Unter der Pfirsichhaut

"Die Anstalt der besseren Mädchen" von Julia Zange ist nicht nur eine Neuauflage von Christian Krachts "Faserland", sondern kritisiert wie Charlotte Roche den Kult um die makellose Oberfläche

Von Jan BerningRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Berning

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Sätze, die nicht so gut funktionieren, wie sie klingen. "Die Schönheit wird die Welt erlösen", wie es in Fjodor Dostojewskis "Idiot" heißt, könnte einer dieser ohne Kontext ins Sprichwörtliche gekehrten, Sätze sein, denen man sich, nachdem man sie gedreht und gewendet hat, nicht mehr ohne Vorbehalt anvertrauen mag. Ganz sicher will man sich der Behauptung dann nicht mehr anschließen, wenn man "Die Anstalt der besseren Mädchen" gelesen hat, den Debütroman von Julia Zange, die 2006 mit 23 Jahren beim Open-Mike-Wettbewerb gewann.

In ihrem Buch ist tatsächlich alles atemberaubend schön - und zwar nicht kitschig-schön, sondern mit der heute verlangten ironischen Brechung: eine Designer-Welt von stilistischer Vollkommenheit aus Modekatalogen und Fotos von David Hamilton. Eine Welt, in der Schönheit Ideologie ist und "alles in weißem Naturstein und Teakholz gehalten" - hier die Wärme von Tierkörpern, da weiches Licht, alles mit dem Schleier des gemacht Natürlichen überzogen.

Die Protagonistin des Buches, je nach Kontext Loretta, Lore oder Lo genannt, Mitte zwanzig und in festen Händen, ist - selber ganz modisches Kunstwerk - Produkt dieser Bohème-Idylle und immer dabei, wenn es um hippe kulturelle Diskurse geht. Sie bündelt die charismatische Unschuld einer Annett Louisan und das eigenwillige Stilbewusstsein einer Kate Moss, ist Punk und Barbie in einem, zorniges Kind und selbstvergessene Nymphe, je nachdem, welches Verhalten gerade gefragt ist.

"Ach Lo-Baby. Klein, blond und problematisch. Du weißt, dass ich darauf stehe. Ich falle immer auf den gleichen Typ Mädchen rein", sagt ihr Freund Malte. Und Lo tut, was sie kann, um diesem Klischee zu entsprechen und seine Sprödigkeit durch Revolte auszugleichen. Sie wirft ohne Motiv Terrakotta-Töpfe aus dem Fenster, kontert mit Sätzen, wie "Wenn es ein Leben gäbe, wäre ich gerne dabei" und will alle paar Wochen umziehen, weil ihr die gemeinsame Wohnung nicht mehr gefällt.

Weder kann Lore Maltes Geruch leiden, noch sich richtig mit ihm unterhalten. Doch Malte gleicht ihre Schwächen aus: Als Arzt aus reichem Haus - ganz romantischer Macho, fürsorglicher Pragmatiker und idealistischer Wohlstandsjünger - erträgt er all ihre Launen und bindet sie, hart arbeitend und in die Beziehung investierend, immer mehr an sich. Er kauft ein, kocht für sie, schreibt ihr To-Do-Listen und versucht so, das widerspenstige Monster in ihr zu zähmen und ein süßes Schnuckelchen für sein perfektes High-End-Leben zu züchten. "Du bist wie eine Schaumflocke, die man ständig davor bewahren muss, im Abflussstrudel zu versinken", sagt er, aber er wolle sie auch gar nicht anders.

Und tatsächlich scheint ihre Persönlichkeit aufzugehen, in diesem Ideal einer Bohème-Muse, die, eine scheinbare Autonomie inszenierend, ihr Luxusleben aus der Bahn zu werfen versucht. Bis sie schwanger wird, eine Tochter bekommt und Maltes Bemühung, auch diese als Prinzesschen zu erziehen, aus einer neuen Perspektive wahrnimmt. Lore flieht mit ihrem Kind und kommt bei einer nicht weniger totalitär wirkenden Mädchen-Kommune unter, die gegen Regeln und Verkrampfung vorgeht und sich um Stil, Harmonie und einen disziplinierten Hedonismus bemüht. "Nur wer schwebt kann an die schönen Momente andocken", heißt ein Glaubenssatz der Kommune, und Lore wird auch hier Opfer der Lebensentwürfe, die Andere für sie vorgefertigt haben.

Doch die Konflikte, in denen Lore sich befindet, kommen nicht von Außen, sondern sind in der Figur angelegt: Alles, was Lore ausmacht, scheint trotz ihrer Bemühung um Authentizität künstlich, denn die Figur Lore ist ein Klischée und das nicht, weil Zange es versäumt hätte, Lores Charakter bis in die Spitzen ihrer blonden Locken gedanklich zu durchdringen. Es ist Lores Umgebung, die von ihr fordert, sich dem ihrem Aussehen immanenten Kindchen-Klischée entsprechend zu verhalten. Die Autorin beschreibt mit ihr und den anderen Figuren aus der "Anstalt der besseren Mädchen", Elemente unserer Zeit ironisch, die uns in so mancher Vorabendserie ganz ernst gemeint über den Weg laufen.

Man ahnt bald, dass hier der innerhalb und an der oberflächlichen Marken- und Luxuswelt leidende Dandy aus Christian Krachts "Faserland" neu aufgelegt wird, jenem subtil gesellschaftskritischen Buch, das in den 1990er-Jahren - oft missverstanden - eine teils recht unkritische Feier der Oberfläche nach sich zog. Wie der Protagonist in "Faserland" durch Deutschland, streunt Lore ohne Ziel durch Berlin, wie dort wird auch bei Zange die Tristesse eines sorgenfreien Lebens gekonnt zur Schau gestellt.

Und natürlich erinnern die Figuren von Zange auch an die nicht weniger subtile Lakonie der Figuren einer Judith Hermann. "Die Anstalt der besseren Mädchen" deshalb als Coverversion der 1990er-Jahre in die Ecke Pop- oder Fräuleinwunder-Literatur zu stellen, wird dem Buch aber nicht gerecht. Es gibt zwar Stellen, an denen WG-Realismus oder Kunststudentinnenambiente die sonst gut durchdachte Textoberfläche brüchig werden lassen, und andere, an denen Maltes Äußerungen stark überzeichnet wirken. Das ändert aber nichts daran, dass das Buch an aktuelle Diskussionen angeschlossen ist: Nur scheinbar ist das Debüt etwa ein Gegenentwurf zum diesjährigen Kassenschlager "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche. Denn Zange strebt das, was Kollegin Roche durch die provozierende Authentizität der Körperlichkeit erreichen will, durch die ironische Künstlichkeit der fast ekelhaft schönen Bilder an. Der in "Feuchtgebiete" durch provokante Antihygiene attackierte Kult um das makellose "Objekt Frau" à la "Germany's Next Topmodel", wird in "Die Anstalt der besseren Mädchen" von innen ausgestellt. Die Protagonistinnen beider Bücher teilen darüber hinaus eine Langeweile, die sie sich in Gedankenspielen, Tagträumen und Details verlieren lässt, welche die psychische Verfassung beider Figuren sehr erfahrbar, beide Geschichten sehr plastisch werden lassen. "Wenn man die Natur heute als eine Oberfläche betrachten würde und mit einer Nadel hineinstäche, würde sie zäh tropfen, wie die Milch aus einem Gummibaum", stellt Lore an einer Stelle fest.

"Die Anstalt der besseren Mädchen" verkörpert ein die Medien dominierendes Weltbild derart deutlich, dass dessen im Alltag verborgene Risse und Schatten sichtbar werden. "Die Schönheit wird die Welt erlösen" - dieser Satz kann eben nur dann gelten, wenn, so wie ihn Dostojewski meinte, Schönheit nicht mit Perfektion gleichgesetzt wird. Zange tut genau das mit Absicht: "Der Malventee ist stabil dunkelrot und riecht nach feuchtem Metall". Mehr Stil ist kaum zu ertragen.


Titelbild

Julia Zange: Die Anstalt der besseren Mädchen. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
158 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783518420256

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