Ein umstrittenes Genre zeigt sich von der besten Seite

Drei neue Biografien zu Literaten des 20. Jahrhunderts

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Leben und Werk" - die Gegenstandsbeschreibung der aktuellen Studien über die Autorin Oda Schaefer und die Autoren Kasimir Edschmid sowie Hans Lipinsky-Gottersdorf erfordert eine Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen des Genres "Biographie". Mit dem Terminus "Leben" öffnen sich nämlich die "methodischen Schleusen" in der germanistischen Literaturwissenschaft. Es entsteht schnell der Verdacht, dass unreflektiert der "biographischen Mode" gefolgt werde: Ergebnis sei eine literarisierende Dichterbiografie narrativer Provenienz. Häufig wird diese als eine vor- oder gar unwissenschaftliche kulturelle Praxis bewertet, da sie eine "letzte Auffangstellung des deutschen Historismus" (Jürgen Oelkers) verkörpere, indem eher einer Heroisierung respektive Mythisierung des untersuchten Subjekts als einer reflektierten und objektivierten Betrachtung Vorschub geleistet werde. Dabei verkörpere die Biografie eine Form "neubürgerlicher Literatur" (Siegfried Kracauer), die Gegenwartsflucht inmitten einer unfasslich bedrohlich wirkenden, orientierungslosen Welt mit dem frühneuzeitlichen Irrglauben an die Vollzugsgewalt des Individuums kombiniere.

Bereits Monika Bächers Studie über Oda Schaefer, Jahrgang 1900, Geburtsort Berlin, widerlegt eindrucksvoll diese Vorbehalte gegen die biografische Methode. In ihrer umfangreichen Arbeit, die 2005 an der Münchner LMU als Dissertation angenommen wurde, behandelt sie in klar gegliederter und reflektierter Weise Leben und Werk jener Schriftstellerin, der das Attribut "bekannteste Unbekannte in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts" anhaftet. Nach der Kindheit in Ostpreußen, der Grafik- und Kunstgewerbe-Ausbildung in Berlin und Ehen mit dem Maler Albert Schaefer-Ast sowie dem Dichter Horst Lange entwickelte Oda Schaefer als Lyrikerin in den späten 1920-Jahren ihren eigenen Stil. Auf der Basis eines genuinen schlesischen Landschaftserlebnisses gestaltete sie rhythmisch ein wiederkehrendes Leitmotiv: der Tod als Verwandlung, interpretiert als die Wiederkehr des Lebendigen. Dabei suchte und fand Schaefer zeitlebens andere Autorinnen und Autoren, die sich ihrer Deutung der Naturlyrik verpflichtet fühlten. Zu nennen wären exemplarisch Elisabeth Langgässer, Peter Huchel, Karl Krolow und Günter Eich, deren Schriftwechsel mit Schaefer in diversen Nachlässen erhalten sind.

Nach zahlreichen Problemen mit Abgrenzungsversuchen zum respektive im sogenannten "Dritten Reich" publizierte Schaefer in den Jahren 1946 bis 1988 - ihrem Todesjahr - Lyrik, Erzählungen und Feuilletonbeiträge sowie Bücher mit autobiografischer Prosa.

Vielfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet, galt sie zu Lebzeiten als feste Größe im Literaturbetrieb der Bundesrepublik. Davon zeugen die Mitgliedschaft in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt sowie im PEN-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland.

Auch der Untertitel "Leben und Werk" des Buchs von Wojciech Kunicki über den in Oberschlesien geborenen Hans Lipinsky-Gottersdorf (1920-1991) benennt unmissverständlich den Akzent auf der Biografik. Daher problematisiert der in Breslau lehrende Germanist und Mediävist bereits in seinem "Vorbericht", inwiefern die biografische Methode opportun erscheint. Für sein Studienobjekt gelangt er apodiktisch zu dem Ergebnis, dass "das Werk so stark mit der existentiellen Erfahrungssphäre des Autors verbunden" sei, "dass man das Biographische geradezu als einen notwendigen Faktor auch im Prozess der literaturwissenschaftlichen Deutung berücksichtigen muss".

Wie Oda Schaefer war Hans Lipinsky-Gottersdorf im Kulturbetrieb vielfach engagiert. Der oberschlesische Schriftsteller wirkte als Mitbegründer der Deutschen Friedens-Union, des Bundesverbandes Deutscher Autoren und des Westdeutschen Autorenverbandes. Er erhielt zahlreiche kulturelle und literarische Auszeichnungen, die daher rührten, dass der bekennende "Wasserpolacke" ein zentrales Thema zyklisch in seinen Texten behandelte: Es ging ihm vorrangig um die Beschäftigung mit der Grenzland-Problematik im Osten Deutschlands beziehungsweise Europas und den damit aufgeworfenen Identitäts- und Mentalitätskonflikten. Die oberschlesische Heimat ließ ihn auch nach dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung nicht mehr los: Sein ganzes Werk reflektierte primär das oberschlesische Prosna-Preußen, dessen Geschichte er zu erzählen und in immer neuen Facetten auf die menschlichen Schicksale hin zu befragen versuchte.

Die Wahrnehmung von Literatur als tua res agitur ist auch das Proprium des häufig als Expressionisten deklarierten Kasimir Edschmid (1890-1966), der von Hermann Schlösser als Erzähler, Essayist, Reiseschriftsteller, Autorenverbandsfunktionär und Journalist ausführlich porträtiert wird. Bemerkenswerterweise scheint auch dieser Biograf unter Rechtfertigungszwang zu stehen. Bereits einleitend widerspricht der Wiener Kulturjournalist vehement dem Vorwurf, Biographik sei "Tratsch als Kunst" (Walter Klier). In gut lesbarer Diktion untersucht Schlösser zentrale Lebensabschnitte, gemäß chronologischer Abfolge periodisiert in "Winde aus wechselnden Richtungen" (1890-1921), "High Life" (1922-1932), "Die Kunst der Selbsterhaltung" (1933-1945) sowie "Ämter und Würden" (1945-1966). Es gelingt auf diese Weise, einer Gesamtdeutung der literarischen Produktion bei Betrachtung der Vita deutlich näher zu kommen, als dies einer rein werkimmanent orientierten Methode möglich gewesen wäre, so dass Kliers pejoratives Diktum als widerlegt gelten kann.

Als auffällige Parallele zu den Viten Schäfers und Lipinskys ergibt die genauere Musterung des Weiteren, dass Edschmid nicht nur literarisch auf die Entwicklung der Nachkriegsgesellschaft Einfluss zu nehmen versuchte. Als Generalsekretär des PEN-Club wollte er auch in der Kulturpolitik seinen Beitrag zu einem Wiederaufbau demokratischer Lebensordnungen leisten und musste dies mit zahlreichen (politischen) Anfeindungen und (persönlichen) Enttäuschungen büßen.

Zusammenfassend gilt es festzuhalten, dass der zu konstatierende Dreiklang von Lebensbeschreibung, Werkanalyse und akribischer Bibliografie die drei Studien im besten Sinne des Wortes zu würdigen Vertretern der Biografik macht. Hinzu kommt die Deutungshoheit, die allen Bänden innewohnt, gelingt es doch imposant, die vielen biografischen Mosaiksteine zu einer Gesamtdeutung von Leben und Lebenswerk zusammen zu fügen. Insoweit wird dem Uranliegen des Genres vollends entsprochen - ob es nun ein neubürgerliches oder ein allgemein menschliches ist, sei dahin gestellt: neues Interesse an ungewöhnlichen Schriftstellerviten zu wecken und Lust auf lesenswerte Literatur zu erzeugen.


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Wojciech Kunicki: Hans Lipinsky-Gottersdorf. Leben und Werk.
Neisse Verlag, Dresden 2006.
362 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-10: 3934038654

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Monika Bächer: Oda Schaefer (1900-1988). Leben und Werk.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2006.
471 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-10: 3895285633

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Titelbild

Hermann Schlösser (Hg.): Kasimir Edschmid (1890-1966).
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2007.
480 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783895286124

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