Frauenbewegung und feministische Männer

Ilse Lenz hat eine voluminöse Quellensammlung zur Neuen Frauenbewegung in Deutschland publiziert

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein viertel Jahrhundert ist es nun her, seit Frigga Haug Ende 1973 die Frauenbewegung in einem Heft der Zeitschrift "Das Argument" vor den Gefahren des Feminismus warnen wollte, der "prinzipiell unpolitisch und in diesem Sinne antisozialistisch" sei. Und sozialistisch, das musste die Frauenbewegung im Sinne Haugs ganz fraglos sein.

Dass der Feminismus unpolitisch sei, ist natürlich barer Unsinn - wie zwischenzeitlich auch Haug erkannt haben dürfte. Kein Unsinn ist es allerdings, zwischen dem Feminismus und der Frauenbewegung zu differenzieren. Unterschiede zwischen beiden lassen sich leicht herausarbeiten oder, wenn man so will, entwickeln. So ließe sich beispielweise argumentieren, der Feminismus sei die Theorie oder die motivierende Haltung der Frauenbewegung und diese deren Praxis. Als ein weiterer Unterschied könnte angeführt werden, dass es Männern zwar sehr wohl möglich ist, Feministen zu sein, nicht aber Teil der Frauenbewegung. Letzterem widersprach allerdings jüngst die Soziologin Ilse Lenz in einem einleitenden Text zu dem von ihr herausgegebenen voluminösen Dokumentenband "Die Neue Frauenbewegung in Deutschland", in den - das sei nur nebenbei notiert - Haugs anfangs zitierte "Verteidigung der Frauenbewegung gegen den Feminismus" allerdings nicht aufgenommen wurde.

Ausdrücklich zählt Lenz "emanzipative Männer", "die die Neue Frauenbewegungen unterstützten und sich gegen die hegemoniale Männlichkeit und Dominanz engagierten" zur Frauenbewegung und schlägt vor, "die theoretische Brille des Geschlechtsdualismus abzusetzen", der besagt, "nur Frauen" seien "in der Frauenbewegung aktiv". Um ihre Auffassung zu stützen, zieht sie eine Parallele zur "Arbeiterbewegung", der schließlich nicht nur Arbeiter, sondern auch "Intellektuelle" wie Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle angehört hätten.

Nun lässt sich durchaus eine Parallele zwischen beiden Bewegungen und den sie motivierenden Theorien ausmachen. Allerdings nicht die von Lenz gezogene. So wie Männer zwar Feministen, aber nicht Teil der Frauenbewegung sein können, waren Marx, Engels und Lassalle zwar Kommunisten, aber nicht Teil der Arbeiterbewegung. Dass Männer nicht Teil der Frauenbewegung und Fabrikbesitzer wie Engels nicht Teil der Arbeiterbewegung sein können, bedeutet aber keineswegs, dass sie die jeweiligen Bewegungen nicht unterstützen können. Und so läuft diese Auffassung auch nicht - wie von Lenz befürchtet - darauf hinaus, den "Beitrag emanzipativer Männer für die Frauenbewegung" zu negieren.

Will man die Exklusion der Männer aus der Bewegung für die Emanzipation und gegen die Unterdrückung der Frauen vermeiden, so wäre es sinnvoller, von einer feministischen Bewegung statt von einer Frauenbewegung zu sprechen. Dies hätte zudem den Vorteil, dass zugleich der von Lenz zurecht monierte Geschlechtesdualismus vermieden würde, der ja bereits in der Benennung der Bewegung als Frauenbewegung zum Ausdruck kommt, aus der allererst folgt, dass Männer nicht Teil dieser Bewegung sein können.

Die hier ins Auge gefasste Umbenennung der Frauenbewegung in feministische Bewegung ist allerdings selbst insofern fragwürdig, als sie im Nachhinein an die Bewegung herangetragen würde und nicht deren Selbstverständnis entspräche. Wenn aber, wie Lenz wohl zurecht feststellt, die Bewegung zur Zeit zwar geschwächt, aber darum noch lange nicht tot ist, dann könnte sie sich - angesichts ihrer gelegentlich ja grundlegenden "Transformationen" und entsprechend ihrer im Laufe von vierzig Jahren angesammelten geschlechtertheoretischen Erkenntnisse - selbst wie vorgeschlagen umbenennen. Dies könne natürlich nicht in einem deklaratorischen Akt geschehen, sondern durch die Selbstbezeichnung und den Sprachgebrauch derjenigen, die sich zur Bewegung zählen.

Ganz unabhängig von der Frage, ob feministische Männer der Frauenbewegung angehören, erweisen sich Lenz' Vorwort und ihre einleitenden Bemerkungen "zur Entwicklung und den Transformationen der Neuen Frauenbewegung in Deutschland" als konzis und verlässlich. Auch können der Verdienst und die Bedeutung des vorliegenden Bandes für die weitere Rezeption der Frauenbewegung gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Seine Zukunft als Standardwerk ist heute schon gewiss. Umso genauer ist allerdings nach eventuellen Schwächen und Unzulänglichkeiten Ausschau zu halten und die Frage zu stellen, was fehlt und was in künftigen Auflagen besser gemacht werden könnte.

In ihrer Sammlung von nicht weniger als 262 - notwendigerweise oft mal mehr, mal weniger stark gekürzter - Quellen hat Lenz "vielfältige, kontrastierende Stimmen" und "wesentliche Aussagen" der Bewegung zusammengetragen. Wichtig war der Herausgeberin, "die vielen Schlüsseltexte der verschiedenen Richtungen und Themenfelder" der Bewegung zu berücksichtigen, ohne dass eigene "normative Beurteilungen" ein Kriterium der Zusammenstellung sein sollten. Entscheidend für die Auswahl der Texte war zunächst deren "Relevanz für die Entwicklung der Frauenbewegungen, bzw. der jeweiligen Teilbewegungen", wobei eine Kanonisierung "bewusst vermieden" wurde. Zum zweiten wurden Quellen "öffentlich wenig beachteter, wesentlicher Teilbewegungen" ausgewählt. Eine große Rolle spielte zudem die "Bedeutung und Aussagekraft der Quelle[n] selbst".

Nun artikulierte sich die Bewegung nicht nur in ihren politischen und wissenschaftlichen Texten, von denen wohl tatsächlich die relevantesten aufgenommen wurden, sondern etwa auch in Dokumentar- und Spielfilmen sowie in der Literatur und in weiteren Künsten. Doch selbst die wichtigsten literarischen Quellen fanden keinen Eingang in die vorliegende Dokumentensammlung. Das ist umso bedauerlicher, als gerade einige literarische Texte zumindest für Teile der feministischen Bewegung prägend waren. So etwa Verena Stefans "Häutungen". Dass die Autorin keine Deutsche, sondern Schweizerin ist, sollte als Argument gegen eine Aufnahme nicht gelten, schließlich lebte und schrieb sie (nicht nur) während der 1970er-Jahre, dem Jahrzehnt also, in dessen Mitte die "Häutungen" erschienen, in Berlin. Von zum Teil größter Relevanz waren auch Karin Strucks "Klassenliebe", Svende Merians "Tod eines Märchenprinzen" oder "Das Geschlecht der Gedanken" von Jutta Heinrich. Die Vernachlässigung der Literatur führte dazu, dass die Zeitschrift "Die Schwarze Botin", zu deren Autorinnen etwa die spätere Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek zählte, nicht gebührend berücksichtigt wurde.

Nicht nur literarische, sondern auch wichtige cineastische Quellen wurden nicht entsprechend gewürdigt. So sucht man etwa Filme wie "Der subjektive Faktor" oder "Freier und BeFreite" der feministischen Theoretikerin und Aktivistin Helke Sander vergeblich, deren berühmter (im vorliegenden Buch abgedruckter) SDS-Rede die noch berühmteren Tomatenwürfe von Sigrid Rüger folgten. Nun lassen sich Filme in Büchern zwar nicht so einfach dokumentieren wie Gedrucktes. Doch hätte sich da sicher eine zumindest behelfsmäßige Lösung finden lassen. So hätte Lenz etwa Szenenbilder und Dialoge präsentieren können.

Angesichts dieser Absenzen erwartet man kaum Dokumente feministischer Rockmusikerinnen wie die der "Flying Lesbians" aufgenommen zu finden, doch auch dies wäre wünschenswert und - etwa in Form von Songtexten oder eventuell vorliegender Interviews - möglich gewesen. Immerhin wird die Band - ebenso wie einige der oben genannten - literarischen Werke in Dokumenten oder Kommentaren erwähnt. Und von einer der früheren "Flying Lesbians" wurde sogar ein theoretischer Text aufgenommen, der allerdings nicht Erörterungen des feministischen Rocks, sondern der "Gretchenfrage" gilt: "Wie stehst Du zur Mütterfrage?"

Auch Dokumente aus dem esoterischen und dem terroristischen Feminismus wurden nicht aufgenommen. Ersteres ebenfalls stillschweigend. Begründet wird hingegen, warum keine Dokumente des letzteren, namentlich der "Roten Zora", aufgenommen wurden. Lenz erörtert die Frage, ob die "Rote Zora" der Frauenbewegung zuzurechnen sei, in der Vorbemerkung zu einem Abschnitt, in dem feministische Kritik an der Gruppe dokumentiert wird. Eine "eindeutige Antwort" auf die Frage, ob die "Rote Zora oder andere terroristische Frauengruppen als Teil der Frauenbewegung anzusehen" sind, scheint Lenz "kaum möglich". Zwar habe sich die Gruppe als "Teil des 'Frauenkampfes'" betrachtet und "feministische Metaphern wie 'Befreiung' oder 'Frauenrolle'" verwandt, doch sei ihre Strategie "von allen Flügeln der Neuen Frauenbewegung eindeutig kritisiert" worden. Eine Feststellung, die die Frage implizit aber auch schon beantwortet: Denn wenn alle Flügel der Neuen Frauenbewegung die Strategie der "Roten Zora" kritisierten, konnte sie selbst logischerweise nicht zu ihnen zählen.

Lenz unterteilt die Entwicklung der Frauenbewegung in vier Phasen. Zunächst die der "Bewusstwerdung und Artikulation", die sie von 1968 bis 1975 terminiert. Dieser folgte von 1976 bis 1980 die "Pluralisierung und Konsolidierung", die von der "Phase der Professionalisierung und institutionellen Integration" (1980 bis 1989) abgelöst wurde. Bis zur Jahrtausendwende dauert die 1989 beginnende Phase der "Internationalisierung, Vereinigung und Neuorientierung" an. Dieser Einteilung entspricht in groben Zügen die Gliederung des Dokumententeils: "Bewusstwerdung und Artikulation (1968-1975)", "Pluralisierung und Konsolidierung (1976-1989)", "Pluralisierung, Professionalisierung und institutionellen Integration" sowie "Globalisierung durch Vereinigung und Postfeminismus (1989-2005)".

Verwirrend ist allerdings, dass in den chronologisch geordneten Teilen auch schon mal Texte einsortiert wurden, deren Entstehungszeitpunkt nicht in die entsprechende Phase fällt. So enthält der dritte Teil (1980-1989) etwa etliche Texte aus den 1970er-Jahren, darunter einen von 1973. Nicht zuletzt darum wäre ein alphabetisches Titelregister bei der Suche nach bestimmten Dokumenten sehr hilfreich gewesen. Ebenso vermisst man ein Personenregister. Diese Absenz ist ein umso größeres Manko, als die Namen der AutorInnen im Inhaltsverzeichnis nur höchst ausnahmsweise einmal genannt werden. Dieses Register hätte allerdings nicht nur die AutorInnen verzeichnen sollen, sondern alle erwähnten Personen, wobei erstere durch Kursiv- oder Fettdruck der Seitenangaben hätten hervorgehoben werden können. Vielleicht lässt sich all dies in künftigen Auflagen ja bewerkstelligen.

Die vier Hauptteile sind in zahlreiche "Kapitel" unterteilt, denen weitgehend schematisierte Einleitungen vorangestellt sind, die jeweils einen "knappe[n] Gesamtüberblick über die Entwicklung der jeweiligen (Teil-)Bewegung" sowie "Angaben zu den historischen und gesellschaftlichen Kontexten" bieten. Soweit es der Stand der Forschung erlaubt, fassen sie zudem "die Entwicklungslinien der Diskurse, der Gruppen, der Trägerschaft der (Teil-)Bewegungen in der jeweiligen Phase" zusammen. Den Dokumenten selbst sind (ebenfalls schematisierte) "Kommentare" vorangestellt. In ihnen wird "der Anlass und die Autorin/der Autor der Quelle knapp vorgestellt" sowie gegebenenfalls kurz der Kontext der Entstehung der Dokumente dargelegt. Oft wird zudem die "Wirkung der Quelle auf die Frauenbewegung bzw. die Entwicklung des angesprochenen Problemzusammenhangs" dargelegt.

Abschließend ist noch einmal auf das andere Geschlecht, die Männer, zurückzukommen. Denn Lenz hat nicht nur Quellen der Frauen-, sondern auch der Männerbewegung aufgenommen, so etwa selbst umfangreichere Auszüge aus einem bislang unveröffentlichten Manuskript. Die Dokumente aus der Männerbewegung hätten, wenn überhaupt, ihren Platz in einem Anhang finden sollen. Zudem wäre es sicher nicht verkehrt gewesen, im Kommentar auf spätere maskulinistische Anklänge in Schriften des mit dem Abdruck eines Textes beehrten "freiberufliche[n] Psychologe[n] und Sozialwissenschaftler[s]" Willi Walter hinzuweisen.


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Ilse Lenz (Hg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung.
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008.
1196 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783531147291

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