"Ibiza, I said, was all they claimed it would be and all I dreamed."

Janet Frame und der Ibiza-Mythos

Von Heidemarie MarkhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heidemarie Markhardt

Jeder, der sich länger auf Ibiza aufhält, kennt die Legenden über die "Magie", über die "Aura" der Insel, über wundersame Begebenheiten und nur dort wirksame Kräfte. Erzählt und weitergesponnen werden sie nicht nur von den Ibizenkos selbst, sondern von allen den Inseltraum lebenden oder sogar an ihm zerbrechenden. Doch Ibiza ist nicht nur als "die magische Insel" bekannt, sondern bietet auch Stoff für die Fiktion eines primitiven, reinen Paradieses. Die vor dem Massentourismus und der mafiosen Bauwut an ein archaisches Gemälde erinnernde Landschaft zog Legionen von Intellektuellen, Malern, Schriftstellern und anderen Kunstschaffenden an, die von einem einfachen Leben träumten, sich in die kubischen, weißgekalkten Fincas zurückzogen ("die weiße Insel") und selbst zum Teil des Mythos wurden.

Den Anfang machten verschiedene Protagonisten der europäischen Künstler- und Politszene in den 1930er-Jahren, die vor dem um sich greifenden Faschismus flohen und auf der Insel - trotz Franquismo - unkonventionelle Lebensstile pflegten. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen wieder Kreative und Aussteiger nach Ibiza zu strömen. "Heat, sunshine, the antiseptic sea, iced drinks, and the cheap peseta. Also that flattering air of the Latin retainer which makes every bum-poet feel a Byron", nennt etwa Laurie Lee als Motive dieser Sehnsucht. Der europäischen Künstlerkolonie schlossen sich in zunehmenden Maße Ankömmlinge aus Übersee, insbesondere aus den USA an. Die Kinder von urlaubenden US-Diplomaten waren die ersten, die die Kunde über das Refugium in den Staaten verbreiteten. Es folgten Exilanten des McCarthy-Regimes, bevor eine Welle von Beatniks und Hippies über die Insel schwappte. Die US-Amerikaner sollen es auch gewesen sein, die den Drogenkonsum auf der Insel populär machten.

Eine der ungewöhnlichsten Künstlerpersönlichkeiten, die den Ruf auf die Insel folgte, war die Neuseeländerin Janet Frame (28.8.1924 - 29.1.2004). Als sie 1956 im Alter von 32 Jahren nach Ibiza kam, lag ein durch Armut, Krankheiten und tragische Todesfälle im Familienkreis gekennzeichnetes Leben hinter ihr. Zwei Schwestern ertranken, der Bruder litt unter schwerer Epilepsie. Fantasie und Poesie waren wichtig, um der tristen Realität zu entfliehen. Ihre Mutter hatte vor ihrer Heirat mit einem Eisenbahner für die Familie der Dichterin Katherine Mansfield gearbeitet und selbst literarische Ambitionen verfolgt. Frames Kindheitswelt wurde auch durch das Urchristentum (Christadelphian faith) geprägt, das sich durch den Glauben an beseelte Objekte, die Apokalypse und die Auferstehung auszeichnet. Nach einem vermeintlichen Selbstmordversuch mit Aspirin begann für die hypersensible, schüchterne und durch romantische Vorstellungen verwirrte Janet Frame eine Dekade alptraumhafter Aufenthalte in psychiatrischen Anstalten mit insgesamt 285 Elektroschocktherapien. Ihr Kurzgeschichtenband "The Lagoon" fiel 1945 einem behandelnden Arzt in die Hände, der Frame in der Folge die geplante Gehirnoperation ersparte. In ihrer Autobiografie schrieb Janet Frame: "My writing saved me."

1956 wurde Janet Frame ein Reisestipendium nach Europa gewährt. Dem Rat des Freundes Frank Sargeson folgend, der ihr nach der Entlassung aus der Psychiatrie in einer Gartenbaracke Zuflucht gewährt hatte, reiste sie von London über Paris und Barcelona nach Ibiza. Finanzielle Erwägungen waren ausschlaggebend für die Wahl der Destination. Die spanische Mittelmeerinsel wurde bis Neuseeland hin als der Geheimtipp eines kostengünstigen Künstlerparadieses gehandelt. Als innere Motivation für die Reise nennt Janet Frame wiederholt: "to broaden my experience". Ihren Aufenthalt auf Ibiza beschreibt sie in ihrem autobiografischen Werk "The Envoy from Mirror City", das sie 30 Jahre nach den tatsächlichen Ereignissen verfasste.

Im November 1956 setzt Janet Frame mit dem kleinen, 1925 renovierten Schiff - der Flughafen wurde erst zwei Jahre später eröffnet -, das einmal wöchentlich die Verbindung zwischen der Insel und dem Festland herstellte, von Barcelona nach Ibiza über. Wie bei vielen anderen Künstlern jener Zeit markiert auch bei Janet Frame die Schiffsreise die symbolische Überfahrt in eine andere Welt. So beschreibt etwa Cees Noteboom - um nur ein Beispiel zu nennen - die unmittelbare Wandlung seines Dichterfreundes: "Mit dem Zug kommt er in Barcelona an, das alte weiße Schiff der Compañía Mediterránea erwartet ihn und entführt ihn, die Legende setzt ein. Spreche ich noch von ihm?"

In ihrem selbstauferlegten kulturellen, geografischen, aber auch sprachlichen Exil bezieht Janet Frame in der Calle Ignacio Riquer (Katalanisch: Carrer Ignasi Riquer) 6 in der Altstadt Quartier. Janet Frames Initiation in neue Erfahrungen beginnt. Das erste, was sie von der Insel wahrnimmt, ist ein Geruch "...the pervasive Ibicencan smell that I could not yet identify". Nach der ersten in einem kleinen Hotel verbrachten Nacht spaziert Janet Frame die Altstadt (Dalt Vila) hinauf, sieht, wie sich diese im klaren ruhigen Meer spiegelt, ist von Olivenbaumblättern, wilden Ziegen, dem Tuckern der Fischerboote in der Ferne, der vielgerühmten roten Erde Ibizas fasziniert. "A feeling of tenderness as if this land were mine and I had known it long ago", schreibt sie, bevor sie überhaupt eine permanente Unterkunft sucht.

Die Wandlung der Janet Frame beginnt im Einklang mit dem Mythos über die Insel, die astrologischen Berechnungen zufolge im Zeichen des Skorpions steht. Der dieses regierende Planet Pluto - so sagen die New-Age-Inselgurus - tötet das Überkommene und schafft neue Strukturen. "Ibiza changed her by opening the doors to the Mirror City for good to let her heart (and body at last!) beat with youthful, renewed hope", heißt es auch in einer Passage über Frame in dem von Mariano Planells (dem Inselautor schlechthin) verfassten Katalog der Ausstellung "Eivissa, anys 60. El naixement de Babel" ("Ibiza, 60er Jahre. Die Geburt Babels"), die 1998 im Museu d'Art Contemporani d'Eivissa (M.A.C.) stattfand.

Janet Frames klarer Entschluss lautet jedenfalls: "to begin my new life in a foreign land". Sie ist sogar über den Verlust ihres Gepäcks durch ein sprachliches Missverständnis in Paris erleichtert.

Als sie den Briten Colin (in der Realität William Monk, ein ehemaliger Schauspieler und Möchtegernpoet), der mit derselben Fähre nach Ibiza übersetzte, in einem Hafencafé wiedertrifft und dieser sie äußerst kühl behandelt, beschließt sie, nicht nur den Kontakt mit der englischsprachigen Gemeinschaft, sondern auch mit ihrer eigenen Muttersprache zu vermeiden, in der sie stets die Wünsche der anderen erfüllte. Sie spricht mit den Dienstmädchen ihres Vermieters, Catalina und Francesca, welche im Nebenhaus wohnen und ihre Küche mitbenutzen, nur mehr Spanisch und Französisch. Ungereimtheiten und Fehler in den spanischen Einwürfen im Text demonstrieren jedoch, dass sie diese neue Sprache nicht richtig beherrscht. Sie scheint sich auch dessen nicht bewusst zu sein, dass die eigentliche Inselsprache nicht das Spanische ist, sondern das unter Francisco Franco verbotene, aber trotzdem im Alltag gepflegte Katalanische.

Frame stellt Vergleiche zwischen den Inseln Neuseeland und Ibiza an. Während das Leben in Neuseeland von der ständigen Bedrohung der Auslöschung durch Erdbeben und Vulkanausbrüche gekennzeichnet ist, beschreibt sie Ibiza als eine heile Welt, "a new country where everything glistens with marvel". Es ist anzunehmen, dass sie die Überlieferung kannte, derzufolge die Punier neben der Stadt der Lebenden eine Stadt der Toten (die "Necópolis del Pluig des Molins") für ihre Eliten errichteten, da Ibizas Erde als heilig galt. Ibizas "good vibrations" sind auch die übliche Erklärung dafür, dass es auf der Baleareninsel keine für den Menschen schädlichen Lebewesen wie Skorpione oder Schlangen gibt. Ein Hinweis Fermins (des Bruders der Vermieters und Mitglied Frames neuer "ibizenkischer Familie") auf die Erschießung von Kommunisten unter dem Franco-Regime an der (von ihr fälschlicherweise als "römisch" klassifizierten) Stadtmauer wirft freilich einen ersten Schatten auf Frames Wunderland.

Diese Phase ihres Inselaufenthalts - die Zeit ohne Schreibmaschine, des Wartens auf ihr Gepäck - umschreibt sie als "apprenticeship to the life of Ibiza". Als sie Butter und Fleisch kauft, wird sie sich durch die Empörung der Dienstmädchen der Armut auf der Insel bewusst. Sie lernt, den besten Fisch preisgünstig zu kaufen, ibizenkische Gerichte zu kochen, sich mit den schwarzgekleideten Frauen um Holz anzustellen und erwirbt sich so die Gunst der Ibizenkos. Sie ist zwar eine ausländische Frau, ist aber keine Touristin, keine für die Inselbevölkerung alles Böse symbolisierende Amerikanerin. Zum ersten Mal in ihrem Leben definiert sie sich klar und betont als "Schriftstellerin" - wenn auch als eine Schriftstellerin, der die Schreibmaschine abhanden kam. Und niemand kennt ihre dunkle Vergangenheit. Janet Frames Transformation schreitet voran: "I felt at peace within my own mind, as if I were on an unearthly shore".

Als ihr Gepäck ankommt, empfindet sie die meisten Gegenstände aus ihrem alten Leben nur mehr als kurios. Die Schreibmaschine erinnert sie freilich daran, sich ernsthaft an die Arbeit zu machen. Sie schreibt am begonnen Roman "Uncle Pylades" weiter. Laut ihrem Biograf King bot sie dieses knapp 200 Seiten umfassende Werk jedoch nie zur Veröffentlichung an, da sie es selbst als schlecht und banal empfand. Aber Ibiza gilt ja unter Eingeweihten wie Cees Nooteboom auch als guter Ort zum Malen und schlechter Ort zum Schreiben.

Trotz des letztlich missglückten literarischen Projekts findet Janet Frame auf der Insel in ihrer Existenz als Schriftstellerin zu sich. Ibiza wird so zur "Heimat" - "I think that I had never felt so much at home" und das Spiegelbild der malerischen Altstadt im Meer zu einer Metapher "for the mytho-poetic world to which her imagination sought access through her poems and fiction".

Auf einem Fahrrad und zu Fuß erkundet sie die Strände, die Salinen, die heute längst verschwundenen Lehmabbaufelder und die Wälder, in denen Banditen gehaust haben sollen. Sie empfindet aber nie Angst, lässt ihre Haustür im Einklang mit den damaligen ibizenkischen Gepflogenheiten unversperrt, wodurch sie sich wieder von den anderen besitzgierigen und mit scheinbar unerschöpflichen Geldvorräten ausgestatteten Ausländern unterscheidet. Die unversperrte Wohnung oder Finca ist auch heute noch ein von den Ibizenkos oft bemühtes Bild, wonach der persönliche Lebensraum - vor der Invasion durch die Touristen und neuen residentes - eine von den anderen respektierte "Insel auf der Insel" bildete.

"I could not believe the gentleness of Ibiza" schreibt die Autorin, berichtet aber nur ein paar Sätze weiter vom bitterkalten Inselwinter, in dem permanentes Kirchenglockengeläut vom Tod vieler Kinder kündet. Doch die Schönheit der Insel ist allgegenwärtig und tröstend. Die Pinien an einem Strand verzaubern sie nicht nur - "where I lay under the trees and listened to their hush-hush, and the light fell like blue and green snow around and upon me, and the sea glittered through the pine branches" -, sondern versetzen sie auch zurück in ihre Kindheit. Ibizas Pinien werden für sie zum immerwährenden Symbol ihre kollektiven Kindheitserinnerungen, ja sogar für die Frage nach dem Sinn der Welt. Frame beginnt, sich Gedanken über ihre eigene Zukunft zu machen und will Gewissheit über die Fehldiagnose der Schizophrenie in der Vergangenheit.

Schon im Januar erwacht die Natur auf der Insel - mit blühenden Mandelbäumen, Feld- und Wiesenblumen, "with a new bond of sweetness so excessive that it forced dark pleats of pain to be folded within the pleasure". An einem solchen Frühlingstag muss Janet Frame wieder Englisch sprechen, denn es wird ihr "el americano", Edwin Mather, vorgestellt. Ohne ihr Wissen wurde dem Maler das Obergeschoss in ihrem Haus als Atelier vermietet. Janet Frame ist nicht nur über das Eindringen des Fremden in ihre Welt, sondern auch die Rückkehr der englischen Wörter und Gedanken in ihrem Kopf entsetzt. In einem Brief an Sargeson schreibt sie: "I have an American artist living here, so that I've got to use my energy in keeping up appearances, and putting on defences, and I hate that, when I was so free with a language barrier to hide behind [...] I hate talking English again".

Edwin Mather (im realen Leben der New Yorker Maler Harvey Cohen) lebt ebenfalls von einem Stipendium. Als er ihr sein Atelier im oberen Stockwerk zeigt, wird ihr bewusst, dass sie sich selbst durch ihr Verharren im unteren Arbeitszimmer den ganzen Blick auf die sich im klaren Mittelmeer spiegelnde Altstadt - ihre "mirror city" - versagt hatte.

Edwin kritisiert ihre neue "Familie" als aufdringlich und neugierig. Obwohl er und die englische Sprache ihre bislang perfekte ibizenkische Welt bedrohen, arrangiert sie sich mit ihm. Er nimmt sogar regen Anteil an ihrer Arbeit und bietet ihr an, für sie Kontakte mit Verlagen in London and New York herzustellen.

Als seine Freundin Dora bei ihm übernachtet, wird sich Janet Frame ihrer Einsamkeit und Asexualität bewusst. Auch damals schon war Ibiza für die Bewohner des "neuen Babels" (wie sich diese multikulturelle community damals selbst bezeichnete) eine Insel der freien Liebe und wilden Parties - steht sie doch angeblich unter dem Bann der antiken Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin Tanit und des bacchantischen, koboldhaften Gottes Bes. Janet Frame ist plötzlich über ihre lebenslange Rolle des braven Mädchens bestürzt. Sie wird sich bewusst, dass sie - eine Frau mit neuer Heimat, neuer Sprache und neuer Identität als Schriftstellerin - diese auch unwillkürlich bei den Dienstmädchen annahm, die ausländische Frauen wie Dora als "diabola" bezeichnen.

Eines Tages lernt sie Edwins Freund Bernard in der Küche kennen, dessen Lachen sie zutiefst berührt. Ihrem Biografen zufolge handelte es sich um George Parlette. Der 30jährige Buchhalter aus Ohio, der in die Schweiz gezogen war und eine Frau und zwei Kinder zurückließ, arbeitete am Bau einer Ölpipeline auf dem spanischen Festland mit. Nachdem er sich eine Verletzung zugezogen hatte, ging er nach Ibiza, um sich zu erholen. Dort stilisierte er sich selbst zum Schriftsteller. Janet Frame findet Gefallen an dem Amerikaner mit den Dichterambitionen, sie ist von seinen "verrückten" Augen fasziniert, beschreibt sich selbst als zu naiv, um diese mit Drogen in Verbindung zu bringen.

Er lädt sie zu einem Spaziergang "along the beach past Figuretti's" ein. Sie fragt nicht nach, was "Figuretti's" bedeutet, womit Bernard zweifellos den neuen Stadtteil Ibizas meinte. "Figueretes" (beziehungsweise "Figueretas" auf Spanisch) erlebte damals seinen ersten Bauboom und war für bis zum Sonnenaufgang gefeierte Haschparties berüchtigt. Während des Strandspaziergangs rezitieren Frame und Bernard ihre Lieblingsdichter. Sie ist insgeheim über die weniger intellektuellen Favoriten Bernards enttäuscht.

In den folgenden Tagen kann sie nicht arbeiten, erinnert sich daran, dass das eigentliche Ziel ihrer Reise die Erweiterung ihres Erfahrungsschatzes gewesen ist. Sie beschließt, Bernard in seinem weißen Haus am Strand zu besuchen. Frame, die sich ihm gegenüber durch geheimnisvolle Bemerkungen als erfahrene Frau darstellte, verliert ihre Jungfräulichkeit. Sie gesteht sich ein, dass sie ihn belogen hatte, um sich nicht mit der Realität ihres bisherigen Lebens konfrontieren zu müssen. Doch auch in der Gegenwart möchte sie nicht alles wissen. Bernard erwähnt wiederholt das geheimnisvolle "Figuretti's", doch Frame weigert sich weiterhin in die Realität vorzudringen. "'Figuretti's' I repeated as it were a game, a contest I had engaged in all my life and could never know the answers".

Sie verbringt jede Nacht bei Bernard, stielt sich in den Morgenstunden ins Haus, um ihr Image der ehrenhaften Schriftstellerin bei den Dienstmädchen nicht zu gefährden. Doch Francesca fragt sie eines Morgens nach "el americano" und ob er viel Geld hätte. Frame wird aus der Welt der Dienstmädchen ausgeschlossen. Als "Teufelin" ist sie in die Welt der Amerikaner gewechselt.

Durch Bernard lernt sie viele Amerikaner kennen, die vor dem McCarthy-Regime auf die Insel geflüchtet waren, so einen Filmregisseur, der dort Maler wurde. Sie besuchen Musik- und Literaturdarbietungen im Französischen Institut. "We winded and dined with the men and women living with their chosen partners in the sensuous sensual kind of luxury enjoyed by the lotus eaters.". Die Anspielung auf eine in Homers "Odyssee" erwähnte Insel, deren Bewohner sich von berauschenden Lotuspflanzen ernähren, den Lotophagen, findet sich interessanterweise auch in einem Interview mit der gleichzeitig auf der Insel - in Figueretes - verweilenden Schriftstellerin und Erbin von George Bernard Shaw Edevain Park. Beide Schriftstellerinnen wurden wohl mit der Legende konfrontiert, Odysseus sei von den Sirenen auf dem der Insel vorgelagerten majestätischen Felsen Es Vedrà angelockt worden, der auch Schauplatz von Geschichten um eine Marienerscheinung, verschwundene Schiffe und Ufo-Sichtungen ist.

In der Welt der Bohème erlebt Frame ungewöhnliche Szenen mit einem Malariakranken und verfolgt fasziniert Gespräche über den Drogenhandel und -konsum auf Ibiza. Durch die neuen Kontakte wird sie sich - trotz ihrer Naivität - der Situation von Frauen in vergleichbarer Lage bewusst. So wurde eine ihr bekannte Malerin von ihrem amerikanischen Freund verlassen, als sie schwanger wurde.

Frames Mitbewohner Edwin sorgt sich um sie, da er sie nicht mehr auf der Schreibmaschine tippen hört. Aber sie zieht es vor, mit Bernard die geliebte Insel zu erforschen und die Tage auf abgelegenen Stränden zu verbringen. Sie besuchen Freunde auf einer Yacht. Frame ist begeistert, dass diese direkt in der "Spiegelstadt" vor Anker gegangenen ist und erwähnt nur beiläufig, dass sie dort auf ein Schusswaffenlager stößt.

In einem Brief an Sargeson berichtet sie - nicht ohne Stolz und Frivolität - über ihre neuen Gefühle, die Fahrradtouren auf der Insel und ihre sexuellen Erfahrungen: "and go to bed, which occupation I like very much, it being more comforting than a hotwater bottle, for a hotwater bottle gets cold in the middle of the night, but a man stays warm at night, and in the morning is sometimes very hot. ". Auch in Briefen an ihren ehemaligen Psychologielehrer John Money stellt sie ihre "Normalität" dar und demonstriert so, dass sie die Schwärmerei für ihn überwunden hat.

Doch sie beendet die Romanze, die laut Frame-Biograph King nur zwei Wochen dauerte, abrupt. Bernards rationale Sorge um fehlende Kondome löst bei ihr tiefste Verstörung aus. Auf ihre Frage, was er über eine mögliche Schwangerschaft denken würde, antwortet er: "That would be terrible". Worte sind für Frame mächtig - und an diesen zersplittert ihre Vorstellung von der vollkommenen Liebe. Sie bricht den Kontakt zu Bernard ab, besorgt sich sogar einen Schlüssel, um die Haustür abzusperren, sieht ihn nie wieder, auch wenn er in der Erinnerung allgegenwärtig ist. Als der einstige Geliebte abreist, lässt sie ihn Feldblumen aufs Schiff bringen. Catalina und Francesca freuen sich, denn ihnen zufolge sind Amerikaner Menschen, die alles stören und selbst das Licht zum Verlöschen bringen (wobei sie auch auf Probleme des amerikanischen Untermieters mit den Sicherungen anspielen).

Die Dunkelheit bemächtigt sich Janet Frames, die überdies befürchtet, schwanger zu sein. Ibiza transformiert sich trotz des strahlenden Frühlings zu einem Ort des Verfalls: "I could almost see the tress decaying, the olive blossoms withering; also I was invaded by knowing others on the island, I was no longer alone, creator and preserver of my world, in harmony with other world". Der Verlust des Lichts der Liebe, Trauer und eine kalte Realität beherrschen nun Frames bisher perfekte Welt. In einem Brief an John Money deutet sie die bevorstehende Abreise aus dem Paradies an: "the frogs are chirruping now in the square ponds, by the windmills, and all the almond blossom has fallen. Yet I yearn for the ugliness of civilisatio".

Janet Frame setzt am 21. März 1957 nach Barcelona über, zurück in den Winter. Sie leidet unter Heimweh nach der Insel, sehnt sich nach ihrer "ibizenkischen Familie" und in ihre Rolle der unschuldigen Schriftstellerin zurück. Der Verdacht einer Schwangerschaft bestätigt sich. Sie fühlt sich nicht einsam, denn das Phantom Bernards begleitet sie, sein Lachen verfolgt sie.

In Andorra nimmt sie Chinintabletten und macht anstrengende Wanderungen, fällt schließlich beim Austauschen von Glühbirnen vom Sessel. "It was the need for light that brought a solution to the problem". Sie verliert das Kind Parlettes. Nach einiger Zeit flüchtet sie vor der Beziehung mit einem Schmuggler nach London. Dort verbring sie nicht nur sieben literarisch produktive Jahre, sondern es bestätigt sich auch ihr in Ibiza gewachsener Zweifel. Ein Gremium von Psychiatern der Maudsley Clinic bescheinigt ihr, dass sie nie an Schizophrenie gelitten und es sich um eine Fehldiagnose gehandelt hatte.

Nach dem Tod ihres Vaters (1963) kehrt sie nach Neuseeland zurück und begibt sich danach auch für längere Zeit in die USA. Ab 1972 beginnt sie, unter dem Pseudonym "Janet Clutha" zu leben, während sie als Janet Frame weiterschreibt. Neuseelands bedeutendste Autorin wurde mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht und für den Literaturnobelpreis (2003) nominiert. Wahrhafter Weltruhm ereilte sie jedoch erst durch Jane Campions einfühlsames Filmwerk "Ein Engel an meiner Tafel" (1990), das auf Frames autobiografischer Trilogie basiert. Trotz ihrer immensen Popularität nach Campions Film scheute sie weiterhin die Öffentlichkeit. Sie starb 2004 im Alter von 79 Jahren an Leukämie. Ihr Werk wird von Kritikern mit Attributen wie "postmodern", "postkolonial" und "feministisch" bedacht.

Das abrupte Ende der Glückseligkeit sei typisch für das Erleben des Ibizamythos und der Utopie der Akteure in mehr als vierzig Romanen in sieben Sprachen, meint der ibizenkische Autor Vicente Valero: "Aus irgendeinem Grund - meistens, weil sie durch unvorhergesehene Umstände dazu gezwungen werden - verlassen die Protagonisten die Insel für immer. Damit scheinen sie sich stets auch von einem Traum zu verabschieden, der so alt ist wie die Menschheit selbst - und unmöglich zu verwirklichen: der Traum eines neuen, eines anderen Lebens."

Das trifft zweifellos bei Frame nicht ganz zu, denn Ibiza markierte in ihrer Biografie den Beginn der Selbstdefinition als Schriftstellerin. Auf der Insel der Tanit suchte sie auch ihre Identität als Frau und hinterfragte ihre "Geisteskrankheit". Durch das neue Umfeld wurde sie mit den von ihr in der Vergangenheit eingenommenen Rollen konfrontiert und gestattete es sich selbst, zumindest vorübergehend zu einem "bad girl" zu werden, das sich souverän in Künstlerkreisen bewegt.

Die Online-Enzyklopädie über Ibiza und Formentera (www.eeif.es) zollt ihr mit einem Eintrag von lediglich einer halben Seite Tribut. Die Inselautoren Mariano Planells und Vicente Valero widmen ihr einige Absätze. Am Haus in der Calle Ignacio Riquer 6 in der Inselhauptstadt erinnert keine Gedenktafel an die Neuseeländerin, die in ihrem Werk das einstige Ibiza als einen Ort, an dem das Glück möglich war, verewigte.

Bibliografie:

Enciclopèdia d'Eivissa i Formentera - Consell Insular d'Eivissa i Formentera: http://www.eeif.es

Frame, Janet (1951): The Lagoon and Other Stories, Caxton Press, Christchurch.

Frame, Janet (1987): The Envoy from Mirror City, Autobiography 3. Paladin, Grafton Books, London.

Frame, Janet (1989): An autobiography (collected edition), Century Hutchinson, Auckland (posthume Neuauflage: An Angel at My Table, Virago, London:, 2008)

Lee, Laurie (1975): Ibiza High Fifties (S 148-159). In: I Can't Stay Long. Penguin Books.

M.A.C (1998): Patronat del Museu d'Art Contemporani d'Eivissa. Eivissa, anys 60. El naixement de Babel. Eivissa. 1998:13-32.

Nooteboom, Cees (1996): Der Ritter ist gestorben. Frankfurt am Main 1996.

Planells, Mariano (1986): Ibiza. La senda de los elefantes. Vol. 2 Ediciones Obelisco. S.A., Barcelona.

Valero, Vicente (2007): "Insel für ein neues Leben". Der Ibizamythos und die Kunst. In: Schwetje, Wiltrud (Hg.): Goodbye Tanit. Ibiza - zwischen Traum und Trauma. Palmyra Verlag, Heidelberg. 2007: 173-183.

Valero, Vicente (2004): Viajeros contemporáneos. Ibiza, siglo XX. Pre-Textos. Valencia.