Kultivierte Trunksucht

Paul Tordays neuer Roman "Bordeaux"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paul Tordays Buch wird wohl aufgrund seines Titels hauptsächlich in den Händen von weininteressierten Lesern landen. Der Autor ist durch seinen ungewöhnlichen Vorläuferroman über das "Lachsfischen im Jemen" aufgefallen, und so erwartet man jetzt etwas zumindest ebenso Ungewöhnliches. Und der Leser wird nicht enttäuscht. Er erfährt etwas Wein, insbesondere über den "Bordeaux". Er erfährt aber auch etwas über einen Protagonisten, der Wein liebt. Dass es zu spannenden Wechselwirkungen zwischen Wein und Protagonisten kommt, ist vorstellbar. Und dass diese Auswirkungen denn allerdings so gar nicht zu einem edlen und auserlesenem Bordeauxwein passen, macht eine der Besonderheiten des Buches aus.

Im Untertitel wird die Struktur des Buches angekündigt: man berichtet in "vier Jahrgängen", das heißt hier in vier Abschnitten, die eine zeitliche Reihenfolge vorgeben. Vier Jahre werden skizziert, begonnen mit dem Jahr 2006 - dem Ende der Geschichte - bis zum Jahr 2002. Die Handlung umfasst ungefähr 5 Jahre. Der Zustand des Protagonisten ist zu Beginn der Fabel gesundheitlich bedenklich. Sein Arzt prognostiziert ihm nur noch wenige Monate Lebenszeit. Zusammenbrüche folgen in kurzen Abständen aufeinander: bei einer Weinverkostung im Restaurant, beim Einkaufen im Supermarkt. Seine tägliche Ration von vier bis fünf Flaschen Wein lassen kaum mehr einen Spielraum - weder kann er die tägliche Weinmenge reduzieren, noch ist es möglich, von dritter Seite einzuschreiten: Endstadium einer Suchterkrankung.

Paul Torday schafft es durch die rückwärts erzählte Geschichte die einzelnen Phasen der "Weinbegeisterung" des Protagonisten mit der schließlich letalen Folie des ersten Abschnitts zu unterlegen. Dadurch werden die einzelnen Abschnitte, die erst zur Obsession und dann zur Sucht führen, vom Leser in einem anderen Licht gesehen. Denn letztendlich ist es eine Suchtkarriere, die Torday dem Leser nahe bringt. Diese "Laufbahn" beginnt in einem durch Arbeit und gesellschaftlichen Aufstieg bestimmten Leben - in dem eine Sinndimension abhanden gekommen ist. Torday thematisiert die inhaltliche Leere und fundamentale Sinnlosigkeit des Daseins seines Protagonisten Wilberforce. Es ist die Verbindung von sozialem Kontakt und Wein, der wiederum als Ersatz für soziale Bindungen und kulturelles Niveau fungiert -, es ist eine langsam vom Genuss zur Sucht sich steigernde "Karriere". Wie sich die individuellen Werte der Hauptfigur verschieben, wird an der Charakterisierung der Hauptfigur deutlich: "Er hatte einen Freund verloren, aber einen Weinkeller gewonnen."

Die vermeintlich neuen Kontakte werden nach und nach aufgelöst und durch die "Liebe zum Wein" ersetzt. Nachdem die Frau des Protagonisten bei einem von ihm verschuldeten Unfall tödlich verunglückt und er seinen ehemaligen Partner beim Verkauf der gemeinsamen Firma verprellt, verliert er jegliche soziale Bindung. Die zwischenzeitlich über Francis Black, seinen Mentor in Sachen Wein und Inhaber eines Weinkellers, kennen gelernten "Freunde" sind nach einigen gesellschaftlichen Faux Pas von Wilberforce - der Name sollte von William Makepeace Thackeray bekannt sein - wieder verschwunden. Francis Black stirbt und Frankie Wilberforce fühlt sich verpflichtet, den Weinkeller zu "übernehmen" - was letztendlich sein restliches Vermögen aus dem Verkauf seiner Firma verschlingt: "Er hatte ihn mir anvertraut, zusammen mit dem Haus. Es war vorgesehen, dass ich in Caerlyon wohnen und mich um den Wein in der Gruft kümmern sollte, um die Sammlung, die sein Lebenswerk darstellte. Den Verkauf konnte er durchaus als Verrat betrachten. Und er hatte ja Recht, es war ein Verrat. Andererseits blieb mir auch keine andere Möglichkeit, wenn ich überleben wollte. Solange der Wein da war, würde ich seinen Verlockungen erliegen."

Spannend sind die Beobachtungen, die der Leser am Rande der Handlung machen kann, etwa wenn er die Warnungen beachtet, die Wilberforce von seinem sozialen Umfeld angetragen werden, die aber, wie bei jeder Suchtlaufbahn, am Protagonisten abprallen. So etwa als der Mentor von Francis Black, Heinrich Carinthia, Wilberforce auf die Gefahren des Weines hinweist: "Seien Sie vorsichtig. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man Lust auf Wein hat. Man darf ihn sogar lieben. Aber was Francis für Wein empfindet, geht darüber hinaus. Passen Sie auf, dass es bei der Lust bleibt. Selbst die Liebe ist ein bisschen gefährlich." Eine gewisse Naivität scheint durch diese Formulierungen durch - aber eben dies ist auch ein Aspekt von Sucht in der Realität: Naivität und Banalität.

Der Schluss des Buches spiegelt die Geschichte noch einmal wider: "Hatten Sie jemals dieses Gefühl? Waren Sie jemals absolut davon überzeugt, dass sich das Leben für Sie - endlich - wirklich zum Guten wendet?" Torday ist sowohl eine hervorragende Gesellschaftsskizze als auch eine fiktive Suchtbiografie gelungen. Hinzu kommt in der deutschen Ausgabe eine auf sprachlich hohem Niveau agierende Übersetzung, die dem nicht nur am Thema "Wein" interessierten Leser ein interessantes und unterhaltsames Lesevergnügen gewährt. Und so ist Torday ein wahrlich würdiger Nachfolger für das "Lachsfischen im Jemen" gelungen.


Titelbild

Paul Torday: Bordeaux. Ein Roman in Jahrgängen.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Stegers.
Berlin Verlag, Berlin 2008.
315 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783827008084

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