Nur wach lässt die Welt sich retten

Dieter Sudhoff versammelt Kurzgeschichten von Frank Leonhard aus fünf Jahrzehnten

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Leonhard Frank zählte zu den bekannteren AutorInnen der Zwischenkriegszeit. Bekanntlich stand er "links, wo das Herz schlägt", wie denn auch der Titel seines autobiografischen Romans lautet. Nun hat Dieter Sudhoff zwar nicht diesen Roman neu herausgebracht, aber doch eine Reihe kürzerer Prosastücke des Autors, deren Entstehungszeit sich über nahezu fünfzig Jahre erstreckt. "Der Abdruck nach den unveränderten Erstausgaben erlaubt es" dem Herausgeber zufolge "erstmals, in einem Band die fast ein halbes Jahrhundert währende schriftstellerische Entwicklung Leonhard Franks vom symbolistischen Naturalismus und Expressionismus über die Neue Sachlichkeit und die Exildichtung bis hin zu den späten Kurzgeschichten der Nachkriegszeit zu verfolgen."

In den frühen Erzählungen steht meist die etwas naive Empörung eines Tagträumers über die Ungerechtigkeiten der Welt im Mittelpunkt, die den Armen gegenüber "einfach hundsgemein" ist. Dabei muss man doch "unausgesetzt wach sein, sonst wird man ein immer größerer Schuft." So verlieren sich diese oft noch jugendlichen Möchtegern-Weltenretter, denen samt und sonders trostlose Lebensläufe harren, denn auch in ihren Fantasiewelten. Ein anständiger Kerl muss schon einige Millionen geerbt haben, um wenigstens gegen das Elend im Kleinen etwas ausrichten zu können. Und das auch noch, indem er die gemeine Selbstsucht bedient.

Gerade in diesen frühen Geschichten gibt sich Frank gerne mal einer Männerfantasie hin, die, ganz dem Topos gemäß, (sehr wahrscheinlich) mit der Leiche einer Frau endet. Franks Anstrengungen, sich in die weibliche Psyche zu versetzen, sind hingegen weniger ausgeprägt und finden ihren etwas klischeehaften Ausdruck in der Kurzgeschichte über eine junge Schauspielerin, die sich zur Abtreibung genötigt sieht. Überhaupt steht nur selten einmal eine Protagonistin im Mittelpunkt des Geschehens. So bleiben die Mädchen so fremd, wie es der Titel des Buches besagt.

Zwar liest sich eine Berliner Liebesgeschichte recht kitschig und einiges andere ist einfach nur harm- und belanglos. Aber da ist auch diese todtraurige Beamten-Novelle oder das ergreifende Sterben Annettes. Und gelegentlich überrascht Frank mit einem netten Aphorismus: "Während des Krieges ist alles rot" - "Nur die Sozialdemokraten nicht."

Wie die Quellennachweise im Anhang und der Herausgeber in einem kenntnisreichen, aber allzu psychologisierenden Nachwort zeigen, sind nicht wenige der Kurzgeschichten in oft überarbeiteter Form in Romane eingegangen. Da für die vorliegende Edition etliche Texte aufgefunden werden konnten, "von denen die Forschung bisher nichts wusste und die in keiner Bibliographie erfasst sind", lohnt sich die Lektüre auch für ausgewiesene Frank-KennerInnen. Allerdings sollten die Geschichten nicht einfach in einem Rutsch heruntergelesen werden. Zahlreiche sich ein ums andere Mal wiederholende Motive ließen das Interesse schell erlöschen.


Titelbild

Leonhard Frank: Fremde Mädchen. Geschichten der Leidenschaft.
Dieter Sudhoff.
Aufbau Verlag, Berlin 2007.
316 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783351030841

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