Als erste Frau auf einem Yen-Schein

Higuchi Ichiyos Erzählungen "Mond überm Dachfirst" sind leider nur noch von historischem Interesse

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mond überm Dachfirst" - das verspricht gefühlsselige Unterhaltung. Und wenn auf dem Titelblatt ein Mond zu sehen ist und ein paar Kiefernzweige, dann kann man fast sicher sein, dass es sich um japanische Frauenliteratur handelt.

Das ist es denn auch, wenn auch von einer sehr interessanten Frau. Higuchi Ichiyo war ein Ausnahmetalent, und als solche ist sie auch vom japanischen Staat vor acht Jahren gewürdigt worden: Zum ersten Mal in der Geschichte Japans schmückt das Porträt einer Frau eine Banknote - auf den neuen 5000-Yen-Noten ist die Schriftstellerin abgebildet. Nach dem Buch "In finsterer Nacht", bei Iudicium erschienen, gibt es jetzt neue Erzählungen von ihr im Manesse Verlag, von Michael Stein herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen. Im selben Monat erschien bei Manesse auch eine Auswahl von Geschichten von Katherine Mansfield, auch sie war in noch jungen Jahren an Tuberkulose gestorben.

Man darf die beiden aber auf keinen Fall vergleichen. Mansfields Werke sind noch heute frisch und aufregend, ihre Sprache ist klar und manchmal ironisch, immer noch lesenswert. Über Higuchi Ichiyo dagegen ist die Literatur längst hinweggegangen. Mehr als ihre Erzählungen vermag uns dagegen ihre Biografie zu bewegen: Higuchi Natsuko, die unter ihrem Schriftstellernamen Higuchi Ichiyo bekannt wurde, ist die erste Schriftstellerin am Anfang der modernen japanischen Literatur. 1872 wurde sie in Tokyo geboren, wo sie 1896 auch starb. Als sie lebte, befand sich Japan im Umbruch - von einem feudalistischen Land zu einem der modernsten der Welt, in einer beispiellosen Revolution, die 1868 einsetzte und gesellschaftlich, kulturell, ökonomisch, wissenschaftlich und technisch alles umwälzte.

Diesen Umbruch beschreibt auch Higuchi Ichiyo, die schnell mit ihren Geschichten Aufsehen erregte, aber nie so richtig erfolgreich wurde. Da es damals keine Schulpflicht für Mädchen gab, wurde sie von der Mutter in eine Nähschule gesteckt. Ihr Vater finanzierte ihr allerdings 1886 den Besuch der privaten Lyrikschule Haginoya, wo sie schnell zur besten Schülerin aufstieg. 1888 starb der von ihr bewunderte Bruder, 1889 auch ihr Vater, der kurz vor seinem Tod sein ganzes Vermögen in eine Transportfirma gesteckt hatte, die bankrott ging. Die Familie war bettelarm, die siebzehnjährige Higuchi Ichiyo wurde Haushaltsvorstand, weil die Mutter Analphabetin war. Zufällig lernte sie den einflussreichen Journalisten Nakarai Tosui kennen, der sie protegierte und ihr half. Nach anfänglichen Erfolgen und einigen Erzählungen, in denen sie vor allem das Schicksal der modernen Frau in einer modern werdenden Welt beschrieb, starb Higuchi Ichiyo bereits in jungen Jahren.

Die Erzählungen sind leider nur noch von historischem Interesse. Ein wenig zu kitschig, klischeebeladen und manchmal geradezu hölzern erzählt sie von der neuen Welt, der sich Japan so plötzlich gegenübersah. Häufig spielte sie mit der literarischen Tradition, indem sie viele Anspielungen und Zitate von japanischen Klassikern in ihre Texte mischte. Mit überladenen und allzuvielen Metaphern, Rührseligkeiten und großer Naivität, mit zu viel Melodramatik und Formulierungen, die wir heute nur noch als stilistische Ausrutscher empfinden können, lenkt sie den heutigen Leser von der Dramatik der Situationen, dem herben Realismus der Moderne, doch zu sehr ab. Denn sie erzählt von der peinvollen Pubertät und der schwierigen ersten Liebe ("Solange sie ein Kind war"), von einer Psychose ("Eine leere Zikadenhülle") oder vom kompromisslosen Künstlerdasein ("Meister Bitter") - in einer Zeit, die Zugeständnisse an den Markt fordert.


Kein Bild

Ichiyo Higuchi: Mond überm Dachfirst. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Japanischen von Michael Stein.
Manesse Verlag, Zürich 2008.
320 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783717521624

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch