Verpufftes Feuerwerk

Julia Voss' Einführung in das Leben und Werk Charles Darwins entpuppt sich als biografistisch-anekdotische Beliebigkeit

Von Stefan SchweizerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schweizer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Junius-Reihe zur Einführung erfreut seit Jahrzehnten das akademische Lesepublikum. Aber auch darüber hinaus ist es der Einführungsreihe gelungen, sich einen interessierten Leserstamm zuzulegen. Die Titel der Reihe schwanken allerdings in ihrer Qualität. Herausragend sind beispielsweise die Einführung zu Thomas Hobbes, die zu Foucault und zu Schelling.

Die Bewertung von Julia Voss' "Charles Darwin zur Einführung" fällt schwer. Die Autorin ist promovierte Redakteurin einer Tageszeitung. Dies zeigt sich deutlich im durchweg lesefreundlichen Stil, der die Überstrapazierung wissenschaftlicher Argumentationsweisen und wissenschaftstheoretischen Vokabulars vermeidet. So liest sich die Einführung rasant, vor dem Leser entsteht kaleidoskopartig ein Panoptikum über das Leben und - erst in zweiter Linie - Werk von Charles Darwin. Anekdotenhaft und zugleich gelehrig streut die Autorin kleine Aperçus über das Leben und Wirken Darwins, welche alle in irgendeinem Zusammenhang mit seinem theoretischen Arbeiten stehen. Nach der Lektüre der Einführung hat der Leser das Gefühl, ein Feuerwerk beobachtet zu haben, das nur allzu schnell verbrannt ist.

Nach kurzem Innehalten allerdings stellt sich die Frage nach der Anlage und dem Ertrag der Lektüre. Das Sprunghafte und schnelle Voranpreschen verweist zugleich auf eine Schwachstelle. Die vier großen Kapitel heißen "Darwinkult", "Hinter den Kulissen: Darwin vor 1859", "Auf der Bühne: Darwin nach 1859" und "Darwin und seine Kritiker". Offensichtlich bedient sich die Autorin eines chronologischen Vorgehens. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass es ihr schwer fällt, Darwins komplexes Werk in übergeordnete Strukturzusammenhänge einteilen zu können. Das Biografistisch-Anekdotische steht im Vordergrund. So werden diejenigen Leser enttäuscht, welche sich eine fundierte theoretische Einführung in das Werk Darwins versprochen hatten. Darwins Evolutionstheorie, die laut Bekunden der Autorin in ihrer Relevanz für die heutige Zeit, nicht überschätzt werden kann, kommt zu kurz. Zentrale Verweise auf die heutige Zeit fehlen zudem. So werden die chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela mit keinem Wort erwähnt. Maturana und Varela haben den Boden für den Paradigmenwechsel hin zu Selbstorganisationstheorien gelegt, der das gesamte deutsche Wissenschaftsgefüge der letzten Jahrzehnte geprägt hat. Als Beispiele seien die Namen Niklas Luhmann, Ernst von Glasersfeld und Siegfried J. Schmidt genannt. Die Evolutionstheorie von Maturana und Varela schließt begrifflich an Darwin an, denn Variation und Selektion sind immer noch die wesentlichen Termini. Evolution ist in der Evolutionstheorie der systemtheoretisch-kybernetischen Biologen ein wertneutraler Begriff. Ein nicht zielgerichtetes Driften zeichnet den Evolutionsvorgang aus. Dem Driften folgt eine Anpassung (oder auch nicht). Was passt, besteht im Evolutionsprozess, das andere verschwindet.

Es finden sich in der Einführung nur wenige Ausführungen über diese wissenschaftstheoretischen Grundlagen, über wissenschaftliche Zusammenhänge und Entwicklungsschritte im Wirken Darwins. Vielmehr werden Intimitäten der Eheleute Darwin illustriert, wie etwa die Frage, ob die Ehefrau Darwins mit dessen vermeintlichem Atheismus klar kam.

Leider findet sich an mancher Stelle sogar inhaltlich Falsches. Da heißt es etwa: "Seine [Darwins] embryologischen Studien, die er von 1828 bis 1837 in dem zweibändigen Werk Über die Geschichte der Thiere ausführte, bereiteten den Boden für die Theorie, die Phylogenese wiederhole die Ontogenese." Die Annahme einer phylo- und ontogenetischen Entwicklungsparallelität ist ein uraltes Argumentationsmuster, das einen Kulminationspunkt in der Anthropologie der Romantik (1800-1840) fand. Hier findet sich das Gedankenkonstrukt in unzähligen Varianten; zumeist unter christlichen und heilsgeschichtlichen Vorzeichen.

Die oben genannten Befunde berechtigen grundlegendere Überlegungen: Angeblich liegt der Arbeit von Julia Voss der practical turn der Wissenschaftsgeschichte zu Grunde. Es ist ein Kennzeichen neuerer wissenschaftsgeschichtlicher Ansätze, dass sie vor allem die praktischen Implikationen von Gegenständen, Instrumenten oder sozialen Dimensionen fokussieren. Daher geht es also nicht mehr um Theorien, Paradigmen oder Ideologien, sondern um Untersuchungsanordnungen, materielle Repräsentationsformen der Gegenstände wie Bilder oder experimentelle Anordnungen.

An diesem eigenen Anspruch muss sich die Autorin messen lassen. So lautet in diesem Zusammenhang die zentrale Fragestellung, was sich ergibt, wenn Evolution nicht mehr als naturgegebene Kategorie, sondern als Gegenstand wissenschaftlicher Praxis betrachtet wird. Dieser selbst gesetzte Anspruch wird nicht realisiert, denn Evolutionsbiologie wird eben nicht nur als ein Ensemble von Praktiken und eine Geschichte der Dinge dargestellt, sondern Darwins wissenschaftliche Entdeckungen und Theorien werden chronologisch erörtert. Insofern kann man - ganz unabhängig vom eigenen Standpunkt gegenüber dem practical turn der Wissenschaftsgeschichte - der Autorin vorwerfen, kein stringentes theoretisches Fundament zu besitzen. Dies wirkt sich entsprechend auf den Inhalt aus. So hat man zwar wie gesagt nach der Lektüre den Eindruck, ein lautes Feuerwerk erlebt zu haben, aber eines ohne Substanz. Das Lesevergnügen ist vorhanden, der Leseertrag hingegen gering.


Titelbild

Julia Voss: Charles Darwin. Zur Einführung.
Junius Verlag, Berlin 2008.
214 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783885066545

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