Wörter, die man genießen kann

Peter Bichsel verzaubert in seiner Kolumnensammlung "Heute kommt Johnson nicht" die Welt und den Leser

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

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"Ich habe meine Mühe mit dem Fernsehen. Es ist mir zu aufgekratzt, und so ziehe ich denn jene nächtlichen Pausenfüller vor, in denen ein Auto ohne Kommentar durch die Gegend fährt, ein Helikopter über die Hügel fliegt, oder eben auch, wenn zwei Schiffe nebeneinander mit nur zwanzig Kilometern in der Stunde durch das Wasser plätschern." Eigentlich passt Peter Bichsel damit so überhaupt nicht in die heutige Welt. Er ist der Beobachter, der Außenstehende, der Abwartende. Was aber auch nicht immer stimmt: "Wenn ich über den Markt gehe, kommt sicher jemand und sagt: 'Aha, Sie beobachten.' Und wenn ich in einer Kneipe sitze, halten mich die Leute auch für beobachtend. Das hat immerhin den Vorteil, dass sie mich - was ich in Wirklichkeit bin - nicht für trinkend halten, aber ärgerlich ist es trotzdem: Ich beobachte nicht, ich betrachte nur." Die Welt, die "jetzt in diesem Augenblick die ganze Welt ist."

Ist das wunderlich, oder ist es weise? Ein wenig Abstand zu gewinnen, sich nicht einwickeln zu lassen. Sich seine Gedanken darüber zu machen, wenn ihm der Name Paris Hilton geläufiger ist und eher ins Gedächtnis kommt als der Name seiner alten, lieben Nachbarin. Sich seine Gedanken zu machen über den Zustand der Welt, die hektische Betriebsamkeit oder die Gedankenlosigkeit der Reporter, die die Fußballfans dazu aufhetzen, bei der Hymne der gegnerischen Mannschaft zu pfeifen. Wieso Johnson nicht kommt und sein Stuhl in der Kneipe frei bleibt. Oder warum da ein kleiner Spatz auf dem Dach sitzt und auf die Amsel wartet.

Peter Bichsel erzählt seine "Betrachtungen", seine kleinen Geschichten in derselben Geisteshaltung, wie sie sein Landsmann Robert Walser pflegte: mit sehr viel Ruhe, melancholisch bis resigniert, distanziert und sehr, sehr mitfühlend. Ein Angebot zum Mitdenken spricht aus seinen Mitteilungen, zum Mitfühlen. Und so erzählt er von allem, was ihm ein- und auffällt: von Kreuzworträtseln, die ihm so viele Wörter geschenkt haben: Ariane, Egede, Anet oder Inuit. Wörter, die man nicht nur nachschlagen kann, sondern auch einfach nur genießen, ihrer Sinnlichkeit nachfühlen. Er erzählt von "Dorftrotteln", die einem Kind das Leben nahe bringen, von Nobelpreisträgern und Kirchenglocken. Und vom Warten. Nicht vom Warten auf etwas Bestimmtes, sondern ziellos und rein.

Dabei weiß Bichsel durchaus nicht, ob er die Menschen mag. "Aber eines weiß ich sicher, ich mag ihre Geräusche. Ich mag ihre Stimmen, ich mag ihre Sprachen, ihr Schreien und ihr Flüstern." Er mochte auch Kairo, das er "sehr laut in Erinnerung" hat, "sozusagen als die Summe sämtlicher von Menschen verursachte Geräusche. Sie ließen mich wirklich zwei Nächte nicht schlafen. Aber vom dritten Tag an gehörte ich, so leise wie ich auch immer war, dazu zum Lärm und war auch ein Mensch."

In seinen Kolumnen, von denen jetzt einige gesammelt vorliegen, ist Bichsel so philosophisch und feinfühlig wie nur je. Er ist ein großer Fabulierer in der kleinen Form, in der er in nur wenigen Wort sehr, sehr viel erzählt: von der Welt im Großen und der kleinen Welt in einem selbst, in der Angst und Freude dicht beieinander leben. In der man sich immer wieder neu entdecken kann, und seine Mitmenschen, die gar nicht so verschieden von einem sind, gleich mit.


Titelbild

Peter Bichsel: Heute kommt Johnson nicht. Kolumnen 2005-2008.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
162 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783518420263

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