Puppenspieler

Jan Costin Wagners gelungenes finnisches Kammerspiel "Im Winter der Löwen"

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Kriminalromane, die laufen ab wie Uhrwerke. Einmal aufgedreht, folgt ein Teil der Handlung auf den anderen, immer mit großer Ruhe und Selbstverständlichkeit, so als ob das, was dort geschildert wird, so und nicht anders sein könnte. Dabei umgibt diese Krimis eine beinahe kontemplative Aura. Leser nehmen an dem Geschehen teil, sie beobachten und folgen dem, was geschieht, ohne dass sie große Überraschungen fürchten müssen. Das hat viel mit Folgerichtigkeit und Logik zu tun, allerdings ist die Konstruiertheit dieser Texte kaum zu übersehen. Sie wirken zurechtgelegt, dabei so ordentlich und kalkuliert, dass selbst für die Schattenseiten (unordentlich, dunkel, chaotisch) ein fester Platz eingeräumt wird.

Überraschung, Suspense, Irreführung - all das ist für solche Krimis auch überhaupt nicht relevant. Im Hintergrund dessen, was geschildert wird, steht ein klar erkennbares Beziehungsgefüge. Aufgabe der Ermittler ist es nur noch, diese Struktur mit Leben und Inhalt zu füllen, den Beteiligten Namen zu geben, das Motiv einzugrenzen, die Lösungsschritte abzugehen. Essenz und Akzidenz stehen beinahe unverbunden nebeneinander, so unverbunden, dass es kaum möglich scheint, solche Krimis als gelungen oder lesbar zu bezeichnen. Und doch sind sie es oft. Die kalkulierende und gestaltende Hand ist deutlich erkennbar, ihre Verschleierungsversuche sind eher formaler Natur.

Sie verstoßen damit gegen eines der zentralen Gesetze der formal überkodierten Genres, wie der Krimi eines ist: Grenzen und Regeln dürfen nicht erkennbar sein, sie dürfen aber auch nicht verletzt werden. Diese Texte sind alle gemacht, aber sie dürfen nicht wie gemacht wirken. Diese Grundregel wird hier ausgesetzt, aber trotzdem funktionieren diese Krimis.

Jan Costin Wagners "Im Winter des Löwen" ist ein solcher Kriminalroman. Gegenstand der Ermittlungen ist der Tod eines Gerichtsmediziners und eines Puppenmachers, die in der Show eines finnischen Talkmasters aufgetreten sind, der seinerseits beinahe einem Mordanschlag erliegt. Die Anschlagserie ist rätselhaft. Die Opfer verbindet nichts mehr als ihr gemeinsamer Auftritt im Fernsehen. Aber auch daraus lässt sich kein Motiv ableiten. Die Ermittlungen laufen also ins Leere. Nur einer der Ermittler, Kimmo Joentaa, nimmt eine Fährte auf, von der er selber nicht einmal sagen kann, wie sie aussieht und wohin sie führt.

Wagner bemüht also mit großer Selbstverständlichkeit so etwas wie den Instinkt des Ermittlers, der zwar beobachtet und zusammenführt, aber weder methodisch noch theoretisch reflektiert genug ist, um sich das, was er sieht, bewusst zu machen. Dennoch geht Joentaa genau den Weg, der ihn zum Ergebnis führt, das heißt zum Täter, und zwar mit großer Zielsicherheit. Das muss nicht groß irritieren, zumal es von Anfang an klar ist.

Unterfüttert wird diese merkwürdige Fähigkeit des Ermittlers durch sein nicht minder merkwürdiges Privatleben. In Trauer um seine Frau, ist Joentaa seit Jahren allein, bis eines Tages eine junge Frau vor dem Beamten steht und eine Anzeige wegen Vergewaltigung machen will.

Dazu kommt es zwar nicht, die junge Frau, die sich Larissa nennt, will ihren echten Namen nicht nennen, und sie gesteht ein, dass sie Prostituierte ist, ein Freier zu viel gewollt und sie ihm dafür die Nase gebrochen habe. Eine einigermaßen ausgewogene Bilanz, zumal wir nichts weiter erfahren. Aber die merkwürdige Begegnung hat Folgen: Denn Larissa ist und bleibt auf einmal in Joentaas Leben.

Sie schläft mit ihm und in seiner Wohnung, sie kocht, sie erzählt ihm Lügengeschichten, sie verschwindet plötzlich und taucht wieder auf und Joentaa beginnt, ihre Anwesenheit zu genießen und sie bei ihrer Abwesenheit zu vermissen.

Freaks sind Joentaa und Larissa je auf ihre Weise, und sich gegenseitig wohl Stütze. Das wird für Joentaa dann offensichtlich, als wir ihn aus der Perspektive des Talkmasters sehen, der einen großen, ungemein ruhigen und in sich ruhenden Mann wahrnimmt, der im Showdown die Situation mit großer Selbstverständlichkeit zu entschärfen und zu lösen weiß.

Ruhe, Selbstverständlichkeit - sie machen den Generaleindruck des Textes aus, den Jan Costim Wagner hier vorlegt. So kommt er ohne große Mätzchen, ohne Verfolgungsjagden und Schießereien aus. Dass er über weite Strecken die Binnensicht des Täters vorführt, wäre dabei möglicherweise nicht einmal notwendig gewesen. Der Nutzwert ist spätestens nach der zweiten Passage ausgereizt. Aber Wagner wollte auf diese Passagen anscheinend nicht verzichten, vielleicht weil sie die Multiperspektivität von Texten wie seinen anzeigen soll: Ihre Autoren verstehen nicht nur einen Kriminalroman zu schreiben, sie wissen auch, wie die Täter denken und fühlen. Das müssen sich auch, wenn sie einen guten Krimi schreiben wollen, und selbstverständlich ist das auch, denn immerhin haben sie sich diese verstörten und verschrobenen Leute ausgedacht.


Titelbild

Jan Costin Wagner: Im Winter der Löwen. Ein Kimmo-Joentaa- Roman.
Eichborn Berlin, Berlin 2009.
288 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783821807584

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