Makroevolution und Humanisation

Wissenschaftstheoretische Bemerkungen zur Debatte um "Naturalismus" und "Intelligent Design"

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

1. Einleitung

Im März 1973 erschien in der Zeitschrift "The American Biology Teacher" ein Aufsatz des Biologen Theodosius Dobzhanskys mit einer seither oft zitierten Überschrift: "Nothing in Biology Makes Sense Except in the Light of Evolution". Dobzhansky zitiert darin den französischen Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin: "Is evolution a theory, a system, or a hypothesis? It is much more, it is a general postulate to which all theories, all hypotheses, all systems much henceforward bow and which they must satisfy in order to be thinkable and true. Evolution is a light which illuminates all facts, a trajectory which all lines of though must follow. This is what evolution is.", um sich diesem "great thinker" anzuschließen, der, so Dobzhansky, nicht nur ein "truly and deeply religious man" war, für den "Christianity was the cornerstone of his worldview", sondern über darüber hinaus ein Kreationist. Dobzhansky bekennt: "It is wrong to hold creation and evolution as mutually exclusive alternatives. I am a creationist and an evolutionist. Evolution is God's, or Nature's method of creation. Creation is not an event that happened in 4004 BC; it is a process that began some 10 billion years ago and is still under way".

In dem sich zuspitzenden und weitgehend weltanschaulich und wissenschafts- sowie bildungspolitisch geprägten Diskurs um Evolution und Schöpfung werden nach einer Phase der Konvergenz im Sinne Dobzhanskys und Teilhards zunehmend die Kategorien "Wissen des Biologen" und "Glaube des Theologen" gegeneinander ausgespielt, vertreten durch (Neo-)Darwinismus und (Neo-)Kreationismus, paradigmatisch festgeschrieben durch die forschungsmethodischen Ansätze "Naturalismus" und "Intelligent Design (ID)".

Da im Diskus zwischen Darwinisten und Vertretern des ID von niemandem ernsthaft bestritten wird, dass Evolution als Entwicklungsprozess stattfindet, sondern nur die von Darwin nahegelegte Makroevolution zur Diskussion steht, bei der sich alle Arten aus einer ursprünglichen Lebensform entwickelt haben, so dass ein kontinuierlicher Prozess "von der Amöbe bis Goethe" nachgezeichnet werden kann und sich die ursprüngliche Lebensform (und in der Folge das Bewusstsein) aus Materie entstanden sind, müssten hier im Sinne begrifflicher Klarheit diverse Evolutionskonzepte unterschieden werden. Ich werde darauf verzichten, weil die Differenzierung für meine philosophische Argumentation nichts austrägt. Festzuhalten ist jedoch, dass insbesondere die Makroevolution (einschließlich der Frage nach der Humanisation) gemeint ist, wenn im folgenden von "Evolution" gesprochen wird. Auch zum Konzept des "Intelligen Design" gäbe es einiges an begrifflichen Bestimmungen vorzunehmen, was allerdings den Rahmen dieses Essays bei weitem sprengen würde; für eine Definition von ID siehe Jonathan Wells Buch "The Politically Incorrect Guide to Darwinism and Intelligent Design" (2006).

Man kann sich dem Thema Evolution und Schöpfung von unterschiedlichen Seiten nähern, ich möchte dies mit einer Unterscheidung von Kausalität und Finalität tun, unter Bezug auf Gottfried Wilhelm Leibniz. Weiterhin soll der Naturalismus, der dem neodarwinistischen Paradigma der Evolutionstheorie zugrunde liegt, wissenschaftstheoretisch untersucht werden, um die Probleme eines Übergangs von der Methodologie zur Ontologie zu kennzeichnen.

2. Kausalität und Finalität

Einerseits unterscheidet Leibniz mit Aristoteles in seiner Erkenntnistheorie die Kontingenz eines material-phänomenologischen Kausalnetzes im "Reich der Natur", das experimentell zugänglich ist, aber nur Wirkursachen enthält (causes efficientes), von der Notwendigkeit der Zielursachen (causes finales) im "Reich der Zwecke" beziehungsweise der "Gnade", das experimentell nicht zugänglich ist. Wir können also erfahren, wie die Welt ist, aber wir können nicht in Erfahrung bringen, warum sie so ist, wie sie ist. Das bedeutet für die Naturwissenschaften, dass sie durch Erfahrung und Induktion nicht begründbar sind. Vielmehr setzen sie nach Leibniz logisch-göttliche Prinzipien voraus, ohne die eine geordnete empirische Erkenntnis aus Experimenten gar nicht möglich ist.

Die beiden Reiche sind andererseits aber nicht getrennt voneinander zu denken, sie stehen miteinander in Verbindung, mehr noch: sie stehen "unter einander in Harmonie". Sie durchdringen sich wechselseitig: "Das Reich der Natur muss allerdings dem Reich der Gnade dienen; da jedoch im großen Plan Gottes alles miteinander verknüpft ist, ist anzunehmen, dass auch das Reich der Gnade in gewisser Weise dem Reiche der Natur angepasst ist, so dass dieses die größtmögliche Ordnung und Schönheit in sich birgt, um die Verbindung beider zu der vollkommensten zu machen, die möglich ist". Aus dieser Universalharmonie folgt, "daß die Dinge durch die Wege der Natur selbst zur Gnade führen".

3. Überlegungen zum Naturalismus

Der Naturalismus ist in der Gegenwartsphilosophie ein breiter Strom, der sowohl in der Wissenschaftstheorie als auch in der Praktischen Philosophie wirkmächtig fließt. Seine vermeintlichen Stärken liegen in der angeblichen Voraussetzungslosigkeit des Ansatzes, die sich aus der Freiheit von metaphysischen Ideen ergebe und - als Folge - in der empirischen Prüfbarkeit ihrer Postulate. Dass diesem methodologischen Optimismus einige Skepsis entgegengebracht werden kann, soll im Folgenden gezeigt werden.

Das Empirismus-Prinzip als Grundlage der naturalistischen Wissenschaftstheorie sei hier nur kursorisch rekonstruiert. Das Kernkonzept der naturalistischen Wissenschaftstheorie ist das empiristische Signifikanzkriterium, das besagt, dass eine synthetische Aussage nur dann Bedeutung hat, wenn wir sagen können, unter welchen Bedingungen sie falsch und unter welchen sie wahr ist. Es gilt also methodologisch: Die Wahrheit beziehungsweise Falschheit von synthetischen Aussagen ist nur empirisch nachweisbar, das heißt der Test ist durchzuführen anhand dessen, was wir als Wirklichkeit sinnlich wahrnehmen. Handelt die Aussage von Sachverhalten, die auf diese Weise nicht testbar ("testable") sind, ist die Aussage nicht bestätigungsfähig ("confirmable") und scheidet damit aus dem Kreis der sinnvollen Sätze aus.

Damit ist das Urteil über wissenschaftliche Aussagen, die ja zumeist synthetisch sind, eines, dass sich auf einen empirischen Nachweis stützen muss. Mit dem empiristischen Signifikanzkriterium liegt ein Abgrenzungskriterium gegenüber nichtempirischer Realerkenntnis vor, ein Kriterium für die scharfe Trennung zwischen syntaktischer Zulässigkeit und empirischer Signifikanz. Ein Satz wie "Es gibt einen Schöpfer der Welt." wäre etwa syntaktisch zulässig, nicht aber empirisch signifikant, da er die Existenz einer übersinnlichen Entität behauptet, was mit Hilfe der sinnlichen Wahrnehmung eben nicht verifizierbar ist, zumindest nicht im naturalistischen Paradigma der (neo-)darwinistischen Evolutionstheorie; ID versucht ja gerade, den Schöpfer ("Designer") vermittels seiner Spuren sinnlich wahrnehmbar zu machen, was jedoch erhebliche (onto-)theologische Probleme mit sich bringt, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann.

Am Beginn der praktischen wissenschaftlichen Arbeit steht die Beobachtung und das Formulieren von Beobachtungssätzen; synonym wird der Begriff "Protokollsätze" verwendet. Empirisch signifikant sind aber nicht nur diese Beobachtungssätze - sonst kämen die Forscherinnen und Forscher bei der naturwissenschaftlichen Theoriebildung nicht sehr weit -, sondern auch Aussagen, zu denen die Beobachtungssätze in deduktiver Relation stehen (Hypothesen, Gesetze). Diese Aussagenklasse bildet die vollständig interpretierte empiristische Wissenschaftssprache als Sprache einer "Einheitswissenschaft", das heißt nur Aussagen, die derart formuliert sind, das sie zu dieser Klasse zählen, verdienen im wissenschaftlichen Diskurs Beachtung. Negativ ausgedrückt: Aussagen, die in diesem Sinne nicht empirisch signifikant sind, gehören nicht in die Wissenschaftssprache und haben im Diskurs keinen Platz. Kurzum: Von empirischer Signifikanz schließt der Naturalist auf wissenschaftliche Relevanz.

Derart bildet der Signifikanzvorbehalt des Naturalismus einen Filter für Sinn und Unsinn. Er erhebt infolgedessen die empirisch arbeitenden Naturwissenschaften zum Paradigma wissenschaftlicher Tätigkeit überhaupt. Im Ergebnis entsteht ein Methodenmonopolismus, der jede Erfahrung, die nicht empirisch signifikant ist, abweist, so dass jede Aussage, mit der auf Entitäten nichtempirischer Realerkenntnis referenziert wird, a priori als unerheblich gekennzeichnet wird. Die Frage, die sich aufdrängt, lautet: Was berechtigt den Naturalisten zu einer Diskursregel, die den Begriff der Wissenschaft derart verkürzt? Wissenschaftliche Wahrheit über Aussagen, also sprachanalytisch zu bestimmen, zugleich aber bestimmte Positionen methodisch von der Kommunikation auszuschließen, beschränkt den Wahrheitsbegriff unzulässig, mehr noch: eine solche Filterung hemmt die Suche nach Wahrheit. Zur Wahrheit führt nur ein Dialog, der keine Form menschlicher Selbstvergewisserung und Daseinsorientierung von vorne herein ausschließt, denn - so Jürgen Habermas - "naturalistische Weltbilder genießen keineswegs prima facie Vorrang vor religiösen Auffassungen".

Es stellt sich zudem die Frage, ob dies nicht eine zirkuläre, selbstwidersprüchliche Definition von Relevanz ist, die der Naturalismus anbietet, weil die Aussage, die die Relevanz festschreibt, am Maß der Definition gemessen, selbst irrelevant ist, denn die Forderung, wissenschaftliche Relevanz setze empirische Signifikanz voraus, ist als normative Aussage gerade keine Aussage, die mit der naturalistischen Methode, sprich: empirisch, beweisbar wäre. Nur deskriptive Aussagen sind empirisch beweisbar, normative Aussagen enthalten Wertungen, also Werte, die, im Verständnis der Naturalisten, kein Teil der empirisch signifikanten Wirklichkeit sind. Sie, die entsprechenden normativen Aussagen, sind also irrelevant. Am Anfang - gewissermaßen bei der Errichtung des naturalistischen Filters - steht also eine Aussage, die selbst den Filter nicht passieren könnte.

Verstöße gegen das eigene empiristische Prinzip ziehen sich auch durch die im Geiste des Naturalismus gewonnene Evolutionstheorie, was weniger an einer unsauberen Anwendung der Methodik, sondern mehr an den zu hohen Ansprüchen an selbige liegt, was deren Erklärungsfähigkeit betrifft. Makroevolution ist beispielsweise nicht empirisch nachgewiesen, wie sollte dies auch gehen, handelt es sich doch um die Interpretation von Naturgeschichte. Insoweit scheint die Mahnung Owen Gingerichs angemessen, der betont, "wie vorsichtig wir sein müssen, wenn wir etwas über makroevolutionäre Veränderungen sagen und wie sie auftreten können oder nicht". Denn die Zugangsmöglichkeiten zur Naturgeschichte umfassen eben nicht allein empirische Vorgehensweisen, sondern immer das Zusammenspiel von synthetisch-induktiven, probabilistisch-stochastischen und analytisch-deduktiven Schritten, der Zugang zur Naturgeschichte ist - wie der zur Geschichte allgemein - ein hermeneutisch-verstehender. Wenn aus der Naturgeschichte dennoch eindeutige Prognosen für naturwissenschaftliche Erklärungen gewonnen werden sollen, die keine Alternative zulassen, werden die eigenen Ansprüche an wissenschaftliche Relevanz gelockert, ohne damit eine prinzipielle Methodenvielfalt oder zumindest die Möglichkeit alternativer Ansätze einzugestehen - ein höchst unlauteres Vorgehen. Doch anders geht es auch nicht: Würde man sich auf das empirische Prinzip beschränken und den Königsweg des Naturalismus zuende gehen, käme man nicht weit, etwa bei der Aufstellung von Hypothesen zur Makroevolution. Zudem müsste - wie bei jeder anderen Methode auch - verhindert werden, dass die Erwartungshaltung die Deutung in eine bestimmte Richtung drängt. Wenn Evolution das heuristische Grundkonzept ist und Empirismus die Methode, fällt es schwer, Fossilienfunde, die für Evolution sprechen, anders zu interpretieren, obgleich damit Theorie und Befund, also Aussagen, die aus dem Beobachtungssatz abgeleitet werden und der Beobachtungssatz selber, einander wechselseitig bedingen, so dass am Ende umgekehrt der Beobachtungssatz von der zur Theorie passenden Aussage abgeleitet zu werden droht, die Beobachtung also ausschließlich im Lichte der Theorie erfolgt.

Reinhard Löw hält aufgrund dieses Problems insbesondere die Deutung so genannter "missing links" wie des "Urvogels Archäopterix, der in Wirklichkeit ein echtes Reptil war", für präjudiziert, obwohl (oder besser: weil) die Evolution im Sinne der "Auseinanderentwicklung der Arten" eine "vernünftige Hypothese" darstelle. Bei "missing links" handele es sich, so Löw mit bezug auf Joachim Illies, um "logisch erschlossene Schreibtischarten", die nicht ins methodologische Schema ausschließlich empirisch-induktiver Forschung passen, weil für ihre Interpretation theoretische Annahmen gebraucht werden, die es zugleich zu bestätigen gilt.

Evolution ist gewissermaßen "zu vernünftig", um sich in ihrer Rekonstruktion allzu lange mit der Frage zu beschäftigen, ob denn die Befunde und Beobachtungen auch anders deutbar sein könnten. Diese von "Duhem bis Feyerabend" angesprochene "Theoriebeladenheit der Fakten" verkompliziert nicht nur die wissenschaftstheoretischen Bedingungen selbst rein deskriptiv arbeitender und empirisch-induktiv voranschreitender Forschung, sondern bringt diese mit ihrer Zirkelstruktur zudem in einen unvermeidlichen Selbstwiderspruch im Hinblick auf die methodologischen Prämissen, denn schließlich verrät der Naturalismus entweder die Dignität der empirischen Methode oder überschätzt deren Leistungsfähigkeit - er wird in jedem Fall Opfer des methodischen Monopolismus, den er selbst proklamiert.

Die Kritik am Naturalismus erfolgt aber vor allem vor dem Hintergrund dessen, dass er sich zum allgemeinen und hinreichenden Weltdeutungsmittel aufspreizt und damit die Unterscheidung von Finalität und Kausalität obsolet zu machen glaubt beziehungsweise dazu auffordert, sich mit der Kausalität zu begnügen, da es so etwas wie Finalität nicht gebe. Dies ist als unzulässige Weiterung des naturwissenschaftlichen Deutungsraums zu kritisieren, in dem letztlich jedes Gottesbild nicht nur unnötig, sondern auch unsinnig erscheint. Dazu Gingerich: "Einige der geistreichsten Verteidiger der Evolutionstheorie, wie Richard Dawkins, nutzen ihr Ansehen als wissenschaftliche Wortführer und werben ungehemmt für den Atheismus". Die Auffassung, die Leugnung Gottes sei gewissermaßen als Abfallprodukt der evolutionsbiologischen Forschung durch eben diese gerechtfertigt, ist aber unbegründet, weil sie den Aussagerahmen der Wissenschaft überschreitet, denn der methodische Naturalismus wird zu einem ontologischen Naturalismus aufgebläht, der nur mehr eine materialistische Seinsauffassung sinnvoll, ja überhaupt nur möglich erscheinen lässt.

Der Naturalismus führt in seiner ontologischen Spielart zu weitreichenden Folgen, die nicht nur den Ursprungs-, Entstehungs- und Entwicklungsdiskurs betreffen. Vom ontologischen Naturalismus geht ein direkter Weg zum naturalistischen Fehlschluss in der Ethik, wie Eberhard Schockenhoff zeigt: "Dem epistemologischen Vorwurf eines naturalistischen Fehlschlusses liegt der ontologische Irrtum einer naturalistischen Weltdeutung zugrunde, die einen Ausschnitt der Wirklichkeit, nämlich die empirischer Betrachtung zugängliche Welt der nackten Tatsachen für das Ganze hielt. Nur unter der Prämisse eines wertfreien, sinnleeren Seinsverständnisses, das Seiendes nicht als Träger von Bedeutungen, sondern nur als bloße Entitäten ohne objektiven Sinngehalt kennt, ist es plausibel, Wertannahmen auf die Projektion subjektiver Einstellungen zurückzuführen. Außerhalb dieser ontologischen Vorentscheidung, für die es keine guten philosophischen Gründe gibt, ist es dagegen durchaus vorstellbar, humane Güter und moralische Werte als Bestandteile unserer Welt und somit als etwas Reales anzusehen. Ein szientistischer Realitätsbegriff verkürzt dagegen die mehrdimensionale Bedeutung des Wirklichen. Die Welt, in der wir leben, umfasst nicht nur den Bereich der empirischen Tatsachen, die wir aus einer Beobachterperspektive mit naturwissenschaftlichen Methoden erkennen, sondern auch die Sphäre von Gütern, Werten und Rechten, deren Notwendigkeit für die gedeihliche Entfaltung unseres Menschseins wir als Teilnehmer einer gemeinsamen Lebenspraxis erfassen." Denn: "Die Vorherrschaft eines szientistischen Rationalitätsbegriffes verleitet leicht dazu, Aussagen über erstrebenswerte Güter und Ziele, über die offenen Entwicklungsmöglichkeiten der Dinge und ein ideales Sein-Können des Menschen, die ein metaphysisches Verständnis der Welt erfordern, als unwissenschaftlich abzutun." Schockenhoff zitiert dazu John McDowell: "Wollte man den Status dieser Weltsichten mit der Begründung anzweifeln, sie seien nicht wissenschaftlich, so entspränge das keiner wissenschaftlichen, sondern einer szientistischen Motivation."

Schockenhoff nimmt diesen Gedanken auf und fährt fort: "Sollen Fragen der praktischen Lebensorientierung nur dann als rational entscheidbar gelten, wenn sie nach dem Methodenideal empirischer Naturerkenntnis beantwortet werden können, so liefe eine solche Forderung auf einen Kategorienfehler hinaus: Sie verwechselt die epistemologischen Voraussetzungen, die der jeweiligen Wirklichkeitssphäre angemessen sind und begeht dadurch den logischen Fehlschluss, der schon mehrfach als Irrtum einer naturalistischen Weltanschauung herausgestellt wurde". Die Ursprungsfrage, die Frage, ob unsere Welt Zufall oder Sinn durchwaltet, ob es einen Schöpfer gibt, diese Frage gehört zweifelsohne in den Bereich der "praktischen Lebensorientierung", in dem sich der Naturalismus zu Unrecht als alternativlos darstellt. Im Gegenteil: Der Naturalismus ist eine Weltanschauung. Und mit der kann man falsch liegen, auch wenn die empirische Forschung im Rahmen ihrer speziellen techné gute Ergebnisse liefert.

4. Fazit

Zum Schluss ein kurzes Fazit mit Owen Gingerich, Astronom und Wissenschaftshistoriker am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, der mit "Gottes Universum. Nachdenken über offene Fragen" Ordnung in die zerfahrene Debatte um Evolution und Schöpfung gebracht hat (siehe literaturkritik.de 10/2008).

Gingerich deutet an, dass beim Zugang zur Ursprungsfrage die scheinbar grundverschiedenen Paradigmata "Evolution" und "Schöpfung" keine klare Abgrenzung bedeuten, denn die unterstellte Dichotomie von "Schaffen" und "Entwickeln" existiert nicht. Auch das Entwickelte beziehungsweise sich Entwickelnde kann geschaffen worden sein, auch das Geschaffene kann so geschaffen sein, dass es sich erst durch seine Entwicklung zum eigentlichen Zweck entfaltet. Gingerich betont außerdem: "Evolution als eine materialistische Philosophie ist Ideologie, und sie als solche darzustellen erhebt sie in den Rang einer Zielursache. Evolutionisten, die die kosmische Teleologie ablehnen, auf ein kosmisches Roulette vertrauen und für die Zweckfreiheit des Universums eintreten, äußern keine wissenschaftlich fundierten Tatsachen; sie vertreten ihre persönliche metaphysische Meinung", von der Gingerich der Ansicht ist, sie sei unbegründet. Über die Begründetheit dieser Meinung kann man sich sicherlich streiten, nicht aber, dass es sich tatsächlich um eine Meinung handelt, die außerhalb des naturwissenschaftlichen Diskurses steht.

Die Frage nach der Schöpfung bleibt wissenschaftstheoretisch betrachtet berechtigterweise offen. Die Grenze des Evolutionsparadigmas ist der Aussagerahmen der naturwissenschaftlichen Methode. Jedem Evolutionstheoretiker, der jenseits der Formulierung von Hypothesen als Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung des Lebens letztgültig Auskunft über dessen Entstehung geben zu können glaubt, ist mit großer Skepsis zu begegnen. Wissenschaft - und die Debatte um Evolution ist hierbei nur ein exponiertes Beispiel - darf nicht ins Gewand des Szientismus' gekleidet werden, wenn sie weltanschaulich soweit "neutral" bleiben soll, wie es ihr gebührt.

Literaturhinweise:

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