Texte, Thesen, Theoreme

Ute Gerhard, Petra Pommerenke und Ulla Wischermann machen feministische Grundlagentexte aus den Jahren 1789-1919 zugänglich

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Titel 'Klassikerinnen feministischer Theorie' ist anspruchsvoll gewählt", bekennen die Herausgeberinnen des gleichnamigen Dokumentenbandes Ute Gerhard, Petra Pommerenke und Ulla Wischermann. Tatsächlich wird der Inhalt dem Titel nicht ganz gerecht. Dies liegt zum einen daran, dass nicht alle vertretenen Autorinnen Klassikerinnen des Feminismus sind, wie auch daran, dass keineswegs ausschließlich theoretische Texte aufgenommen wurden.

Bei der Auswahl der feministischen "Grundlagentexte" aus den Jahren 1789 bis 1919 orientierten sich die Herausgeberinnen an "der Bedeutung der Autorin, auch für spätere feministische Debatten um Gleichberechtigung und Emanzipation", wobei offenbar weniger deren theoretische Originalität als vielmehr ihre faktische Wirkungsmächtigkeit berücksichtigt wurde. Jedem aufgenommenen Quellentext wurde eine kurze Einführung vorangestellt, die alle dem gleichen sinnvollen Schema folgen. Nach einem kleinen biografischen Abriss der Verfasserin wird der Text kurz vorgestellt, wobei sowohl der historische Kontext seiner Entstehung wie auch seine Bedeutung für die Frauenbewegung erläutert werden. Die anschließenden "Angaben zur Rezeption und Wirkung berücksichtigen sowohl Traditionsbildung als auch Zäsuren oder Geschichtsverlust". Abschließende Bibliografien weisen auf weitere Texte der jeweiligen Autorin und relevante Sekundärliteratur hin.

Diese einleitenden Texte zu den Dokumenten sind konzis, informativ und in aller Regel verlässlich. Dass Clara Zetkin 1911 den jährlich am 8. März begangenen Internationalen Frauentag "ins Leben gerufen" habe, ist allerdings nur eine von mehreren Varianten seiner Entstehung. Auch ist überhaupt zweifelhaft, ob Zetkins Aufnahme in einen Band mit Texten von Klassikern der feministischen Theorie zu recht erfolgte. Mit Ulla Wischermanns Charakterisierung als "führende Frauenrechtlerin in der kommunistischen Weltbewegung" dürfte sie jedenfalls kaum einverstanden gewesen sein, weist Wischermann doch selbst darauf hin, dass Zetkin nicht nur auf dem "Vorrang der Klassen- vor der Geschlechterfrage" bestand, sondern zudem für eine "reinliche Scheidung" zwischen ArbeiterInnen- und Frauenbewegung eintrat. Ebenfalls nicht ganz nachvollziehbar ist, dass die immerhin als "Anti-Feministin" gekennzeichnete Schwedin Ellen Key mit Auszügen aus ihrem Text "Missbrauchte Frauenkraft" vertreten ist. Ute Gerhards Begründung, dass er "für Feministinnen" noch immer "provokant und problematisch" sei, vermag da nicht zu überzeugen.

Die meisten Texte haben es allerdings durchaus verdient, in den Band aufgenommen zu werden, handelt es sich doch um zentrale Publikationen tatsächlicher Klassikerinnen der feministischen Theorie, von Olympe de Gouges über Mary Wollstonecraft, Luise Otto, Anita Augspurg und Helene Lange bis hin zu Marianne Weber. Nicht zu vergessen Hedwig Dohm. Offenbar konnte Isabel Rohners erst jüngst erschienen Dissertation über diese brillante Feministin allerdings nicht mehr in die Literaturhinweise aufgenommen werden. Das ist umso bedauerlicher, als Rohners Arbeit die gesamte bisherige Sekundärliteratur ohne weiteres in den Schatten stellt.

Ebenfalls bedauerlich ist, dass man Dokumente der Klassikerinnen Grete Meisel-Hess, deren Sexual- und Geschlechtertheorien zu Beginn des 20. Jahrhunderts Furore machten, die US-amerikanische Abolitionistin Josefine Butler und die ökonomischen Theorien Olive Schreiners vergeblich sucht. Auch Helene von Druskowitz' Ausführungen über "de[n] Mann als logische und Sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt" wären wohl des Abdrucks wert gewesen. Deren pessimistisch-männerfeindliche Texte sind zwar mangels Resonanz kaum zu den Klassikern zu rechnen. Doch immerhin war sie eine der originellsten feministischen Denkerinnen um 1900. Sich auf wirkungsmächtige Texte zu beschränken, marginalisiert ohnehin schon marginalisierte Feministinnen wie Schreiners oder Druskowitz ein weiteres Mal.

Andererseits enthält der Band allerdings wahre Schätze. Dass Dohm vertreten ist, wurde bereits erwähnt. Des weiteren wäre die österreichische Radikalfeministin Rosa Mayreder zu nennen. Ebenso wie die "Declaration of sentiments" auf der "Seneca Falls Convention" von 1848 oder Elizabeth Cady Stantons "Woman's Bible".

Glaubt man den Herausgeberinnen, so leistet das vorliegende "Lese- und Arbeitsbuch" vieles: Es bietet einen "Einstieg in die Beschäftigung mit einzelnen Themen, Zeiträumen oder Personen", ist geeignet, "sich einen Überblick zu verschaffen und Zusammenhänge herzustellen", und es lädt nicht zuletzt zum "Schmökern, Querlesen und Nachschlagen" ein. Und das Schöne ist, dass dies keineswegs zu viel versprochen ist. Das Buch leistet sogar noch mehr, es gibt eine Ahnung davon, dass der Kampf der Ersten Frauenbewegung tatsächlich so "herrlich" war, wie sich Lida Gustava Heymann in ihren Memoiren an ihn erinnert. All dies bündelt sich zum Besten, was über ein solches Buch zu sagen ist: Es regt dazu an, sich intensiver mit den Texten, Thesen und Theoremen der feministischen Klassikerinnen um 1900 zu befassen. Natürlich darf ein solcher Band ungeachtet der angesprochenen kleineren und vielleicht manchmal auch etwas größeren Mängel in keiner feministischen Bibliothek fehlen, sei sie öffentlich oder privat. Das erfreulichste aber ist, dass zwei weitere Bände folgen sollen, die den Zeitraum von 1920 bis zur Gegenwart abdecken werden.


Titelbild

Ute Gerhard / Ulla Wischermann (Hg.): Klassikerinnen feministischer Theorie. Grundlagentexte Band 1 (1789-1919).
Ulrike Helmer Verlag, Königstein im Taunus 2007.
417 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783897412422

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