Ein ganzes Land in einem Bett

Zu Yiftach Ashenazys Erzählungsband "Mein erster Krieg"

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Schicksal des Nahen Ostens scheint es zu sein, keine Ruhe zu finden. Seit 60 Jahren existiert Israel in einem andauernd latenten Kriegszustand mit seinen arabischen Nachbarn. Dazu kommt, dass die innere Lage sechs Jahrzehnte nach seiner Gründung so angespannt ist wie noch nie. Statt innerer Einheit vor den äußeren Bedrohungen treten die gesellschaftlichen Spannungen zu den akuten Problemen hinzu. Beim Blick von außen geraten meist diejenigen aus den Augen, die an dem durch diesen Kriegszustand geprägten Alltag und seinen Folgen leiden.

Diesen leiht der junge israelische Autor Yiftach Ashkenazy in seinem Erzählband "Mein erster Krieg" seine Stimme. In der Geschichte "Bett Nummer sechs" berichtet er in sechs Episoden von völlig unterschiedlichen Schicksalen der in diesem Bett sterbenden Menschen. Er bringt Vertreter völlig unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und Altersklassen auf faszinierende Weise zusammen und lässt ihre Schicksale - beladen mit völlig alltäglichen Problemen, die im tagtäglichen Überlebenskampf oft untergehen - immer wieder kreuzen. Er schildert das Leben und Sterben eines altersmüden Rabbi, eines 18jährigen Soldaten, der bei einem Anschlag schwer verletzt wurde und eines leukämiekranken Jungen sowie dessen aus Angst vor einem weiteren Schicksalsschlag abtreibender Mutter. "Bett Nummer sechs" ist eine traurige Ballade, die von vergeblichen Hoffnungen und schmerzhaften Abschieden erzählt, die keinen Leser kalt lassen. Es ist verblüffend, welch erzählerische Reife der erst 1980 geborene Ashkenazy in seinen Erzählungen an den Tag legt. Zuweilen wirken die Geschichten etwas absurd, doch ist die Frage, was irrwitzig genug sein könnte, um im Wahnsinn des Nahen Ostens an Glaubhaftigkeit zu verlieren.

Die Erzählungen besitzen vor allem Eines - Authentizität. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass er seine eigenen Erfahrungen mit dem Wahnsinn des tagtäglichen Kriegs darin verarbeitet. In der letzten Episode von "Bett Nummer sechs" erzählt ein israelischer Soldat vom Tod eines Journalisten, der auf spektakuläre Bilder und sekundenlangen Ruhm hoffte und dessen Leben mit aller Radikalität ausgelöscht wurde - ein Kollateralschaden. "Er verbrannte zusammen mit ihnen [den Libanesen] in einem Auto achthundert Meter weit weg von da, wo ich war. Die Granate eines Panzers war ein direkter Treffer."

Die abschließenden fünf Erzählungen greifen einzelne Aspekte aus "Bett Nummer sechs" wieder auf oder sind zugleich Hintergrund für die Hauptgeschichte. So entwirft Ashkenazy mit "Mein erster Krieg" ein zeitkritisches Puzzle der israelischen Gesellschaft und des alltäglichen Wahnsinns im Nahen Osten, der keinen Frieden findet. Ob 1948, 1967, 1983 oder heute, verändert hat sich wenig: "Die Zeit, die man im Gang verstreichen hören konnte, schlüpfte unter dem zerbrochenen Fenster durch, damit das Leben sie nicht bemerkte."

Im Kampf um das Überleben des jüdischen Staates sind die Menschen, um die es doch jedem Land gehen sollte, in Vergessenheit geraten. Und vor allem jene Generation, die in den vergangenen turbulenten Jahren ihren Kopf hinhalten musste, fühlt sich vom Staat und der Gesellschaft in ihrer Würde verletzt, verraten und vergessen. Ashkenazy nimmt diese Missachtung nicht länger hin, sondern legt mit seinen Erzählungen den Finger in die Wunden. Es sind keine schönen Texte, aber es sind Geschichten, die das Potential haben, eine Gesellschaft wachzurütteln und die Menschen aus ihrer Lethargie zu holen.


Titelbild

Yiftach Ashkenazy: Mein erster Krieg. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Barbara Linner.
Luchterhand Literaturverlag, München 2008.
176 Seiten, 7,00 EUR.
ISBN-13: 9783630621067

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