"... zwischen den Stäben."

Barbara Wiedemann erhellt den biografischen Erlebnishintergrund eines Gedichts von Paul Celan

Von Per RöckenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Per Röcken

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn zutrifft, dass Menschen vor allem diejenigen Dinge besitzen wollen, die sie irgendwie 'schön' finden, so gibt es eine Reihe guter Gründe, dieses ansprechend gestaltete Heftchen zu erwerben: Ein Einband aus grauem Transparentpapier mit dem Faksimile des Schriftzugs "Lieber Herr Celan", aus dem Text einer Postkarte des Verlegers Günther Neske und den in kontrastiv grellem Orange gehaltenen Titelangaben, lässt das auf dem Umschlag ausschnittweise reproduzierte schwarzweiße Bildmotiv derselben Karte - das Sprechgitter des Pfullinger Klosters - durchscheinen.

Insgesamt bietet der Band vierzehn hochwertige Abbildungen: (1) einen integrativen Lageplan Pfullingens, des Klosters und der Topografie des Klosterareals auf der Versoseite des Umschlags; (2) die verkleinerte Abbildung der Hülle einer im Neske-Verlag erschienenen Schallplatte, "Lyrik der Zeit" betitelt, mit Aufnahmen auch einer Lesung Celans; (3) eine verkleinerte Abbildung der aufgeschlagenen editio princeps des Gedichtbands "Sprachgitter" (S. Fischer, 1959); (4) ein Faksimile besagter Postkarte vom 9. Juni 1957; (5) drei neuere Fotografien mit Außen- und Innenansichten des Sprechgitters; (6) einem verkleinerten Auschnitt aus der dem Klarissenkloster 1252 ausgestellten päpstlichen Urkunde (mit dem Schweigegebot); (7) ein fotografisches Brustporträt Ingeborg Bachmanns; (8) die Wiedergabe eines Zeitungsberichts vom 5. Juni 1957 über eine Lesung Celans in Tübingen; (9) eine Fotografie des Verlegerehepaares Brigitte und Günther Neske (um 1960 entstanden); (10) eine Fotografie des auf dem Klostergelände gelegenen Verlagshauses; (11) ein Faksimile einer Handschrift des Gedichts "Sprachgitter" (Tinte auf Briefpapier, datiert auf den "vierzehnten Juni 1957") sowie (12) eine um 1958/59 entstandene Fotografie Celans. Die vom Fließtext werden indes nicht alle überzeugend in die essayistische Darstellung einbezogen; einige haben demnach eher illustrativen Charakter.

Auf fünfzehn - überaus stimmig in klassizistischer Walbaum-Antiqua auf wertigem Werkdruckpapier gesetzten - Textseiten entwickelt Celan-Kennerin Barbara Wiedemann eine interessante (zugleich textnahe und biografisch-poetologische) Lesart des Gedichts "Sprachgitter", in der sie unter anderem mögliche Bezüge zu dem Ingeborg Bachmann gewidmeten Gedicht "Corona" erörtert und über die Beziehung Celans zum Neske-Verlag sowie den konkreten, poetisch transformierten Erlebnishintergrund des Gedichts berichtet: Neske, der Celan in seiner Postkarte ausdrücklich auf das auf dieser rückseitig abbgebildete Sprechgitter des ehemaligen Schweigeklosters - an dem ein recht umständlicher und mühsamer Kontakt mit den Nonnen in Ausnahmefällen möglich war - aufmerksam gemacht hatte, scheint demnach eine entscheidende Anregung für den Titel des Gedichts wie des Gedichtbands gegeben zu haben.

Wiedemann gibt einen knappen Überblick zur Geschichte und Topografie des Ortes und entwickelt hieraus ein der Funktionalisierung einzelner Textsegmente dienendes Schema: "Das Bewusstmachen des Trennenden und der Unterschiede ist notwendige Voraussetzung für das Gespräch mit dem Leser und gehört mit zum Gesagten; das Gedicht selbst ist ein Sprachgitter". Celans problematische (Liebes-)Beziehung zu Ingeborg Bachmann wird in diesem Sinne als symptomatisch herausgestellt, "übertragen auf die Beziehung zwischen Dichter und Leser, jüdischem Dichter und (im weitesten Sinne) deutschem Leser", bei der die Schwierigkeit und zugleich die Voraussetzung jeder Kommunikation gerade in der stets neu zu exponierenden und in Erinnerung zu rufenden Verschiedenheit bestanden habe und weiterhin bestehe. Tatsächlich wird diese allenfalls mühsam überbrückbare Differenz im Gedicht selbst thematisch: dies zeigt der Konjunktiv des Verses "Wär ich wie du. Wärst du wie ich." In summa: dies ist ein wirklich hübsches Büchlein mit ästhetisch wie intellektuell ansprechendem Inhalt.


Titelbild

Barbara Wiedemann: Sprachgitter. Paul Celan und das Sprechgitter des Pfullinger Klosters.
Deutsches Literaturarchiv Marbach, Marbach 2008.
16 Seiten, 4,50 EUR.
ISBN-13: 9783937384368

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