Nachdenken über Engel

Der rumänische Philosoph, Kunstgeschichtler und Politiker Andrei Plesu hat sich Gedanken über das Wesen und die Funktion der Engel gemacht - und dabei ein brillantes Buch geschrieben

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da sich der 1948 in Bukarest geborene rumänische Philosoph Andrei Plesu, zumindest für westliche Ohren, ein ungewöhnliches Thema vorgenommen hat, erläutert er in einer "Einführung in die Angelologie" sein Unterfangen. Die Tatsache, dass "Engel" in allen europäischen wie außereuropäischen Kulturen einen Platz einnehmen, ist ihm durchaus bewusst, aber noch nicht Anlass genug für eigenes Nachdenken. Sorgfältig wägt er vor dem Leser die durchaus verschiedenen Wege ab, die ihn zur Beschäftigung mit dem Themenkomplex der Engel geführt haben. Dabei hängt Plesu weder einer einseitigen akademisch-theologischen Stoffhuberei an, noch verabsolutiert er das unreflektierte metaphysische Erlebnis.

Plesu macht kein Hehl daraus, dass er die Enge so genannter "binärer Weltentwürfe" fürchtet, die in einer dürftigen Gegenüberstellung von Gott und Mensch steckenbleiben. Es entfaltet sich somit die "Problematik des Zwischenraums" und hier eröffnen sich gerade im Hinblick auf die Implikationen der Welt der Engel vollkommen neue Möglichkeiten.

Die Hinführung zu einer Engelkunde kommt nicht ohne die Entfaltung bereits geleisteter denkerischer Überlieferungen aus. Plesu spannt seinen Bogen von Platon bis Walter Benjamin. Da er sein eigenes Seelenerleben nicht ganz ausspart, gerät sein Nachdenken zu einem intelligenten Rezept gegen die Langeweile: "Das Nachdenken über Engel ist, so viel kann ich versichern, eine gute Therapie gegen intellektuelle Mediokrität, vor der niemand ganz gefeit ist".

Andrei Plesu hat im sozialistischen Rumänien unter der diktatorischen Führung Nicolae Ceausescu leidvoll erfahren, was es bedeutet, einem dichotomischen Weltbild ausgesetzt zu sein. Als einer der inoffiziellen Schüler des in die Berge zurückgezogenen Philosophen Constantin Noica (1909-1987) zählte Plesu zu den intellektuellen Garanten eines europäischen Rumäniens, das den widrigen politischen Zeiten kulturell zu trotzen vermochte.

Nach der Revolution von 1989 war Plesu unter der Regierung des Ministerpräsidenten Roman einige Monate lang Kulturminister. Und als er im Dezember 1997 im Zuge der Neuformierung der rumänischen Politik zum neuen Außenminister ernannt wurde, werteten Beobachter diesen Zug als überfällige Garantie einer ernstgemeinten Reformpolitik.

Plesu war Mitbegründer des "New Europe College" und lehrte als Professor für Kunstgeschichte und Religionsphilosophie an der Universität in Bukarest. Bereits in seinem rumänischen Brevier politisch-praktischen Denkens "Wer in der Sonne steht, wirft Schatten", das 1989 in der inländischen Verbannung entstanden war, entfaltete er seine Überzeugung, dass "der höchste Gedanke, den wir denken können, der Gedanke an Gott" ist: "Es besteht ein riesiges Mißverhältnis zwischen unserem alltäglichen Denkvermögen und der Tragweite dieses Gedankens. Allein, dass wir uns dieses Unterschieds bewusst werden, gleicht einem Wunder".

In seiner Engelsstudie entwickelt Plesu diesen Gedanken auf höherer Ebene weiter. Die Dichotomie "Geist" und "Materie" erfährt bei ihm eine ebenso neue Bewertung wie die "Überbrückung des logischen und ontologischen Zwischenraums zwischen Gott und dem Menschen", die er in der Welt der Engel angesiedelt sieht. Gegensatzpaare wie Körperliches und Unkörperliches oder Inneres und Äußeres erfahren neue, erweiterte Deutungsmuster. Ohne Bedenken greift Plesu auch auf arabische Weisheiten zurück: "Die Menschen schlafen. Wenn sie sterben, erwachen sie" -, um auf die unermüdlichen Engel hinzuweisen, welche die auf diese Weise Erwachten empfangen und begleiten.

In sechs aufeinander aufbauenden Themenkomplexen umkreist Plesu die Problematik der Engel-Existenz. Neben dem "Zauber der Zwischenwelten" und der Diskussion über das Stoffliche bzw. die Bildhaftigkeit entfaltet er die Beschützung des Menschen durch die Engel an seiner Seite. Als ein spezielles Beispiel dafür widmet der Autor dem mönchischen Leben einen Exkurs. Die Problematik der Überhöhung des nationalen Gedankens und ein spiritueller Ausblick führen seine Überlegungen im Schlusskapitel "Erfahrungen, Ertastungen, Lektüren" zu einem, sachlich bedingten, offenen Ende.

Plesu ist ein leidenschaftlicher Freund geistreicher Unterhaltung, der Intellekt und Ehrfurcht nicht auseinanderdividiert. Das vorliegende Buch belegt dies auf anregende Weise, was nicht zuletzt auf der kongenialen Übersetzung von Georg Aescht beruht. Dabei weiß Plesu auch von denkerischen Sackgassen. "Als würde man sagen: Ich betrete den Fahrstuhl nicht, ehe ich weiß, wie er funktioniert. So könnte es sein, daß man ein Leben lang Treppen steigt...".


Titelbild

Andrei Plesu: Das Schweigen der Engel.
Übersetzt aus dem Rumänischen von Georg Aescht.
Berlin University Press, Berlin 2007.
221 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783940432087

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