Hurenkind

Bertolt Brecht würde sich über Natsuo Kirinos Roman "Teufelskind" freuen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bertolt Brecht habe ihr bei einem Gespräch in Augsburg empfohlen, erinnerte sich später Marieluise Fleißer, aus ihrem Bericht von einer Pionierübung in Ingolstadt ein Stück zu machen. Das Stück selber müsse gar keine Handlung haben, habe Brecht gemeint, "es muß zusammengebastelt sein, wie gewisse Autos, die man in Paris herumfahren sieht, Autos im Eigenbau aus Teilen, die sich der Bastler zufällig zusammenholen konnte, es fahrt halt, es fahrt!"

Ob Fleißers Erinnerung zuverlässig ist, wird gelegentlich bezweifelt. Dass eine solche Empfehlung zu Brecht und seiner Auffassung eines guten Stück Literaturs passt, ist hingegen kaum zu bezweifeln. Es sind nicht die gut gefügten, sondern die holprigen Texte, die Widerstand leisten und jeder Überlegung Raum geben, die besonders hervorzuheben ist.

Natsuo Kirino scheint eine gute Schülerin des Altmeisters Brecht zu sein, wenn man ihren neuen Roman "Teufelskind" heranzieht. Der Plot ist relativ knapp erzählt: Ein kleines Mädchen mit Namen Aiko wächst unter den Frauen eines Bordells heran, ohne zu wissen, wer seine Mutter ist. Hässlich, herumgestoßen und nur geduldet, ist es früh auf sich allein gestellt. Als das Bordell aufgelöst wird, kommt Aiko - nach kurzem Zwischenstopp bei einer Pflegefamilie - in ein Heim, wo sie groß wird.

Wir begegnen ihr Jahrzehnte später - sie ist mittlerweile in den Vierzigern -, als ihre alte Erzieherin und ihr Mann (gleichfalls ein ehemaliger Heimzögling) ihren Hochzeitstag eben in jenem Restaurant feiern, in dem Aiko, bedient. Am Ende des Kapitels ist das merkwürdige Ehepaar tot. Von Aiko umgebracht.

Es ist nicht das erste Mal, dass Aiko tötet, und nach und nach stellt sich heraus, dass sie bereits eine langjährige und höchst erfolgreiche Karriere als Meuchelmörderin absolviert hat. Sie erwürgt, vergiftet, verbrennt, sie tötet mit allem, was gerade zur Verfügung steht. Eine "femme fatale" von besonderer Fatalität.

Wir begleiten sie in Kirinos Buch nun auf den letzten Tagen ihrer irdischen Existenz, in der sie zu Beginn vor allem auf der Flucht ist, nach und nach jedoch kommt noch die Suche nach ihrer Identität, mit anderen Worten, nach ihrer Mutter hinzu. (Dass der Vater nicht interessiert, wundert wenig, da sie offensichtlich Tochter einer der Prostituierten ist, und wer weiß da schon? Auch das ein Muster, mit dem Kirino spielt). Die Geschichte der jungen Mörderin wird zur Identitätssuche, die freilich - wie abzusehen - ein böses Ende hat.

Kirino lässt ihre verhängnisvolle, hässliche und auffallend dumme Heldin eine Reihe von Stationen passieren, die nur bedingt logisch aufgereiht sind. Zwar sind sie nicht zuletzt biografisch motiviert - Aiko trifft also immer wieder auf Gestalten ihrer Vergangenheit. Aber sie fügt sie - und hier kommt der Aspekt "Holprigkeit" hinzu - nur roh zusammen, so dass die Handlungskurve gebrochen wird. Diesen Effekt erzielt sie, indem sie die Episoden nicht nur aus der Perspektive Aikos schildert, sondern - wie zu Beginn - ihre Opfer- und Stationengeschichten in den Vordergrund stellt. Aiko kommt in diesen Fällen zu ihrem nächsten Opfer und damit zu ihrer nächsten Station wie durch Zufall, was den Ausgang allerdings nicht weiter verändert.

Dabei bleibt Aiko bemerkenswert kühl und verhalten, trotz ihrer mangelnden intellektuellen Kompetenzen. Sie wirkt bei ihren Taten, selbst bei denen, die sie im Affekt oder aus Wut begeht, immer zurückhaltend und unberührt. Damit fällt irgendein Pathos bei ihren Morden nahezu selbstverständlich weg. Aiko tötet, weil sie tötet, mit anderen Worten: Etwas anderes hat sie offenbar nicht gelernt.

Eine solche Biografie hat naheliegend eine hohe Attraktivität - allerdings steht die Gestaltung dem Text dann doch im Wege. Dabei sind es weniger die harten Schnitte und Übergänge, die die Lektüre behindern, sondern es ist vor allem die Sprache selbst. Und hierbei bleibt offen, ob es sich um einen Mangel handelt, der der Übersetzung angelastet werden muss, oder um eine gezielte Leserprovokation. Der Text ist jedenfalls in weiten Passagen unbeholfen und holprig, nicht weniger als seine Konstruktion. Er tapert nicht weniger hilflos durch das Geschehen als die böse Heldin, die ihrem Ende entgegen stolpert. Gelegentlich klingt das Ganze "irgendwie" japanisch - was auf das Übersetzungsproblem verweist respektive darauf, dass nicht klar ist, ob die Übersetzung sich am Ursprungstext oder an der Zielsprache orientiert. Das Lesevergnügen hält sich deshalb in Grenzen, selbst wenn Vergnügen angesichts der Rohheit der Protagonistin eine wenig angemessene Haltung zu sein scheint. Damit aber verstößt Kirino gegen eine andere Regel des Altmeisters Brecht, dass nämlich die intellektuelle Erkenntnis des Lesers immer auch mit Vergnügen verbunden sein soll. Um das hinzubekommen, darf man experimentieren, und in diesem Sinne mag man Kirino nicht gram sein. Auch wenn die Sache mit der vergeudeten Lebenszeit dabei nicht ganz außen vor bleiben sollte.


Titelbild

Natsuo Kirino: Teufelskind. Roman.
Übersetzt aus dem Japanischen von Frank Rövekamp.
Goldmann Verlag, München 2008.
224 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783442311651

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