Sonntags in Aberwald

Der Schweizer Erwin Koch übertreibt es in seinem Roman "Nur Gutes" mit dem Schicksal

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An einem kühlen Dezembermorgen genießt das alte Ehepaar Mangold die letzten ruhigen Stunden im Haus. Ihr Sohn Simon will heute mit den Enkelkindern vorbeischauen, das sonst so stille Haus wird sich für einen Nachmittag wieder mit Leben füllen. Albert, der Pastor der evangelisch-protestantischen Kirchengemeinde ist, geht noch einmal seine Predigt durch, Dagmar will gerade den Sonntagsbraten in den Ofen schieben. Da klingelt es - und bald sind einige mühsam verdrängte Erinnerungen nicht mehr unter Verschluss zu halten.

Anna Baumer, die Jugendliebe Simons, steht vor der Tür. Sie hat vor Jahren ihren Freund zu der größten Dummheit seines Lebens verleitet, als sie mit ihm die Frau eines Bankfilialleiters entführte. Dann ist sie aus dem Gefängnis ausgebrochen und wahrscheinlich im Ausland untergetaucht. Simon hat seine Strafe abgebüßt und scheitert seitdem immer wieder mit Würde - als Sozialpädagoge, als Journalist und schließlich als Ehemann und Vater. Und das alles, wie es hieß, für eine dreiminütige Selbstanklage eines "Lakaien der Hochfinanz" vor der Tagesschau, "wie sie damals Mode war".

Die Mangolds bitten Anna herein, doch wie soll man einer Frau gegenübertreten, die für das verpfuschte Leben des geliebten Sohnes mitverantwortlich, wenn nicht die Ursache ist? Man wartet darauf, dass etwas geschieht, schweigt sich an und kramt im Gedächtnis nervös nach harmlosen Fragen. Anna ist die Tochter eines alten Freundes, so redet man über ihn, der letzte Woche angeblich aus dem Fenster gestürzt ist. Anna ist seinetwegen und nur für eine Nacht nach Aberwald zurückgekehrt. Die Mutter, die an Krebs starb, hatte sie noch mit fünfzehn verloren.

Der Besuch bei den Mangolds war eine spontane Eingebung und - wie sich herausstellt - ein Fehler: Die Polizei riegelt unerwartet die Gegend ab und Anna sitzt in der Falle. Simon wird kein Einlass gewährt und so wird er nicht erfahren, dass ihr gemeinsames Kind, von dem er nichts weiß, damals im Gefängnis nur knapp der Abtreibung entkommen ist. Albert und Dagmar wiederum gestehen sich nur schwer ein, dass der gesuchte Mörder, der den Friedhofswächter den Abend zuvor erschossen hat, womöglich Anna ist.

Dies alles muss sich der Leser in Kleinstarbeit zusammensetzen. Koch findet nämlich in seinem Roman unzählige Mittel und Wege, um wichtige Details hinauszuzögern: Er wechselt in den "ungünstigsten" Momenten die Perspektive, verkürzt Dialoge, die dann seltsam verschroben und künstlich wirken, oder stellt als Ersatz für eine plausible Charakterzeichnung unterschiedlich lange Adjektivlisten auf. Dass es sich bei den durcheinander gewürfelten Episoden aus dem Leben der Mangolds um eine ausgeklügelte Verschachtelungstechnik Simons handelt, der (vom Beruf Nachrufredakteur einer Lokalzeitung) am Nekrolog der Eltern (und damit an diesem Roman) schreibt, ist nur ein weiterer Kunstgriff, der wenig überzeugt. Als dann die Mangolds, die Anna aus dem Haus geschmuggelt und zum Bahnhof gebracht haben, auch noch in einem Verkehrsunfall ums Leben kommen, fragt man sich, ob "Nur Gutes" nicht doch eher zu viel des Guten ist.


Titelbild

Erwin Koch: Nur Gutes. Roman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2008.
172 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783312004188

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