Habe nun, ach, Philosophie studiert…

Gebildet, aber ohne Job? Nein: Auch Geisteswissenschaftler kommen irgendwie unter - doch der Weg ist steinig

Von Sönke AbeldtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sönke Abeldt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wozu Geisteswissenschaften?, Diese Frage beschäftigt Philosophen, Literatur- Geschichts-, Sprach- und Kunstwissenschaftler vor einem aktuellen Hintergrund: Im so genannten Bologna-Prozess werden europaweit einheitliche Bachelor- und Master-Abschlüsse installiert, es wird eine Hochschulorganisation angestrebt, die vermeintlich auf den Arbeitsmarkt abgestimmt ist. So gesehen geraten Studienfächer ohne direkten Berufsbezug unter Druck - sie erscheinen auf den ersten Blick nutzlos. Angesichts dieser Situation müsse geklärt werden, "was GeisteswissenschaftlerInnen tatsächlich tun", meinen die Herausgeber des Buches "Arts and Figures: GeisteswissenschaftlerInnen im Beruf". Der Sammelband basiert auf einem vom Bildungsministerium geförderten Forschungswettbewerb samt Konferenz im November 2007 und ergänzt zwei Expertisen-Bände, die daraus hervorgegangen sind.

Fakt ist: Die meisten Geisteswissenschaftler - im Jahr 2005 waren es 703.000 - arbeiten nach Abschluss ihres Studiums in Berufen außerhalb der Unis und Hochschulen - häufig in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und mit vergleichsweise niedrigem Einkommen. Der Übergang vom geisteswissenschaftlichen Studium in den Beruf ist steinig. So kommen Karl-Heinz Minks und Heidrun Schneider in ihrer Absolventen-Längsschnittbefragung zu dem Ergebnis: "Die berufliche Integration geschieht anders als bei anderen Fachrichtungen nicht weitgehend innerhalb des ersten Jahres nach dem Studienabschluss, sondern zieht sich über mehrere Jahre hin. Nach vier Jahren ist allerdings ein Beschäftigungsstand erreicht, der dem von Absolventen anderer Fachrichtungen entspricht." Wolfgang Rohe stellt ganz ähnlich fest: "34% der Geisteswissenschaftler starten in ungesicherten Positionen, nach etwa 5 Jahren hat sich der Anteil an ungesicherten Positionen dem Durchschnitt aller Fächer fast angeglichen." Kaum überraschend: Geisteswissenschaftlerinnen sind auf dem Arbeitsmarkt schlechter gestellt als ihre männlichen Kollegen, erklärt Sabine Köhne-Finster.

Ein Großteil der Geisteswissenschaftler kommt in den für sie typischen Branchen Medien, Bildung, Forschung und Kultur unter; ob der Einstieg in den Beruf gelingt, ist aber konjunkturabhängig. Jürgen Kaube erinnert daran, dass das größte Tätigkeitsfeld für Geisteswissenschaftler der Lehrerberuf ist. Jedoch: Lehramtskandidaten haben "handwerkliche" - pädagogische und didaktische - Bedürfnisse, die der "forschende" Vollzeit-Geisteswissenschaftler kaum befriedigt. Hier zeigt sich, wie lose die Kopplung zwischen den "praktischen" Anforderungen des konkreten Berufs und dem "theoretischen" wissenschaftlichen Wissen, wie groß die Distanz des Studiums zu außeruniversitären Tätigkeitsfeldern tatsächlich ist. Holger Dainat argumentiert, dass die Autonomie und Qualität der Geisteswissenschaften gerade dadurch gestärkt werden, dass Geisteswissenschaftler in fachfremden Berufsfeldern arbeiten: "Denn wenn ein Studium nicht direkt auf einen Beruf vorbereitet, dann kann auf Seiten der Studierenden bei der Fachwahl die Neigung entscheiden; das kommt zweifelsfrei der Motivation beim Lernen zugute. Und die wissenschaftlichen Disziplinen müssen sich nicht um ihre Praxisrelevanz kümmern." Mit dem Bologna-Prozess gehe eine Straffung des Studiums einher, ob damit eine bessere Ausbildung stattfinde, bleibe offen.

Wenn die Autoren es auch nicht so klar ausdrücken, ein grundsätzliches Problem spiegelt sich in den Beiträgen wider: Wissenschaft und Ökonomie stellen zwei getrennte Kulturen dar, die unterschiedliche Sprachen sprechen. Die Übergänge sind aufgrund der Eigenlogik beider Sphären kaum zu steuern. Neben den Fallstudien lässt sich an dem Sammelband gut ablesen, welche Reaktionen darauf möglich sind: Eine Reaktion der Geisteswissenschaft besteht darin, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Da wird das Spezifische gesucht, dem "Geist der Geisteswissenschaften" nachgeforscht (Jörn Rüsen), dessen Wichtigkeit im Vergleich zu den Natur- und Neurowissenschaften untermauert (Michael Pauen) oder die Art der Erkenntnisgewinnung beleuchtet (aufschlussreich ist hier der wissenssoziologische Ansatz von Leon Jesse Wansleben).

Eine zweite Reaktion kann sein, formal zu argumentieren: Es werden die "nutzlos-nützlichen Fähigkeiten der GeisteswissenschaftlerInnen zu eigenständigem Denken, zu Selbstorganisation und Selbstdisziplinierung, zur historischen und interkulturellen Sensibilität" betont (Georg Bollenbeck) - Kompetenzen also, die im Beruf auch gefragt sind. Ein weiterer Versuch der Geisteswissenschaften, ihre Ferne zur Berufswelt intellektuell zu überwinden, liegt schließlich darin, Gemeinsamkeiten zwischen beiden Sphären zu konstruieren: Da werden begriffliche Ähnlichkeiten zwischen philosophischem Denken und unternehmerischem Handeln behauptet (Ludger Heidbrink); und Kunstwissenschaftlern wird die - selbstverständlich nicht unreflektierte - Fähigkeit ans Herz gelegt, Auftragsexpertisen schreiben zu können (Wolfgang Ullrich). Diese Forderung ist dann doch sehr gewöhnungsbedürftig - aber irgendwie müssen die Brötchen ja bezahlt werden.


Titelbild

Constantin Goschler / Jürgen Fohrmann / Harald Welzer / Markus Zwick (Hg.): Arts and Figures: GeisteswissenschaftlerInnen im Beruf.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
196 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783835303263

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Heike Solga / Denis Huschka / Patricia Eilsberger / Gert G. Wagner (Hg.): Findigkeit in unsicheren Zeiten. Ergebnisse des Expertisenwettbewerbs "Arts and Figures - GeisteswissenschaftlerInnen im Beruf", Band I.
Budrich UniPress, Opladen 2008.
205 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783940755124

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Heike Solga / Denis Huschka / Patricia Eilsberger / Gert G. Wagner (Hg.): GeisteswissenschaftlerInnen: kompetent, kreativ, motiviert - und doch chancenlos? Ergebnisse des Expertisenwettbewerbs "Arts and Figures - GeisteswissenschaftlerInnen im Beruf", Band II.
Budrich UniPress, Opladen 2008.
144 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783940755131

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