E-Mails und Irrlichter

Stefan Beuses Debütroman "Kometen"

Von Thomas KraftRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kraft

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Geschichte voller Koinzidenzen birgt meist einen festen Bauplan in sich. Daß die Vollkommenheit eines Textes in seiner scheinbaren Absichtslosigkeit liegen kann, ist vielfach belegt. Wenn eine Handlung außer Kontrolle zu geraten droht, Gründe und Ursachen unklar sind und sich die Dinge, die aus ihnen folgen, verselbständigen und trotzdem die Ahnung eines dunklen Zusammenhangs vermitteln, dann kann ein hochdramatisches Spiel der Vermutungen und schicksalshaften Verkettungen entstehen. Schließlich zählen die Fragen nach Ursprung und Zukunft zum Kern unserer Existenz.

In Stefan Beuses erstem Roman "Kometen" bringt "eine dämliche E-Mail" die Lawine ins Rollen. Mit einem elektronischen Brief erreicht man zwar den hintersten Winkel der Erde, ob man dort aber auch verstanden wird, ist fraglich. Auch in den Chatrooms des digitalen Netzes, das Beuses Figuren eifrig benutzen, besteht die Vorstellung einer globalen und anonymen Kommunikation, die sich aber bald als Illusion entpuppt. Einige Hollywood-Komödien spielen mit diesem Thema. In Beuses Roman trifft ein allmählich blind werdender Fotograf einen amerikanischen Naturfreund, der ihn in den Wald lockt. Ein japanischer Junge besteigt einen Berg und entdeckt einen Kometen. Einige deutsche Paare beziehen Wohnungen und haben Affairen. Der Chef eines Unternehmensberaters verabredet sich per Internet zu einem Black Date und begeht einen Mord. Der Unternehmensberater hat ein Diktaphon und zeichnet darauf eine Melodie auf, die sein Leben verändert. Der Fotograf schreibt Tagebücher und verliert eine Hand. Ein Mädchen schickt eine E-Mail an amerikanische Anthropologiestudenten und fragt, ob es Grillen in ihren Stahlspinden gibt. Diese Studenten wiederum fahren in einen Wald und entdecken in einer Hütte einen toten Mann und seine Notizen. Dann gibt es noch einen einsamen Förster, eine Katze namens Penny Lane, eine abgehackte Hand, die unter einem Baumstumpf liegt, und einen Großvater, der an Alzheimer leidet. Daraus entsteht eine komplexe Geschichte, die von "anderen Welten" raunt und sich an der Metapher vom Kometen abarbeitet. Denn diese seien Unglückssterne, "in denen die ursprünglichen Bedingungen unserer Existenz exakt konserviert" seien. Trügerische Wahrnehmung, Schöpfungsplan, Identitätsprobleme und das Spiel von Vorsehung und Bestimmung prägen diese verzwickte Geschichte vom "communication breakdown".

Das Irrlichtern zwischen den Menschen deutet Beuse in seinem kleinteiligen Roman, dessen Bestandteile erst isoliert und dann zunehmend ineinander verzahnt erscheinen, ebenso an, wie die Überzeugung, dass sich hinter all den kleinen Geschichten die eine große Geschichte verbirgt. Das hat Charme und Methode zugleich. Wie das aber bei einem Puzzlespiel oft so ist, gibt es am Ende ein paar Lücken, und die Teile, die man in der Hand hält, fügen sich nicht so nahtlos ein, wie das mancher gern hätte. Auch das ist hier kein Zufall, der Leichtigkeit des Absichtslosen begegnet man trotzdem nicht. Bei aller Wertschätzung des Handwerklichen, das diesen Roman auszeichnet: Was anfangs verwirrend schön und kurzbelichtet daher kommt, kann im Fortgang den "mastermind", der die Fäden des Konstrukts in der Hand zu halten sucht, nicht immer verbergen. Und einige Figuren sind uns inzwischen auch davongelaufen. Trotzdem kann man dieses Buch sehr mögen, denn es wagt einiges.

Titelbild

Stefan Beuse: Kometen.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000.
157 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3462028758

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