Kunstvolle Morde am Neckarstrand

Lilo Beils missglückter Regionalkrimi "Das Licht unterm Scheffel"

Von Holger DauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Holger Dauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Faszination scheint ungebrochen: Immer mehr Verlage bauen ihr komplettes Programm auf Regionalkrimis auf. Das hat natürlich seinen guten Grund: Es hat, so bizarr es klingen mag, etwas Gemütliches, Anheimelndes, ja Beruhigendes, wenn man die Leichen dort entdecken kann, wo man gewöhnlich seine Sonntagsspaziergänge absolviert oder seinen Frühschoppen nimmt. In der "Heimat" ist das Morden eben doch am Schönsten. Der Schauer wird umso wohliger, je enger er sich an die Scholle schmiegt - eine Art wattierter Gruseleffekt, abgefedert durch das freudige Erkennen und Wiedererkennen von Straßen, Plätzen und Gebäuden, abgemildert auch durch reichliche dialektale Einsprengsel - das spezifische Idiom als vertrauensbildende Maßnahme und Authentizitätsersatz. Die gewohnte, alltägliche Umgebung als mörderischer Handlungsraum - das verspricht überdies so etwas wie eine identitätsstiftende Entlastung der eigenen Vorstellungskraft, eine angenehme Minimierung des intellektuellen und emotionalen Aufwandes. So entsteht eine blutdurchtränkte All-Inclusive-Wellness-Literatur, die es allzu vielen gleichzeitig Recht machen will und doch nicht viel mehr als fade Folklore, austauschbares Lokalkolorit und von daher allenfalls anekdotische Wirklichkeitsbewältigung zu bieten hat.

Das alles klingt - zugegebenermaßen - nicht sehr freundlich und tut den herausragenden Beispielen sicher auch Unrecht, beispielsweise den beiden Romanen "Tannöd" und "Kalteis" von Andrea Maria Schenkel. Aber es ist nicht zu übersehen: Das Gros des Genres zieht sich - freiwillig und zuweilen selbstgenügsam, wie es scheint - ins Mittelmaß zurück, und das heißt: ritualisierte Handlungsabläufe, klischeehafte Figurenzeichnung, atmosphärische Beliebigkeit, konventionelle, schablonenhaft erstarrte Dialoggestaltung. Und auch stilistische Feinheiten und filigrane Sprachbehandlung sind eher verpönt. Allzu oft gibt man sich dem Irrglauben hin, dass man literarisch nicht stolpern kann, wenn man auf ausgetretenen Pfaden wandelt. Bloß nicht anecken, bloß den Leser und die Leserin nicht überfordern. Doch die ästhetische Barrierefreiheit hat ihren Preis: Das permanente, unangenehme Gefühl, das alles schon einmal gelesen zu haben. Der Preis heißt also: Langeweile, gähnende Langeweile.

Die aus der Südpfalz stammende, im Odenwald lebende Autorin Lilo Beil macht da mit ihrem - nach "Gottes Mühlen" (2007) - zweiten Roman "Das Licht unterm Scheffel" keine Ausnahme. Dabei mangelt es nicht an originellen Ansätzen, und auch der Plot verspricht intelligente Spannung. Heidelberg im Jahr 1966: In der beschaulich-pittoresken Stadt der Romantiker und Fototouristen rumort es gewaltig. Die studentische Jugend begehrt auf, wie überall in der Republik. Unangenehme Fragen zur jüngsten Vergangenheit werden gestellt, Autoritäten verhöhnt, politische, gesellschaftliche und moralische Verkrustungen angeprangert. An den Universitäten wird frech damit begonnen, die Talare zu lupfen, um den Muff von tausend Jahren herauszulassen. Und während man mit Pop und Pott etwas Fröhlichkeit in die bundesrepublikanische Nachkriegstristesse bringen will, werden die Röcke kürzer und die Haare länger. Die Welt des Verbrechens zeigt sich indes von den sich anbahnenden gesellschaftlichen und modischen Umbrüchen gänzlich unbeeindruckt. Aus einer Villa in bester Heidelberger Lage werden zwei Gemälde gestohlen, Fälschungen zwar, im Stile Vermeers, gleichwohl geniale Kunstkopien, die in Kennerkreisen hoch gehandelt werden. Die Bilder stammen von einem holländischen Maler und Antiquitätenhändler namens Han van Meegerem, einem historisch belegten Meisterfälscher, der Ende des Zweiten Weltkriegs mit seinen täuschend echt wirkenden Gemälden selbst Nazi-Größen wie Hermann Göring an der Nase herumführte und ihnen Unsummen abluchste.

Die Heidelberger Diebessaktion hätte trotzdem kein allzu großes Aufsehen erregt, wenn es nicht unangenehme Begleitumstände geben würde: Am Tatort zurück bleiben nämlich ein vergifteter Hund und die tote Studentin Babette. Deren schockierte Freundin Anna Nüsslein hat glücklicherweise kurz zuvor einen leibhaftigen Kriminalkommissar kennen gelernt, charmant und gutaussehend, fast zwanzig Jahre älter zwar, aber äußerst attraktiv und mit einem seltenen Sinn für die geistigen Genüsse des Lebens, ein realistisch-sensibler Schöngeist mit Verständnis für die rebellierende Jugend. Einem solchen Mann ist zu trauen und einen Vertrauten braucht Anna; schließlich ist es die Villa ihrer Großtante Klara, in die eingebrochen wurde und in der sich das tragische Unglück zugetragen hat. Friedrich Gontard, so der Name des umschwärmten Gesetzeshüters, ist denn auch gleich bereit, sich um den Fall zu kümmern, obwohl er eigentlich Chef der Ludwigshafener Kripo und demzufolge gar nicht zuständig ist. Aber es gibt Mittel und Wege, wenn man einem jungen Mädchen imponieren will. So verrennt sich der sympathische und auf angenehme Weise zu Selbstkritik neigende Kommissar in eine Reihe abstruser Theorien und Verdächtigungen. Als dann plötzlich eines der Gemälde wieder auftaucht, im völlig zerstörten Zustand, und zu allem Überfluss am Stauwehr an der berühmten Karl-Theodor-Brücke noch eine weitere Leiche ans Tageslicht tritt, ist die Verwirrung perfekt, zumal es sich bei dem neuen Toten um den bis dahin einzigen Tatverdächtigen handelt. Lilo Beil legt noch ein paar falsche Fährten, das gehört sich so im Krimi. Und mit Hilfe eines quietschgelben VW Käfers kann der Mörder und Kunsträuber schließlich überführt werden.

Mehr kann aus verständlichen Gründen zur Handlung nicht gesagt werden. Dafür ein paar Worte zur Figurengestaltung. Großtante Klara ist das - aus Film, Fernsehen und Boulevardtheater sattsam bekannte - Paradebeispiel der resoluten, dabei grundgütigen, humorvollen Dame, ebenso betucht wie betagt, moralisch, aber nicht bigott, das "Herz am rechten Fleck", von milder Strenge und tiefem Verständnis für die Verfehlungen der Jugend, sofern die Tugendpfade nicht gänzlich verlassen werden. Bei genauerem, kritischen Hinsehen entpuppt sich die zur Schau getragene Rigorosität der Großtante nicht als Selbstbewusstsein, sondern allenfalls als zupackende Bodenständigkeit, ihre Souveränität scheint nicht viel mehr als eine raunzend-unwirsche Kommentierung dessen, was sie nicht ändern und auch nicht beeinflussen kann und auch noch nie konnte.

Ähnliches gilt für Anna Nüsslein, die ihr anvertraute Pfarrerstochter aus der Nordpfalz, deren keckes emanzipatorisches Gebaren doch nicht viel mehr als jungmädchenhafte Koketterie ist. Bei ihr wird man das Gefühl nicht los, dass sie jederzeit zur bedingungslosen Reanimation dessen bereit wäre, was mit dem "wahren Weiblichen" imaginiert wird, dass sie sich immer auf dem Sprung zur Einordnung in männlich prädominierte Lebenswelten befindet. Das ist so von Lilo Beil natürlich nicht intendiert. Aber die Autorin muss sich fragen lassen, warum sich dieser Eindruck aufdrängt.

Friedrich Gontard schließlich ist ohne Zweifel die interessanteste Figur des Romans. Schon der Name: Gontard! Hölderlins Diotima lässt grüßen. Und mehr noch die Belesenheit der Autorin! Die muss natürlich dokumentiert werden, ebenso wie die offenbar unvermeidlichen lokalen Geschichtchen und regionalen Absonderlichkeiten, die sich in die Geschichte einfügen wie ein Dolch zwischen die Rippen eines unschuldigen Opfers. Gontard ist vielleicht etwas zu grüblerisch, zu zaghaft für seinen Beruf, dann wieder stolpert er überhastet und unreflektiert durch ein schlecht beackertes Feld von Fakten und Indizien, die er erst recht spät, intuitiv und eher durch Zufall in einen logischen Zusammenhang bringen kann. Doch diese Unzulänglichkeiten machen die Figur im durchaus besten Sinne glaubhaft, zumindest stellenweise. Aber eben auch nur diese.

Lilo Beil erzählt geradlinig, schnörkellos, ohne Umschweife. Sicher: Das ist für einen Krimi nicht das Schlechteste. Und dennoch will sich Vergnügen nicht so recht einstellen. Warum? Weil die regionalen Einschübe allzu aufgesetzt und zuweilen geradezu deplaziert wirken. Weil der - zweifelsohne hoch interessante - zeitgeschichtliche und soziokulturelle Hintergrund eher schulmeisterlich und nahezu losgelöst von der eigentlichen Geschichte präsentiert wird und dessen mentale Unterfütterung fehlt. Weil die Gemütslagen der Protagonisten oft völlig unmotiviert wechseln. Und, nicht zuletzt: Weil sich immer wieder stilistische Ungereimtheiten und Unwahrscheinlichkeiten der Handlungsführung einschleichen. Dafür nur ein Beispiel: Da konfrontiert Gontard im letzten Drittel des Buches endlich den Mörder mit seinen nahezu unumstößlichen Beweisen, scheint der Showdown greifbar nahe, da lässt er sich im nächsten Augenblick voller Neugier eine kulinarische Spezialität der Nordpfalz erklären - von der Haushälterin des Schurken. Der Krimi, so Raymond Chandler 1949 in seinen berühmt gewordenen "Beiläufigen Anmerkungen zum Kriminalroman", "muss aus plausiblen Handlungen plausibler Menschen unter plausiblen Umständen" bestehen. Und der Altmeister des Genres erinnert zugleich daran, "dass Plausibilität weitgehend eine Sache des Stils ist".

Lilo Beil will mit ihrem "Licht unterm Scheffel" letztlich zu viel: eine Kriminalstory soll das Ganze sein, aber auch eine Liebesgeschichte, eine psychologische Studie über Kunstbesessenheit und obendrein eine zeithistorische Chronik. Das muss schief gehen und es ist schief gegangen. Gründlich. "Lass uns vergessen, was war", schlägt Gontard ganz am Ende des Buches seiner Freundin vor. Dem Leser, mit Verlaub, wird das nicht schwer fallen.


Titelbild

Lilo Beil: Das Licht unterm Scheffel. Gontards zweiter Fall.
Conte-Verlag, Saarbrücken 2008.
177 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783936950724

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