Form und Formlosigkeit in der Moderne - Karl Heinz Bohrer erklärt, was "Großer Stil" ist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Deutschen haben jedenfalls keinen Stil. So kann man eine der Feststellungen auf den Punkt bringen, die Karl Heinz Bohrer in seinem Buch "Großer Stil. Form und Formlosigkeit in der Moderne" zu wiederholen sich gezwungen sieht: "Daß Stilfragen in Deutschland ein unbewältigtes Problem sind, von dem man nicht redet, ist mir relativ spät klar geworden", hebt etwa sein Beitrag "Stil oder 'maniera'? Zu Aktualität und Geschichte eines nationalen Unvermögens" an.

Auch dass den Deutschen, von der rechtstaatlichen Demokratie zu ästhetischen Vorgartenzwergen und Banausen degradiert, ein positives Verständnis des heute eher pejorativ verwendeten Wortes "Pathos" nicht möglich sei, verbittert den Bielefelder Literaturprofessor. Begründet liegt dies - wie könnte es anders sein - seiner Einschätzung nach in einer "neurotisch verursachten Abwehr von Emotionen", die man sich hierzulande nach 1945 einfach nicht mehr erlaube. Allerdings, das immerhin räumt Bohrer ein, damit keine Missverständnisse aufkommen, sei auch das nationalsozialistische Pathos vor 1945 eine "Verirrung" gewesen.

Bohrer treibt in seinem Band, wie auch schon in früheren im Hanser Verlag erschienenen Beiträgen, einmal mehr das Problem der Gewaltdarstellung in der Kunst um: 'Schlechter Stil' ist es für Bohrer, eine solche Ästhetik aufklärerisch oder gar als "Lebenshilfe" im Sinne des Guten zu lesen. Etwa bei Franz Kafka: Die These, in dessen Erzählung "In der Strafkolonie" gehe es um die Grausamkeit des Ersten Weltkriegs oder, geradezu prophetisch, um die Konzentrationslager der Nationalsozialisten, hält Bohrer schlichtweg für falsch: "Das wäre genau jene Vernunft des guten Leitartikels, wozu heutige Pädagogik und Kulturministerien ermuntern." Tatsächlich gehe es Kafka um eine "sadistische Phantasie als Metapher der schriftstellerischen Existenz", weiter nichts. Aha, miserabler Stil also auch in der Germanistik - dass das in der Schul- und Universitätslektüre aber auch nirgends begriffen wird! Mehr noch, für Bohrer ist es das Symptom einer regelrechten "Flucht der Kulturwissenschaft vor der Kunst."

Der Band versammelt darüber hinaus mehrere weitere Aufsätze Bohrers zu Stilfragen bei Dichtern der Antike über "Goethes Stil als Vorschein einer anderen Moderne" bis hin zu Friedrich Nietzsche, der auch das Motto der Publikation liefert: "Der große Stil entsteht, wenn das Schöne den Sieg über das Ungeheure davonträgt."

J.S.


Titelbild

Karl Heinz Bohrer: Großer Stil. Form und Formlosigkeit in der Moderne.
Carl Hanser Verlag, München 2007.
280 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-13: 9783446209336

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