"Alles was gut ist, ist flüchtig"

Die Isländerin Steinunn Sigurdardóttir erzählt in ihrem Roman "Sonnenscheinpferd" von Kindheitstraumata und Liebesglück

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Sonnenscheinpferd ist Lilla wahrlich nicht, weiß Halla im Milchgeschäft. Allzu oft musste die Verkäuferin in Krisensituationen für ihre unauffindbaren Eltern, beide Ärzte, einspringen. Besonders die Mutter Ragnhild, eine begnadete Kinderärztin, die sich wie keine andere auf Diagnostik verstand, war gegenüber den Belangen der eigenen Kinder "schwerhörig". An Tagen, an denen sie den Tod eines ihrer kleinen Patienten verkraften musste, verlor sie das Gehör sogar komplett. Nicht einmal Harald, ihrem Mann, gelang es, von ihr noch verstanden zu werden.

Die Kinder lernen früh, mit der Abwesenheit der Eltern umzugehen. Der Dachboden, einhundertzwanzig Quadratmeter wohlige Wärme, wird zu ihrem Spielplatz. Dort spielen sie ihre makabren Spiele wie das "Hinrichtungs-Spiel" oder das "Arztgespenst-Spiel", bei dem auf einer Arztliege aus dem Zweiten Weltkrieg, mit verrosteten Instrumenten und einer an einem langen Kabel hängenden Arbeitsleuchte, die sie Hund nennen, "riskante Herzoperationen" durchgeführt werden: "Soll ich dir dein Mistherz rausschneiden, du armes kleines Luder? / Was kommt stattdessen rein? / Gesäuerte Blutwurst im Herzbeutel. / Na gut."

Vieles in diesem schmalen Buch erinnert an Barbara Frischmuths "Amoralische Kinderklapper". Auch dort demontieren Kinder mit einer vom ausgeprägten Realitätssinn zeugenden Phantasie die Welt der Erwachsenen, beißen wortwörtlich ins Gras oder lassen die Aufsichtsperson über eine Klinge springen, wenn die Rede auf den Tod kommt.

Der Tod ist auch in diesem Roman allgegenwärtig. Steinunn Sigurdardóttir, die von ihrer Begabung her eher Lyrikerin ist, erzählt in einer bilderreichen poetischen Sprache von ihm, der gar nicht poetisch ist. Von Kindern, die Angst vor Beruhigungsspritzen haben, denn sie könnten von ihren Eltern eingeschläfert werden. Vom Selbstmord der stadtbekannten Säuferin Nelli, einer der wenigen Bezugspersonen der gefühlskalten Jahre, die das kleine Mädchen eines Tages erhängt in ihrem Schuppen vorfindet. Es sind allesamt prägende Kindheitstraumata, die, kaum, dass man der "zähschimmeligen Kindheitshülse" entschlüpft ist und das Glück der ersten Liebe gekostet hat, lang ersehnte menschliche Bindungen zerstören. Das unerwartete Wiedersehen mit dem Liebsten nach fünfundzwanzig Jahren - der eigentliche Grund, über die quälende Vergangenheit nachzudenken - ist daher mit allzu großen Hoffnungen verbunden. Doch das Leben weiß auch dieses Beisammensein zu verhindern.

Sigurdardóttir kennt keine leichtfüßigen Liebesgeschichten. Diese Erfahrung musste man schon mit ihren Romanen wie "Der Zeitdieb" (1997), "Herzort" (2003) oder "Die Liebe der Fische" (2007) machen. Sie zeichnet stattdessen mit viel Lebensweisheit und Humor die Qualen von Liebenden nach, die nicht zueinander finden. Freude und Trauer liegen nun mal auch in Island dicht beieinander.


Titelbild

Sigurdardottir: Sonnenscheinpferd. Roman.
Übersetzt aus dem Isländischen von Coletta Bürling.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008.
173 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783498063948

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