Schreiben zwischen den Welten

In Esmahan Aykols neuem Krimi "Scheidung auf Türkisch" setzt sich die sympathische Amateurdetektivin Kati Hirschel erneut über gesellschaftliche Konventionen und familiäre Zwänge hinweg

Von Luitgard KochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Luitgard Koch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Migration ist ein lateinisches Wort und verwandt mit Meatus - das heißt Bewegung, Veränderung", sagt Esmahan Aykol. "Wer emigriert, ändert sich und kann beide Kulturen als Außenseiter wahrnehmen und kritisieren." Die 39-jährige Autorin lebt abwechselnd in Berlin und Istanbul. Als genaue Beobachterin entwickelt die im türkischen Edirne Geborene einen sensiblen Gradmesser für Klischees und Vorurteile. Von dieser doppelten kulturellen Identität profitiert auch die eigenwillige Protagonistin ihrer Kriminalromane Kati Hirschel. Als Tochter eines jüdischen Emigranten und angesehenen Strafrechtlers, der vor den Nazis in die Türkei fliehen musste, und einer deutschen Mutter, jongliert die selbstbewusste, nicht mehr ganz junge Frau erfrischend respektlos mit Vorurteilen von beiden Seiten. Das macht auch im neuen Band "Scheidung auf Türkisch" den besonderen Reiz ihres Krimis aus. Denn das eigentliche Thema der kenntnisreichen Schriftstellerin ist, neben dem Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft, die Migration.

Die ehemalige Journalistin, die während ihres Jurastudiums für verschiedene türkische Zeitungen und Radiosender arbeitete, recherchiert nach wie vor leidenschaftlich. Dazu passt, dass der Nachname ihrer Romanfigur Hirschel tatsächlich an den jüdischen Rechtswissenschaftler Ernst Hirsch erinnert. 1933 wurde er von den Nazis aus dem Amt geworfen und emigrierte, wie mancher jüdische Akademiker, in die Türkei. Die "Balkanroute", auf der sie in die Türkei flüchten konnten, beschreibt auch der Schriftsteller Bernd Engelmann in seinem luziden Buch "Bis alles in Scherben fällt".

Die amüsante Ich-Erzählerin betreibt Istanbuls einzige reine Krimibuchhandlung - und trug mit dem aus ihrer Lieblingslektüre bezogenen Wissen schon mehrmals dazu bei, schwierige Mordfälle aufzuklären. Couragiert setzt sie sich erneut über gesellschaftliche Konventionen und familiäre Zwänge hinweg, begibt sich mutig in zwielichtige Milieus und schreckt auch nicht davor zurück, sich mit den Behörden anzulegen. Beharrlich wie "Miss Marple" mischt sich die selbsternannte Amateurdetektivin immer wieder ein und lässt auch diesmal nicht locker: Die schöne Industriellengattin Sani ist kurz vor ihrer Scheidung tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Ein Unfall, so lautet die offizielle Version. Katis Neugier erwacht.

Kati Hirschel ist aufgrund ihrer selbstbewussten Unabhängigkeit längst zur gefeierten Identifikationsfigur der modernen Istanbulerin avanciert. Und sie ist über 40, weil, so die Autorin, "man den Türken klar machen muss, dass sich auch Frauen über 40 noch um ihr Aussehen Gedanken machen und Sex haben".

Die Idee für ihre neue Geschichte, die in der Istanbuler High Society spielt, lieferte Esmahan Aykol die Biografie der Ehefrau Mustafa Kemal Atatürk. Atatürk war vor ihr mit einer entfernten Verwandten zusammen, er heiratete dann aber Latife. Die entfernte Verwandte erfuhr von dieser Heirat erst ein Jahr, nachdem sie stattgefunden hatte. Daraufhin nahm sie sich das Leben - oder vielmehr ist es bis heute nicht ganz klar, ob sie sich selbst umbrachte oder aber Atatürks Vertraute sie ermordeten. Natürlich entwickelte sie den Stoff weiter. Als Spannungselement kamen die Restriktionen hinzu, denen insbesondere Frauen innerhalb der Familie ausgesetzt sind, vor allem bei Standes- und Klassenunterschieden.

"In einem Roman kann man Gesellschaftskritik sehr gut verstecken", verrät die eloquente Erzählerin, "besonders in meinem Genre, dem Krimi. Man macht es mit Leichtigkeit, mit Humor, und dann wird es nicht so ernst genommen". Das gelingt der ehemaligen Juristin geschickt. Denn Zensur ist in der Türkei noch immer ein Thema. Gekonnt fließen auch diesmal virulente politische Entwicklungen der Türkei in ihren Romanstoff ein. Da findet sich eine thrakische Untergrundorganisation, die sich politisch gewalttätig für die Autonomie der auf dem europäischen Kontinent liegenden Region einsetzt. Verwandte der toten Sani stammen aus ärmlichen Verhältnissen und leben in einem Flusstal. Dort verwandelte die dominierende Lederwarenproduktion mit ihren Chemikalien die Gegend in einen ökologischen Alptraum, vergiftete das Grundwasser und schädigte die Gesundheit der Bewohner massiv. Umweltsünden, die in vielen Teilen der industrialisierten Türkei keine Seltenheit sind.

Die Konflikte zeitgenössischer türkischer Politik jenseits von Islamismus und EU-Tauglichkeit, sind aber auch soziale. "Ich dachte, es wird nicht mehr gefoltert", sagt Kati zu dem Polizisten Batuhan. Diesen Witz kann die Schriftstellerin einbauen, weil tatsächlich nicht mehr gefoltert wird. Erst jetzt ist es möglich über die Weltstadt am Bosporus einen politisch korrekten Unterhaltungsroman zu schreiben, ohne dass es unangenehm eskapistisch wirkt. Auch darin zeigt sich der Wert ihres Buches. Schließlich zeichnet sich das Genre Krimi nicht zuletzt dadurch aus, dass es gesellschaftliche Tendenzen sehr schnell aufnehmen und zum Hintergrund eines Plots aufbauen kann. Damit wird es zu einem Medium, das rasch auf Veränderungen reagiert.

Gleichzeitig lernt der Leser über die forsche Kati und ihre täglichen Missgeschicke ein turbulentes Istanbul kennen, eine laute, stolze Metropole, die vor Energie strotzt, vom Verkehr verstopft nicht mehr atmen kann und obwohl sie sich zwischen Tradition und Moderne zu verlieren droht, unbekümmert in die Zukunft stürzt.

Das Land zwischen Orient und Okzident galt noch bis vor kurzem als "terra incognita", als unbekanntes Literaturterrain. Europäische Leser mussten es erst noch entdecken. Krimis wie diese, die ja inzwischen zur beliebtesten Literaturgattung zählen, beflügeln und machen die literarische Entdeckungsreise zwischen den Welten zum intelligenten Lesevergnügen.


Titelbild

Esmahan Aykol: Scheidung auf Türkisch. Ein Fall für Kati Hirschel.
Übersetzt aus dem Türkischen von Antje Bauer.
Diogenes Verlag, Zürich 2008.
324 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783257066777

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch