Meister der leeren Versprechung

Christine Eichels Roman über einen Heiratsschwindler

Von Thomas KraftRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kraft

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Anfang ein um Sachlichkeit bemühter Ton. Dann neugierige Fragen, erste Anzeichen von Verwunderung. Beide sehen sich nicht, Worte springen hin und her, Duftspuren. Sie spricht ihm ihre Anerkennung aus - "tolle Geschichte" -, er macht ihr Komplimente, bringt sie zum Lachen, fordert sie mit Anzüglichkeiten heraus. Aus einem Flirt entsteht ein Fluchtplan.

"Für eine Viertelstunde Glück". Eine amour fou, eine Ahnung von sexueller Hörigkeit, dann - unerwartet - Offenbarung, Rollentausch, Erpressung: "Ich bin auf der anderen Seite des Spiels, zum ersten Mal. Und ich weiß nicht, ob ICH es überlebe."

Der das sagt, ist ein Heiratsschwindler und Mörder. Gutaussehend, intelligent, eitel. Und ein überaus begabter Pianist, der sein Talent in Hotelbars und Kurorchestern verschwendet. Besser: gezielt einsetzt, um wohlsituierte Frauen im "Unalter" durch Gunstbeweise um den Verstand, ihre Ersparnisse und ihr Leben zu bringen. Nun sitzt er im Gefängnis und wartet auf seinen Prozess. Das Gutachten einer Psychologin, mit der er sich täglich unterhält, wird dessen Ausgang entscheidend beeinflussen. Bislang hat dieser Liebhaber der Frauen mit seinem Faible für weiße Hemden, gute Manieren und Bargeld Leben gelenkt und (Un-)Glück gebracht: "Meine Profession beruht auf der skandalösen Flüchtigkeit irdischen Glücks."

Selbst in der Zelle umgarnt er seine Gesprächspartnerin mit netten Schwärmereien und Anekdoten und versucht, sie mit kleinen Provokationen aus der Fassung zu bringen. Er weiß um seine Wirkung und vergrößert unerbittlich den "Riß, die Sollbruchstelle", die seiner Erfahrung nach jede Frau in sich trägt. Doch seine Strategie, die auch hier von Erfolg gekrönt scheint, wendet sich im Verlauf dieser Beziehung gegen ihn. Aus dem Schritt in die Freiheit wird ein Showdown mit offenem Ausgang, Spuren verwischen.

Schon in "Gefecht in fünf Gängen" (1998), einer kulinarischen Satire auf die mafiosen Rituale des Literaturbetriebs, erwies sich die mittlerweile in Berlin lebende Christine Eichel als überaus scharfzüngige und gewitzte Beobachterin zwischenmenschlicher Delikatessen. Parallel zur Produktion eines Filmfeatures über die großen Hotelpianisten dieser Welten stand nun dieses erotische Kammerspiel voller Finessen und Zwischentöne. Man erfährt zum Beispiel, warum Männer Frauen nie Perlen schenken sollten, die Temperatur von Chopins "Nocturnes" und etwas über das veränderte Berufsbild des Heiratsschwindlers: "Wir waren die Meister der leeren Versprechungen, die Virtuosen des Tarnens und Täuschens. Heute bin ich mehr Dienstleister als Fallensteller. Einsamkeitsbegleiter. Depressionsbetreuer... Jemanden wie mich gibt es in zwanzig Jahren auf Krankenschein." In Zeiten sexueller Vulgarisierung erscheint der elegante und stilbewußte Galan trotz seiner niederen Absichten wie ein Fossil aus alter Zeit, das wieder in Mode kommen könnte. Wer so geistreich und unterhaltsam zu erzählen weiß, dem verzeiht man gerne jeden "Schwindel"; nein, man bedankt sich noch dafür.

Titelbild

Christine Eichel: Schwindel.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000.
207 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3462028820

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch