Familienverhältnisse. Nur Deborah, 88, Herzogin von Devonshire, die letzte Mitford-Überlebende, ließ sich von den Schwärmereien ihrer Schwestern nicht infizieren. Charlotte Mosleys Band "The Mitfords: Letters between six sisters" mit den Briefen der Schwestern liefert Einblicke in ihre Marotten und zeigt ein Panorama, das politische Konflikte nur als Randphänomene der High Society wahrnimmt.

Als die Londoner "Times" Ende letzten Jahres in die Niederungen brodelnder Gerüchteküchen hinabstieg und die Frage erörterte, ob in England vielleicht ein unehelicher Hitler-Sohn unerkannt im Verborgenen lebte, wurden die Kontroversen um das Mitford-Sextett und um die Affäre der umstrittenen Nazi-Sympathisantin Unity Mitford (1914-48) mit dem "Führer" wieder angefacht. Hatte sie heimlich seinen Sohn zur Welt gebracht und diesen dann zur Adoption freigegeben? Unity schwärmte schon als 19jährige für Hitler und die Nazi-Ideologie. Sie bewunderte Hitlers wirtschaftliches Krisen-Management und quartierte sich 1934 in München ein, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Schließlich wollte sie möglichst eloquent parlieren, wenn sie den "bedeutendsten Mann der Weltgeschichte" traf. Wie ihre Schwester Diana (1910-2003), hatte sie aufgrund kritischer Berichte englischer Zeitungen über antisemitische Exzesse nach der Machtübernahme der Nazis die Entwicklung im Reich anfangs noch skeptisch beobachtet.

Hitlers Auslandspressechef Putzi Hanfstengl hatten die beiden Schwestern 1933 auf einer Londoner Party getroffen und nach diesen antisemitischen Übergriffen befragt. Der lud sie kurzerhand ein, sich selbst ein Bild von den Zuständen vor Ort zu machen. Als britische Vorzeige-Aristokratinnen, die mit Winston Churchill (er war ihr Onkel) verwandt und mit vielen anderen Prominenten befreundet waren, wurden sie wie exotische Raritäten während des Nürnberger Parteitages bestaunt und hofiert. Von den ritualisierten Machtdemonstrationen waren die beiden beeindruckt, von der Massenbegeisterung für das "Dritte Reich" ließen sie sich enthusiastisch mitreißen. Sie zeigten sich grinsend mit ausgestrecktem Arm in "Heil Hitler!"-Posen. Ihre anfängliche Besorgnis über Judenverfolgungen oder diktatorische Exzesse war schnell verflogen. Und bei ihren nächsten Besuchen in München war Unity zur unermüdlichen Stalkerin auf des Führers Spuren mutiert. Sie verbrachte fast jeden Tag in der von Hitler frequentierten Osteria Bavaria, um den angehimmelten Führer näher kennenzulernen. Als er sie schließlich ansprach, war er nicht nur von der betörenden blauäugigen arischen Erscheinung angetan, sondern auch von ihren connections zur englischen Oberschicht. So entwickelte sich eine merkwürdige Affäre. Er schwärmte mit ihr zusammen von einer deutsch-britischen Allianz, die zur segensreichen Weltherrschaft werden könnte. Er lud sie nach Bayreuth ein und lieh ihr seinen Mercedes für Ausflugsfahrten. Hitler empfing auch Lord und Lady Redesdale und andere Familienmitglieder. Selbst während der heimlichen Trauung von Diana mit dem Faschistenführer Oswald Mosley in Goebbels Berliner Villa war er anwesend.

Die sechs Schwestern hielten regelmäßig Kontakt untereinander und schrieben fast täglich Briefe. Charlotte Mosley, Diana Mosleys Schwiegertochter, hat für den jetzt veröffentlichten Briefband aus rund 12.000 Briefen der six sisters sechshundert ausgewählt, die eine Zeitspanne von fast achtzig Jahren (1925-2002) erfassen. In ihren Briefen an die Schwestern unterschrieb Unity meistens mit dem Gruß "Heil Hitler! Love Bobo" (ihr Spitzname). Und fast jede Erwähnung ihrer rund hundert Treffen mit dem "sweet" Führer wird mit Adjektiven wie "lovely" oder "wonderful" geschmückt.

"Er sprach ausführlich über die Juden, das war lovely" heißt es etwa in einem Brief vom 23. Dezember 1935. Oder (am 8. Februar 1936): "Er sagte, mit der deutschen Armee und der englischen Navy könnten wir die Welt beherrschen. Ist das nicht wunderbar. Oh, wenn wir das haben könnten... With best love and Heil Hitler!" Unity gab bayrischen Zeitungen Interviews, die eher plumper Nazi-Propaganda gleichkamen. Sie hielt schwärmerische Reden vor Nazi-Versammlungen und betonte selbst, dass die Nazi-Ideologie für sie "zur Religion" geworden sei. Die überzeugte Kommunistin Jessica, die mit ihrem Kousin Esmond Romilly nach Spanien durchgebrannt war, um die Republikaner im Bürgerkrieg zu unterstützen, lehnte diesen Führerkult natürlich entschieden ab und überwarf sich mit Unity und Diana. Kritik am Führer äußerte übrigens auch die pragmatisch-bodenständige Deborah, die bei einem Besuch in der Münchener Hitler-Wohnung feststellen mußte, dass die Teezeremonie zum Fiasko wurde: Der Führer klingelte zum Servieren des Tees, aber vom Personal ließ sich niemand blicken. "Der Mann hat ja nicht mal genügend Charisma, um seine Diener zu disziplinieren", kommentierte die schockierte Deborah später.

Unitys kindische Heldenverehrung nahm jedoch eine tragische Entwicklung, als sie sich nach der englischen Kriegserklärung an das Deutsche Reich entschloß, Selbstmord zu begehen - aus Mitleid mit dem armen Führer ("poor dear Hitler"), weil der den Krieg nicht wohlbehalten überstehen würde. Sie setzte sich im Englischen Garten auf eine Bank, schoss sich mit einer Pistole in den Mund, überlebte diesen Suizidversuch jedoch und wurde zuerst in die Schweiz und dann nach England transportiert, wo sie als Pflegefall mit einer Kugel im Kopf lebte und 1948 verstarb.

Während die Schwestern sich anfangs noch mit wechselnden Allianzen untereinander bekriegten und schnell wieder versöhnten, sorgten die späteren ideologischen Differenzen zwischen der überzeugten KP-Anhängerin Jessica (1917-96) und der Faschistenbraut Diana (1910-2003) für einen Dauerkonflikt, der schließlich zum definitiven Bruch führte - Jessica war in der Familie bald als rote Außenseiterin stigmatisiert. Aber nicht die überzeugte KP-Anhängerin Jessica denunzierte dann im Jahr 1941 Diana beim Außenministerium wegen deren Nazi-Sympathien als "äußerst gefährliche Person", sondern Nancy, die erfolgreiche, mit Evelyn Waugh befreundete Autorin. Diana wurde daraufhin für drei Jahre im Gefängnis Halloway inhaftiert, ohne zu ahnen, dass ihre eigene Schwester sie angeschwärzt hatte - und sie erhielt obendrein freundliche Briefe von Nancy. Heuchelei in Zeiten des Krieges - niemand kultivierte sie wohl so perfekt wie die englische Oberschicht. Leider bleibt gerade dieser heikle Aspekt in dem Briefband ausgeblendet.

Lord Redesdale hatte sich über seine sechs schrillen Töchter einmal zu dem gänzlich unbritischen, kritischen Verdikt hinreißen lassen: "Ich bin normal, meine Frau ist normal, aber von unseren Töchtern ist eine verrückter als die andere". Er hatte sich in seiner Ehe mit Sydney ursprünglich sieben Jungs gewünscht und dann neben den sechs Töchtern nur einen Sohn, nämlich Tom (1909-45) gezeugt, der ebenso normal wie die Eltern war. Tom wurde Anwalt und fiel als 35jähriger im Jahr 1945 bei Kämpfen mit den Japanern in Birma. Als einziges Kind genoss der in Eton erzogene Tom eine regelmäßige Schulbildung, denn die sechs Töchter sollten keine "Blaustrümpfe" werden. Ihnen wollte der konservative, mit wunderbarem Humor gesegnete Vater den Schulbesuch nicht zumuten, weil sie dann zum Hockeyspielen gezwungen worden wären. "Und dann hätten sie alle", so befand der weitsichtige Lord, "viel zu dicke Schenkel bekommen". So wurden die Schwestern von Gouvernanten erzogen und auf das Leben als High-Society-Ladies vorbereitet. Zweifellos waren die Töchter alle extrem auf ihren bewunderten Vater fixiert und daher später anfällig für mehr oder weniger extreme Formen von Heldenverehrung.

Hatte Unity also eine Love Affair mit Hitler, oder ging es nur um eine groteske, übersteigerte Backfisch-Schwärmerei? "Ihr reichte es völlig, nur im Dunstkreis ihres Idols zu sein", erklärt Charlotte Mosley in einem Kommentar, "das begeisterte sie total und suggerierte ihr außerdem, eine bedeutende Rolle in den deutsch-britischen Beziehungen zu spielen". Aber woher will sie, die mit der Gnade der späten Geburt Gesegnete, das so genau wissen?

Den definitiven Kommentar zum skandalträchtigen Mitford-Mythos, mit dem die von den Schwestern kultivierte Ambivalenz des Eindeutigen elegant bestätigt wird, lieferte die jetzt 88jährige, immer noch dynamische Deborah Mitford, Herzogin von Devonshire. Die an Gartenbau und Tierzucht interessierte Lady hatte 1941 nach ihrer Ehe mit Lord Cavendish, dem Herzog von Devonshire, den hochverschuldeten Landsitz Chatsworth (1552 erbaut, 35.000 Hektar, circa 175 Räume mit einer grandiosen Gemäldesammlung, 500.000 Besucher jährlich) nach der Heirat mit dem Duke of Devonshire in eine rentable kulturelle Sehenswürdigkeit verwandelt. Sie hat einige entzückende Bücher über Chatsworth geschrieben. Sie verehrt Elvis Presley und ließ sich in einigen Briefen während eines USA-Besuchs über Graceland fast so ekstatisch aus wie Unity früher über Berlin und München. Nach dem Tod ihrer vom Mitford-Clan verstoßenen Schwester Jessica im Juli 1996 äußerte sie sich in einem Brief an Diana über unerquickliche Nachrufe und den aufgeregten Medienrummel um die Mitfords. "Überall ist über die berühmten, umstrittenen, talentierten, glamourösen, turbulenten, unberechenbaren, berüchtigten, rebellischen und idiosynkratischen Mitford Sisters zu lesen", schrieb sie damals. "Such Dir das Passende raus. Im ,Daily Express' steht ein langer Artikel über uns, betitelt "Sex and Power". Was hat denn Power damit zu tun? Und warum sollen wir uns so sehr von anderen unterscheiden?"


Titelbild

Charlotte Mosley: The Mitfords: Letters between six sisters.
HarperCollins Publishers, London 2008.
896 Seiten, 15,99 EUR.
ISBN-13: 9780061375408

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