Dornröschen in Öl

Zu Volker Perthes' Studie über den Iran der Zukunft

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir leben in spannungsreichen Zeiten. Insbesondere die Diskussionen in Politik und Medien über einen zweiten Kalten Krieg lassen aufhorchen und alte Schreckensszenarien von einem neuen Auf- und Wettrüsten gerade in Europa wieder aufleben. Schließlich gab der Krieg in Georgien - ausgelöst durch Präsident Sakaschwili und seine westlichen Berater - den USA den notwendigen Vorwand, die stockenden Gespräche über das Raketenschild in Polen wieder in Gang zu bringen und durch einen Vertrag abzuschließen. Verhandlungen Washingtons mit anderen ehemaligen Ostblockstaaten sind möglich. Die politische und militärische Einkreisung Russlands als Ziel der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik ist somit ein gutes Stück weiter.

Was den Nahen Osten betrifft, da fallen die Erfolge der Aktivitäten der Bush-Administration wesentlich nüchterner aus. Dennoch: Zwar sind Afghanistan und Irak nicht befriedet, dafür aber verfügen die USA mittlerweile über bedeutende Erdöl- und Gasvorkommen in der Region und haben zudem zumindest ihren "Erzfeind", die Islamischen Republik Iran, eingekreist. Dass sich jedoch trotz der oft wiederholten Androhung Washingtons, den Mullahstaat angreifen zu wollen, aufgrund der amerikanischen Russland-Politik in Bälde eine neue Phase in den Beziehungen beider Staaten entwickeln könnte - diese Möglichkeit immerhin untersucht der Nahost-Experte Volker Perthes in seiner gerade erschienenen Studie "Iran - Eine politische Herausforderung".

Der Untertitel des gut 160 Seiten umfassenden Buches sagt konkret, worum es in den schwierigen Verhandlungen des Westens mit dem Iran geht, nämlich um die "prekäre Balance von Vertrauen und Sicherheit". Perthes zeichnet dabei ein genaues Bild der derzeitigen Situation in der Atomfrage und macht äußerst konstruktive Vorschläge, wie sowohl die EU als die Vereinigten Staaten gegenüber dem so genannten Gottesstaat vorgehen sollten. Seine zentrale Empfehlung ist die, dass die Westmächte gut beraten wären, die Kontakte zur Islamischen Republik nicht zu vernachlässigen und dadurch das Land weiter in die Hände Russlands und Chinas zu treiben. Im Gegenteil sollten sie gerade in Zeiten zunehmender Energieknappheit den Iran als ernstzunehmenden Partner akzeptieren und längerfristig an sich binden, um in mehrfacher Hinsicht davon zu profitieren - in politischer und wirtschaftlicher, aber auch in militärischer.

Doch bevor der Autor, seinerseits Leiter der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) des "Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit", weitere Empfehlungen abgibt, spricht er in seiner Einleitung die aktuelle Lage im Nahen und Mittleren Osten an. Er spricht von einer "geopolitischen Revolution" nach dem Irakkrieg und erläutert in diesem Zusammenhang auch die Gründe für den dringenden Wunsch Teherans, sich die Atomtechnologie anzueignen und endlich von den USA als gleichberechtigter Staat anerkannt zu werden.

Dass die Annäherung zwischen dem Westen und den Mullahs freilich mehr als schwierig ist, zeigt der Autor im ersten Kapitel auf, in der er die Geschichte Irans nach der Islamischen Revolution von 1979 untersucht. Der 1980 von Saddam Hussein auf Betreiben der USA entfachte, acht Jahre andauernde Golfkrieg der beiden Nachbarn hat den Iran nicht nur hunderttausende Tote und Verwundete gekostet, sondern auch den Niedergang seiner Wirtschaft herbeigeführt. Seitdem herrsche, so Perthes, ein großes Misstrauen bei den Iranern gegenüber dem Westen, das nach der Absetzung der Taliban 2001 und des Baath-Regimes 2003 noch gewachsen sei. Dieses gelte es jetzt durch Verhandlungen mit Teheran wieder abzubauen. In diesem Zusammenhang könne der Atomstreit von der EU übrigens auch als ein Testfall betrachtet werden, der ihr die Möglichkeit böte, endlich zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu gelangen.

Freilich hat nicht nur die EU Schwierigkeiten, mit einer Stimme zu sprechen. Auch die iranische Führungselite, in der durchaus unterschiedliche Kräfte mitwirken, vertritt keine einheitliche Linie in der Atomfrage. Daher macht es sich der Autor in seiner Studie zur Hauptaufgabe, bezüglich des richtigen Umgangs mit dem Land die Frage nach den Triebkräften iranischer Politik zu analysieren. So geht Perthes im zweiten Kapitel auf die politischen Strukturen und den Kampf um Positionen im Iran selbst ein. Er gewährt einen Einblick in das hybride System der persischen Netzwerke, stellt im vierten Kapitel die verschiedenen Gruppierungen vor - bedauerlicherweise ohne den gerade schwelenden Machtkampf innerhalb der Elite zwischen Mullahs und Militärs zu berücksichtigen. Dabei ist die fehlende Thematisierung dieser Entwicklung allerdings ein Umstand, der nicht nur dieses Buch, sondern die gesamte deutsche Politik und Medienwelt betrifft - und das ganz bewusst.

Dabei wird es gerade der Ausgang dieses aktuellen Streits um die Herrschaft im Iran sein, der über die zukünftige Ausrichtung des Landes entscheidet. Bleibt der fundamentalistische Gottesstaat abgeschottet oder öffnet er sich der Welt und stärkt damit diejenigen, die mehr im Iran als in den Nachbarstaaten am Golf investieren wollen? Schließlich seien, so Perthes im dritten Kapitel, die Voraussetzungen, dass sich der Iran nach einer politischen und militärischen, auch zu einer wirtschaftlichen Regionalmacht entwickelt, mehr als gegeben: "Die Bevölkerung ist stark urbanisiert und jung - 70 Prozent der Iranerinnen und Iraner leben in Städten, zwei Drittel sind unter 30. Die Bevölkerung ist gut ausgebildet, zumindest im regionalen Vergleich. Fast alle Iranerinnen und Iraner haben Lesen und Schreiben gelernt. Das Humankapital für einen wirtschaftlichen Take-Off wäre also vorhanden."

Was hindert also den Westen, die Beziehungen zum Iran zu vertiefen? Eben das beträchtliche Gefährdungspotential, über das die Perser verfügen - politisch, militärisch und ökonomisch. Nicht nur habe Teherans Einfluss, so Perthes im fünften Kapitel, im Westen Afghanistans zugenommen, sondern auch und vor allem im Irak, wo seit 2003 erstmals die Schiiten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, die Regierung anführen. Weiterhin bestünden gute Verbindungen zu Syrien, diejenigen zu den Hisbollahs im Libanon und zur Hamas im Gaza-Streifen würden mit der Zeit wohl noch ausgebaut werden. Das schüre wiederum Angst bei den sunnitischen Arabern und insbesondere bei den Israelis, denen die Aussagen Mahmud Ahmadinejads ein ideales Feindbild lieferten und damit Gründe, weiter aufzurüsten und an der Atombombe festzuhalten.

Aber die Bombe wolle auch das Regime in Teheran: Einmal, um seine Position im Nahen und Mittleren Osten zu sichern und auszubauen, und zum anderen, um vom Westen ernstgenommen und von den USA als legitime Regierung anerkannt zu werden. Hierauf geht Perthes im sechsten Kapitel sehr ausführlich ein. Nach den Erfahrungen mit dem Ende der Taliban und Saddam Husseins sei es der persischen Elite - interne Machtkämpfe hin oder her - ein zentrales Anliegen, von Washington als gleichberechtigt angesehen zu werden. Nachdem 2003 eine Annäherung zwischen beiden Seiten nach Bushs Erklärung, dass das Land mit zur "Achse des Bösen" gehöre, scheiterte, müssten die Amerikaner nach ihrer Niederlage im Irak die Perser schließlich doch als Verhandlungspartner hinnehmen. Der Vorteil liege nun bei der iranischen Regierung. Seitdem spiele sie auf Zeit und lasse den Westen zappeln.

Und nun, so wird im siebten und letzten Kapitel deutlich, liege es insbesondere an der EU und den USA, eine vernünftige Lösung in der Atomfrage zu finden. Denn der Ausgang der Verhandlungen würde darüber entscheiden, ob sich die Nahostkonflikte durch eine weiterhin martialische Außen- und Sicherheitspolitik wie unter George W. Bush verschärften oder ob durch eine Verständigung ein politischer Wechsel in Teheran und Frieden im Orient einkehren und gleichzeitig die Energieversorgung des Westens gesichert würde. Die Anbindung Irans durch ein "Grand Bargain" an Washington würde schließlich auch eine Abkühlung der Beziehungen Teherans zu Moskau und Peking bedingen und also dem Ziel der US-amerikanischen Nahost- und Mittelostpolitik, die beiden anderen Großmächte möglichst aus der Golfregion fernzuhalten, sehr nahe kommen. Freilich müsste sich der Iran bis dahin selbst als ein verlässlicher Partner erweisen: "Analytisch ein wenig vereinfachend lässt sich sagen, dass das Problem in der prekären Balance zwischen Sicherheit und Vertrauen liegt: Es geht um Sicherheit ,für' Iran und um ,internationales' Vertrauen in die Absichten des Landes. Aber es geht gleichzeitig auch um Sicherheit ,für' die Nachbarn Irans und um ,iranisches' Vertrauen in die internationale Gemeinschaft."


Titelbild

Volker Perthes: Iran. Eine politische Herausforderung: Die prekäre Balance von Vertrauen und Sicherheit.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
160 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783518125724

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch