Für die Wahrheit muss man sich verkleiden

Ruth Reichl spioniert in ihrem Buch "Falscher Hase” in New Yorks Spitzenrestaurants

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Überall hängt ihr Steckbrief: Wer sie erkennt, erhält eine Belohnung. Denn von ihr hängt es ab, ob ein Restaurant erfolgreich ist oder ob es untergeht: Ruth Reichl vergibt die Sterne in der New York Times. Also wird sie hofiert und bekommt die besten Stücke, größten Portionen, ausgefallensten Kreationen, die gelungensten Häppchen. Und darf noch vor dem König von Spanien an ihren Tisch. Aber Reichl will das nicht. Sie will die Wahrheit erfahren, sie will wissen, wie es wirklich in den Restaurants zugeht. Also verkleidet sie sich, mit Kleidern, Perücke und dickem Make-up. Geht als sexy Blondine, altgraue Maus, aufregende Rothaarige, als ältere Dame, die sich mal was Besonderes leisten will, oder auch als schüchterne Touristin. Einmal verwandelt sie sich sogar in ihre eigene Mutter, die an allem etwas zu meckern hat und eigentlich grundsätzlich alles erst mal zurückgehen lässt.

Und was passiert? Sie bekommt den Tisch gleich neben der Toilette, ihre Himbeeren sind nur halb so groß wie die für die Starkritikerin, der Service "vergisst" die Sonderangebote und nimmt ihr die Weinkarte weg. Ihr persönlicher Bericht vom Essbetrieb in New York ist entlarvend, witzig und erschreckend zugleich. Denn sie merkt, wie sie sich tatsächlich verwandelt, wie ihre Persönlichkeit sich aufsplittet, wie sie sich verändert. Ihre Stimme verändert sich, ihr Gang, ihr ganzes Auftreten: Eine wahre Geisterpartie, eine irritierende Fahrt ins eigene Ich.

Reichl setzt sich damit zwischen alle Stühle. Auch weil sie sich dem gängigen Standard verweigert, nur die "französische" Küche zu besprechen wie ihre Vorgänger. Im melting pot New York ist sie auch neugierig auf koreanische, auf chinesische, mexikanische und japanische Küche. Und vergibt auch da ihre Sterne nicht nach den Erwartungen der Alteingesessenen, sondern einfach nur nach ihrem Geschmack. Der, wie Oscar Wilde einmal formulierte, ganz einfach ist: Immer nur das Beste.

Und so ist ihr Buch nicht nur der Bericht einer skurrilen Selbsterfahrung sowie der verlogenen Affigkeit von Spitzenrestaurants, sondern auch und vor allem eine Hymne auf die Sinnlichkeit des Essens: In lyrischen Tönen beschreibt sie das Gaumenvergnügen, lobt den Koch, der beim Risotto "jedes Reiskorn einzeln überredet hat, die Flüssigkeit aufzunehmen", schmeckt uns die Nuancen von Tintenfischtinte und versteckten Gewürzpetitessen vor, dass einem das Wasser im Munde zusammenläuft. So genau und sinnlich zugleich hat noch nie jemand Essen beschrieben.


Titelbild

Ruth Reichl: Falscher Hase. Als Spionin bei den Spitzenköchen.
Übersetzt aus dem Englischen von Theda Krohm-Linke.
Blanvalet Verlag, München 2008.
384 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783442371327

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